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Dienstag, März 19, 2024
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    Haben wir „das“ geschafft?

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    Knapp acht Jahre nach der „Flüchtlingskrise“ in Deutschland erhält Altkanzlerin Angela Merkel den UNESCO-Friedenspreis. Besonders gelobt wird dabei ihre „mutige Entscheidung“, Geflüchtete aus Kriegsgebieten im Herbst 2015 aufgenommen zu haben. Doch wie viel steckt hinter dieser vermeintlich sozialen Asylpolitik? – Ein Kommentar von Konstantin Jung

    Beim Blick auf die 16 Jahre Amtszeit, die Angela Merkel als Bundeskanzlerin Deutschlands innehatte, sticht das Jahr 2015 besonders heraus: In einer Zeit von sich zuspitzenden Kriegen und Konflikten mussten immer mehr Menschen auf der Welt aus Not die Entscheidung fällen, ihre Familien, die zerstörte Heimat und Gewalt hinter sich zu lassen, um den Weg in eine hoffnungsvollere Zukunft einzuschlagen.

    Im Zuge dessen wurde Merkels Ausspruch „Wir schaffen das“ zum Kern-Slogan der deutschen „Willkommenskultur“ – eine harte und erstaunliche Wende für die sonst so rechtskonservative CDU. Genau dieses Klima wurde zu einem fabelhaften Nährboden für faschistische Bewegungen à la PEGIDA, die vor allem im Osten Deutschland agierten – ein Umstand, den neben der AfD auch die Christdemokraten für sich zu nutzen wussten.

    So eignete sich die Kampagne hervorragend, um das Bild einer menschenfreundlichen und ach so sozialen Bundesregierung zu kreieren. Denn laut Merkels Aussage war die Aufnahme der Geflüchteten ja nichts anderes als ein „humanitärer Imperativ“.

    Betrachtet man die Zahl der Asyl-Erstanträge im Jahr 2015 nach Staatsangehörigkeit der Menschen, so sind vor allem Syrien, Kosovo und Afghanistan häufig vertretene Länder. Also alles Gebiete mit kämpferischen Auseinandersetzungen, an denen die NATO oder zumindest deutsche Waffen beteiligt waren oder sind. Dass Menschen aus diesen Ländern fliehen, ist also vielmehr eine Folge der kriegstreiberischen Außenpolitik der Großmächte als reiner Zufall – ganz abgesehen davon, dass sie weder aus gierigen noch egoistischen Beweggründen migrieren.

    So oder so – für Merkel und Co. sind Flüchtlinge erst willkommen, wenn sie auch die deutsche Industrie unterstützen. Am besten, wenn sie in prekären Verhältnissen als günstige Arbeitskräfte für große Unternehmen schuften. Im hessischen Bad Hersfeld wurden im Dezember 2015 beispielsweise täglich vom Arbeitsamt gestellte Busse voller Migrant:innen vor das dortige Amazon-Werk gefahren. Dort trafen sie dann neben verschärfter Ausbeutung auch auf rassistische Vorbehalte und Chauvinismus.

    Doch Widerstand ist für die meisten wortwörtlich zwecklos: mit der Zeit wurden die Asylgesetze immer weiter verschärft, so dass bereits bei einer Bewährungsstrafe die Abschiebung droht. Und ein etwas „wilderer“ Streik im Betrieb reicht dafür schon vollkommen aus.

    Doch schon viel eher machte Merkel mit ihrer Asylpolitik erste Rückzieher: Bereits im September 2015 gab es erste Grenzkontrollen für Flüchtlinge in Bayern. Darüber hinaus wurden im Januar 2016 Kosovo, Albanien und Montenegro auf die Liste der sicheren Herkunftsländer gesetzt. Die Menschen dort blieben mitunter trotzdem schutzbedürftig, doch das war ab dann egal – sie hatten von da an nur noch geringe Chancen auf ein Asyl in Deutschland.

    Dass die deutsche Außenpolitik nicht die Ursache von Migration und Rassismus bekämpfen würde, war von Anfang an klar. Doch selbst die Symptombekämpfung hielt sich – nett ausgedrückt – in Grenzen. Auch heute wird für Geflüchtete oft nur das Mindeste getan,  zum Beispiel eine Unterbringung in Zelten.

    Die genannten Punkte sind dabei mit Sicherheit nur die Spitze des Eisbergs – dem „Flüchtlingsdeal“ mit Erdoğan oder den alltäglichen Verbrechen von Frontex sollte ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt werden. – Angela Merkel also eine Friedensbringerin? Eher nicht. Doch solange es der Wirtschaft etwas bringt, kann sich der deutsche Staat auch mit einer Willkommenskultur abfinden.

    • Seit 2022 politisch aktiv in Sachsen. Schreibt am liebsten über Antifa und Kultur im Kapitalismus. "Es gibt kein anderes Mittel, den Schwankenden zu helfen, als daß man aufhört, selbst zu schwanken."

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