In Berlin haben tausende Menschen für einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine protestiert. Sowohl die politischen Aussagen von der Bühne, als auch die Teilnehmenden waren sehr heterogen. Zudem zeigen mehrere Kundgebungen am Rande der Großaktion: die Friedensfrage ist heiß umkämpft. – Perspektive hat sich vor Ort umgehört.
„Für einen sofortigen Waffenstillstand“ – das war die inhaltliche Klammer der allermeisten Demonstrierenden am Samstag auf der Kundgebung „Aufstand für den Frieden“ vor dem Brandenburger Tor. Doch danach hörte es meist schon auf mit den Gemeinsamkeiten, wie ein Korrespondent von Perspektive vor Ort im Gespräch mit Teilnehmenden in Erfahrung bringen konnte.
Während eine Person Verhandlungen durch „Neutrale“ – wie etwa den türkischen Präsidenten Erdogan – forderte, findet eine andere Teilnehmende, dass endlich die „professionellen Diplomaten“ der beteiligten Regierungen ihren Job machen sollten, „wofür sie bezahlt“ würden. Während die einen die Invasion Russlands in der Ukraine als „Verbrechen“ bezeichnen, meinen die anderen, „was hätte Putin denn machen sollen?“. Eine dritte Person findet, der Donbass habe doch auch das „Recht auf Selbstbestimmung“.
Während es eine Teilnehmende nicht schlimm findet, dass die Nazi-Partei „Die Freien Sachsen“ zur Kundgebung aufgerufen haben („wem tun die denn was?“) ist ein anderer Teilnehmer sehr unzufrieden, dass man sich zu wenig gegen Rechts abgegrenzt habe: „Mit Faschisten kann es keinen Kampf gegen den Militarismus geben.“ Er sei dennoch gekommen, da es das erste sichtbare Zeichen gegen die Kriegspolitik sei. Vor allem, da es nun das „Korrektiv“ DDR nicht mehr gebe, brauche es gegen die Regierung Streiks und Aktionen in den Betrieben.
Kurz darauf drängt eine Gruppe von Linkspartei-Anhänger:innen den neurechten Jürgen Elsässer, Herausgeber des faschistischen „Compact“-Magazins, und eine kleine Gruppe seiner Anhänger von der Demonstration ab.
Relativ einig wird aber eine „Hetze“ gegen die Demonstration durch breite Teile der Medien beklagt: Man müsse auch alternative Medien konsumieren und sich ein eigenes Bild machen. Ein Protestierender meint, der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk sei „in den letzten drei Jahren“ immer schlimmer geworden – offenbar meinte er damit die Berichterstattung über die Corona-Pandemie. Wieder ein Hinweis, dass auch Teilnehmer:innen der durch Rechte angeführten „Corona-Proteste“ zu der Kundgebung gekommen waren.
„Interessengeleiteter strategischer Akteur“
Nicht weniger diffus, aber vor allem bürgerlich sind die Positionen, die von der Bühne schallen: Der ehemalige Militär-Berater von Merkel, Erich Vad, rief in seiner Rede, Europa müsse nun endlich ein „interessengeleiteter strategischer Akteur“ werden. Ganz so, als ob das größte Problem in diesem Krieg sei, dass Europa selbst nicht genug als Großmacht agiere.
Gleich danach spricht Wagenknecht und erklärt, dass man nun auch anfange, „sich zu organisieren“, und seit wann es eigentlich „rechts“ sei, gegen Krieg zu sein? Ansonsten gibt es vor allem viele bekannte rhetorische Aussagen von Wagenknecht, man wolle z.B. die Stimme „so laut erheben, dass sie nicht mehr übergangen werden kann.“
Tatsächlich ist die „Stimme“, die im Zusammenhang mit dieser Demonstration steht, nicht leise. Mittlerweile haben rund 660.000 Menschen ihr „Manifest für Frieden“ unterschrieben. Zur Demonstration kamen nach Polizeiangaben 13.000 Menschen, Wagenknecht sprach von 50.000. Im Gespräch erklärten mehrere Teilnehmende gegenüber Perspektive, dass sie hofften, dies sei nicht die letzte Aktion gewesen.
Anti-Kriegs-Protest am Rande der Kundgebung
Auch seitlich der Kundgebung gibt es Protest: Ein paar hundert Meter vom Brandenburger Tor entfernt stehen etwa 50 Protestierende, die sich offenbar gegen die Groß-Kundgebung versammelt haben. Ein Redner erklärt am Mikrofon, dass, obwohl man eigentlich gegen Nationalstaaten sei, die ukrainische Nationalfahne heute ausnahmsweise erlaubt sei. Dies richte er insbesondere an ältere anarchistische Mitstreiterinnen, von denen er wüsste, dass sie damit eigentlich Schwierigkeiten hätten.
Hinter dem Brandenburger Tor versammeln sich wiederum mehrere sozialistisch orientierte Kräfte. Bei einem Stand der MLPD heißt es, man habe sich zuerst kritisch der Demonstration anschließen wollen, doch dann habe Wagenkecht „das Tor für die Faschisten geöffnet“, und man habe sich für eine eigene Kundgebung entschieden. Auch Kräfte der „Föderation Klassenkämpferischer Organisationen“ (FKO) hatten zu Beginn des Protests mit Flugblättern auf sich aufmerksam gemacht und im Anschluss an die Kundgebung noch eine eigene Aktion abgehalten, bei der viele Passant:innen stehenblieben und lauschten.
Gegen Ende der Kundgebung scheint es den rund 1.400 eingesetzten Beamt:innen doch zu „langweilig“ geworden zu sein: Ein leicht angetrunkener Passant beschwert sich, dass er nun schon an der dritten Absperrung abgewiesen werde und einfach nur nach Hause wolle, woraufhin die Polizei ihn laut Aussage einer Passantin schroff zurückweist. Er bewegt sich weg und ruft dabei „Scheiß Nazis“. Nach einem kurzen Nicken des Einsatzführers stürzen sich daraufhin mehrere Polizisten auf ihn und reißen ihn zu Boden. Dort wird ihm ins Gesicht geschlagen … Es ist Demo-Tag in Berlin.
"Die bringen mich um, Hilfe" – @polizeiberlin nimmt am Rande der #Wagenknecht-Demo einen Passanten fest.
Er soll zuvor laut "Scheiß #Nazis" gerufen haben, nachdem ihn die Polizei schikaniert hatte. Dies wurde mit dem massiven Einsatz beantwortet.#b2502#Polizeiproblem pic.twitter.com/o6J14rhITQ
— Perspektive Online (@PerspektiveOn) February 25, 2023