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Freitag, April 19, 2024
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    Containern straffrei: Kein Mittel gegen Ernährungsarmut

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    Menschen, die Lebensmittel aus den Müllcontainern von Supermärkten retten, erfahren bisher Repressionen. Die Linksfraktion im Bundestag will das sogenannte Containern nun entkriminalisieren und begründet das auch mit größerer wirtschaftlicher Not in Deutschland. Die Entkriminalisierung ist wichtig, aber keine Maßnahme gegen die Unterversorgung armer Haushalte. – Ein Kommentar von Olga Wolf.

    Wer containert, also Lebensmittel vor der Vernichtung rettet, macht sich aktuell mindestens des Diebstahls, häufig auch des Hausfriedensbruchs und der Sachbeschädigung schuldig. Die Linksfraktion fordert nun: “Containern straffrei!”, denn “über 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland pro Jahr im Müll – ein Großteil davon noch essbar”.

    „In der aktuellen Situation der steigenden Lebensmittelpreise kann eine Strafbarkeit von Menschen, die sich noch genießbare Lebensmittel aneignen, noch weniger gerechtfertigt werden“, erklärt Jan Korte, Geschäftsführer der Fraktion.

    Containern ist wichtig

    Menschen, die Lebensmittel vor der Verschwendung retten und damit sich und andere ernähren, dürfen nicht kriminalisiert werden. Sie erfüllen eine wichtige Aufgabe und schließen eine Lücke, die die Gesetzgebung dem Lebensmittelhandel offen lässt: Supermärkte verschwenden Lebensmittel, um ihre Profite aufrecht zu erhalten.

    Dass es nicht illegal sein darf, Lebensmittel vor der profitvermehrenden Verschwendung zu retten, ist aber nicht sonderlich links, sondern logisch. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Nachfrage an Tafeln kaum noch gedeckt werden kann.

    Auch arme Menschen haben ein Recht darauf, sich selbstbestimmt, sicher und gesund zu ernähren. Ihre Ernährung darf nicht davon abhängig sein, was Supermärkte entsorgen und ob die Müllcontainer mehr oder weniger gut gefüllt sind. Im Jahr 2022 soll in Deutschland legalisiert werden, dass hungrige Menschen im Abfall nach Essen suchen – dieser Vorschlag ist weit weniger fortschrittlich, als er auf den ersten Blick scheint.

    Ein Verteilungs-, kein Rettungsproblem

    Der Fairness halber muss erwähnt werden: Die Linke macht sich nicht erst seit kurzem dafür stark, das Containern zu entkriminalisieren. Das ist notwendig und richtig, aber “dann sollen sie doch Müll essen” ist kein adäquates Mittel gegen die Lebensmittelknappheit für die Einkommensschwächsten.

    In Deutschland werden mehr als genug Lebensmittel für alle produziert, trotzdem sind nicht alle gut versorgt und Ressourcen werden verschwendet. Das ist ein strukturelles Verteilungsproblem, dessen Lösung nicht auf den Schultern von Lebensmittelretter:innen abgeladen werden darf.

    Armut und Verschwendung strukturell bekämpfen

    Es gibt einen breiten Katalog von Maßnahmen, die sowohl Lebensmittelretter:innen als auch Verbände vorschlagen, die sich für die Interessen von Hartz-IV-Empfänger:innen stark machen. Sie alle zielen darauf ab, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren und die Versorgung für alle zu sichern:

    Der Verein “sanktionsfrei” macht darauf aufmerksam, dass mit der “Bürgergeld”-Reform nur 30 Cent mehr für Lebensmittel zur Verfügung stehen. Das reicht nicht ansatzweise, um mit den steigenden Lebensmittelpreisen Schritt zu halten. Die Plattform “foodsharing” macht zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe klar, dass das Problem Lebensmittelverschwendung überhaupt erst einmal erfasst werden muss: Es gibt noch keine Dokumentationspflicht für Lebensmittelverluste, weder in der Landwirtschaft, noch in der Industrie oder im Handel. Supermärkte könnten z.B. verpflichtet werden, unverkaufte und noch genießbare Ware zu spenden – so würde vieles gar nicht erst im Müll landen und gerettet werden müssen.

    Von Armut Betroffene und Aktivist:innen gegen Lebensmittelverschwendung haben viele Ideen, wie Lebensmittel verschwendungsfrei verteilt werden könnten. Containern straffrei zu machen, ist in ihren Strategien ein längst überfälliger Schritt, dem viele weiter folgen müssen.

    • Perspektive-Autorin seit 2017, Redakteurin seit 2018. Aus dem Rheinland, Sozialwissenschaftlerin. Schreibt am liebsten über das Patriarchat und internationale Frauensolidarität dagegen.

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