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    Hausbesetzung in Frankfurt: “Die Stadt lügt, wenn sie erklärt, dass es zu wenig Wohnraum gebe”

    Frankfurter Aktivist:innen haben am Samstag ein Wohngebäude besetzt. Zuvor waren Mieter:innen aus dem Haus verdrängt worden, dass der “Frankfurter Allgemeine Zeitung” gehört. Geplant ist ein millionenschweres Investment und eine geschlossene Wohnanlage für Reiche. – Interview mit einer der Hausbesetzer:innen, Jule M..

    Was ist am Samstag im Gallus passiert?

    Wir haben die Günderrodestraße 5 besetzt. Das Haus gehört zum Projekt “Hellerhöfe”, welches das Ziel hat, eine Gated Community¹ zu errichten. Dieses Haus soll gemeinsam mit den ganzen anderen Sozialwohnungen, die links und rechts stehen, abgerissen werden.

    Die Menschen wurden im Vorhinein vertrieben und haben keine adäquate und vergleichbare Wohnung angeboten bekommen. Es ist einfach Wahnsinn, dass es sehr wenige soziale Wohnungen im Gallus, geschweige denn in Frankfurt gibt und dieser hier jetzt abgerissen wird.

    Wir fordern, dass dieses Haus und die Reihenhäuser, mindestens über den Winter, von Wohnungs- und Obdachlosen und allen Menschen, die eine Wohnung brauchen, genutzt werden dürfen. Das Haus ist in einem sehr guten Zustand. Hier ist nichts baufällig und die Heizung funktioniert.

    Hier geht es um super guten Wohnraum. Deshalb haben wir es besetzt und wollen es als sozialen Raum im Gallus öffnen und die Nachbarschaft einladen. Es soll aber vor allem bedürftigen Menschen zur Verfügung stehen, weil der Stadt Frankfurt scheinbar nichts Besseres einfällt, als ihnen die B-Ebene im Hauptbahnhof anzubieten. Aber hier sind einfach zehn freie Wohnungen, wo man sehr gut leben kann, wo es warm und sicher ist.

    Es geht uns auch darum, Gentrifizierung sichtbar zu machen und zu zeigen, wie sie in Frankfurt und besonders im Gallus voranschreitet. Hier haben wir mit dem Europaviertel ein sehr gutes Beispiel. Alle mit mittlerem und geringem Einkommen werden an den Stadtrand vertrieben, denn die Wohnungen, die hier gebaut werden, sind halt einfach Luxusquartiere für Superreiche, und das kann sich keine Kleinfamilie, Alleinerziehende oder andere leisten.

    Um das den Menschen näher zu bringen zeigen wir in der Wohnung verschiedene Ausstellungen über die Entwicklung im Gallus.

    Was ist euch besonders wichtig bei dieser Besetzung?

    Uns ist einmal total wichtig, das Thema in den Vordergrund zu rücken, denn wir werden immer mehr zur Stadt der Reichen, und die Arbeiter:innen werden an den Rand gedrängt. Das Gelände gehört der FAZ², die sich mit ihren Artikeln über soziale Wohnprojekte und Soziale Räume sehr bürgernah gibt, aber dann solche Prestigeprojekte durchzieht.

    Wir wollen auf diesen krassen Missstand aufmerksam machen und den total absurden Widerspruch zwischen Wohnungslosigkeit und Leerstand aufzeigen. In Frankfurt steht so viel Wohnraum leer. Man könnte diesen doch mindestens über den Winter nutzen. Es ist die reinste Verschwendung, die stattfindet.

    Wir wollen einen sozialen Austausch im Gallus entwickeln und Projekte wie diese Ausstellungen hier im Haus weiter bewerben.

    Wir machen auf den Frankfurter Häuserkampf aufmerksam, und wir sagen: wir lassen das nicht länger mit uns machen! Wir brauchen Sozialbau auch in der Stadt!

    Statistisch gesehen haben 50 Prozent der Frankfurter:innen Anrecht auf Sozialwohnungen, aber nur 15 Prozent des Wohnraums sind Sozialbau. In diesem Hellerhöfe-Projekt sind zwar ein paar Sozialwohnungen geplant, aber wieder viel zu wenig.

    Wir fordern, dass mindestens 60 Prozent des Wohnraums sozialer Wohnraum sind und das den Menschen, die aus dem Gallus vertrieben wurden, adäquate Sozialwohnungen hier im Gallus angeboten werden. Denn diese Menschen haben hier Jahrzehnte gelebt und fühlen sich hier zuhause.

    Teilweise machen die zugewiesenen Sozialwohnungen auch überhaupt keinen Sinn. Uns ist ein Fall bekannt, bei dem eine kleine Familie auseinander gerissen wurde, weil es keine passende Wohnung gab.

    Du hast schon einige Forderungen geschildert. Was fordert ihr noch?

    An das Unternehmen “Bauwens”, dem das Projekt Hellehöfe zugrunde liegt, richten wir erstens die Forderung, dass der Wohnraum, der hier besteht, Menschen kostenlos zur Verfügung stehen soll.

    Zweitens sollen über den ersten Förderweg 60 Prozent der Wohnungen Sozialbauwohnungen sein.

    Drittens sollen die Menschen, die von hier vertrieben wurden, neue Wohnungen, die gleichwertig sind, im Gallus angeboten bekommen.

    Viertens fordern wir von der Stadt Frankfurt, dass alle leerstehenden und bezugsfertigen Gebäude Menschen kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

    Fünftens fordern wir den Stopp von Kündigungen und aller Zwangsräumungen und Gas-, Wasser-, Stromsperren.

    Sechstens soll sich der Wohnungsmarkt am Bedarf orientieren und nicht am Profit.

    Siebtens sollen die Wohnungsbaugesellschaften sollen dazu verpflichtet werden, nur noch geförderten Wohnraum zu bauen. 2018 haben genau das 25.000 Menschen in Frankfurt gefordert, doch der Frankfurter Magistrat hat das abgelehnt. Wir sagen, das ist eine politische Entscheidung der Stadt, Marktinteressen vor soziale und demokratische Interessen zu stellen.

    Wie sind die ersten Resonanzen?

    Sehr gut. Gestern waren zwischenzeitlich 100 Menschen in diesem Haus, darunter sehr viele Nachbar:innen. Wir bekommen immer wieder Besuch von Menschen aus dem Viertel, die durchs Haus laufen und sich die Ausstellung ansehen. Das war eines unserer Ziele.

    Hast du noch abschließende Worte?

    Es ist total wichtig zu sagen, dass die Stadt Frankfurt lügt, wenn sie erklärt, dass es zu wenig Wohnraum gebe. Denn der Wohnraum wird für eine bestimmte Klasse und eine bestimmte Schicht gebaut.

    Es ist total wichtig, immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass Menschen mit geringem, oder mittlerem Einkommen genauso das Recht auf ein Leben mitten in der Stadt haben. Wohnraum darf kein Luxus sein. Wohnen und Wohnraum sind Menschenrecht. Alle Menschen müssen Zugang zu einem guten Wohnraum haben, um ein gutes Leben führen zu können.

    ¹Bewachte, geschlossene Wohnanlage

    ²Frankfurter Allgemeine

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