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Samstag, April 20, 2024
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    Rechtsruck bei der Landtagswahl in Berlin?

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    Am Sonntag fand die Wiederholung der Berliner Senatswahl statt. Rot-Grün-Rot musste dabei Verluste einstecken, könnte aber theoretisch weiter regieren. Rassistische Hetze und die Verschleppung des Bürger:innenentscheids zur Enteignung von Immobilienkonzernen werden aber in jedem Fall weiterhin die Politik bestimmen. – Eine Einschätzung von Gillian Norman

    Die Wiederholung der Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl von September 2021 hat am vergangenen Sonntag stattgefunden. 2021 gab es in einigen Wahlbezirken fehlerhaft zugeordnete Stimmzettel, fehlenden Nachschub und lange Wartezeiten, die dazu führten, dass einzelne Wahllokale bis weit nach 20 Uhr geöffnet waren. Aufgrund der schwerwiegenden Probleme wurde die Wahl vom Verfassungsgerichtshof Berlin im November 2022 für ungültig erklärt und musste nun innerhalb von drei Monaten nach der Entscheidung wiederholt werden.

    Stärkste Kraft wurde bei der Wahl am Sonntag die CDU mit 28,2 Prozent und einem Gewinn von etwa 10 Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl im Herbst 2021. SPD und Grüne liegen mit 18,4 Prozent fast gleichauf und müssen Verluste einstecken. Auch die Linkspartei und FDP verloren etwa 2 Prozentpunkte, was bei der FDP dazu führt, dass sie an der 5%-Hürde scheitert und nicht im nächsten Senat vertreten sein wird. Nach den vorläufigen Ergebnissen kommt die CDU somit auf 52 Sitze, SPD und Grüne erhalten jeweils 34. Die Linke kommt auf 22 Sitze, die AfD auf 17.

    Die Wiederholung der Wahl war vor allem für die etablierten bürgerlichen Parteien ein Vorteil im Wahlkampf. Die hohen Kosten und der Aufwand für einen weiteren Wahlkampf nach einer solch kurzen Zeit war für viele kleinere Parteien kaum zu stemmen. Die Parteien, die über einen gut finanzierten bürokratischen Partei-Apparat verfügen, konnten auf deutlich größere Ressourcen zurückgreifen.

    Bei der vergangenen Wahl fand außerdem gleichzeitig die Bundestagswahl und der Bürger:innenentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ statt. Die Wahlbeteiligung lag daher dieses Mal nur noch bei 63,1%, 2021 waren es noch 75,4%. Aber auch die allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik der Landesregierung sowie der Bundesregierung mit Blick auf den Ukraine-Krieg und die immer weiter steigenden Lebenshaltungskosten könnten hier einen Einfluss gehabt haben.

    Rot-Grün-Rot, Schwarz-Rot oder doch Schwarz-Grün?

    Die verschobenen Kraftverhältnisse im Vergleich zur letzten Wahl führen nun dazu, dass neben Rot-Grün-Rot auch eine Schwarz-Rote oder Schwarz-Grüne Koalition möglich geworden ist. Die CDU geht zwar mit Abstand als stärkste Kraft aus der Wahl, jedoch hätte eine SPD-geführte Regierung mit Grünen und Linken weiterhin eine stabile Mehrheit.

    Die amtierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sieht in beiden Optionen eine Möglichkeit. Auch die grüne Kandidatin Bettina Jarasch zeigt sich offen für Gespräche mit der CDU, würde aber eine Weiterführung der bisherigen Koalition vorziehen. Die Linkspartei zeigt sich ebenfalls bereit für eine Fortführung der Koalition, wenn sich eine „progressive Mehrheit“ zusammenfände.

    Die CDU strampelt sich derweil ab, irgendwie an die Macht zu kommen: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erklärte von der Seitenlinie aus in einem Interview mit dem SPIEGEL, dass es für Rot-Grün-Rot keine Legitimation gäbe und die CDU die Regierung anführen müsse. Alles andere wäre „eine grobe Missachtung der Demokratie“. Auch der Spitzenkandidat der CDU, Kai Wegner, fände es „ausgesprochen unanständig“, wenn eine rot-grün-rote Regierung fortgesetzt werden würde.

    Tatsächlich hat Rot-Grün-Rot eine rechnerische Mehrheit. Diese werden die Koalitionäre sicherlich neu in Erwägung ziehen, auch wenn es in den eineinhalb Jahren, in denen Rot-Grün-Rot seit der letzten Wahl regierte, einige Konflikte zwischen den Parteien gab. Streitpunkte waren dabei unter anderem die Eröffnung der neuen Polizeiwache am Kottbusser Tor in Kreuzberg und die Umsetzung des Bürger:innenentscheids „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ (DWE).

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    Umsetzung von DWE wird noch unwahrscheinlicher

    59,1% der Berliner:innen stimmten damals 2021 bei dem Bürgerentscheid für den staatlichen Rückkauf von Wohnungen. Juristisch gesehen war dieser Entscheid jedoch nicht bindend für die Regierung. Allerdings gab es durch die eindeutige Entscheidung durchaus einen gewissen politischen Druck. Die drei Parteien einigten sich dann darauf, ein Expertengremium einzusetzen, um zunächst ein Jahr lang die “Möglichkeiten” zur Umsetzung des Enteignungsbeschlusses zu prüfen.

    Das war damals schon auf große Kritik gestoßen, da hierdurch vor allem ein Aufschieben erzwungen wurde. Für die SPD war dies zumindest ein Teilerfolg, hatte sich Giffey vor der Wahl schon konsequent gegen eine Verstaatlichung gestellt. Die Linkspartei brüstete sich  zu dem Zeitpunkt noch damit, die einzige Partei zu sein, die den Volksentscheid umsetzen werde.

    Im Vorlauf zu der jetzigen Wahl gab es dann von DWE eine Wahlkampagne gegen SPD und CDU und für die Grünen und Linken. Doch auch die Grünen und Linken zeigten bisher keine besonders großen Anstrengungen, sich tatsächlich für die Umsetzung einzusetzen. Gleichzeitig wurde versucht, die Führung der kämpferischen Mieter:innenbewegung über die Expertenkommission in die „staatliche Elendsverwaltung“ zu integrieren.

    Nach der Wahl stehen die Chancen für die Umsetzung des Bürgerentscheids nun noch schlechter. Da der SPD nun auch eine Koalition mit der CDU offensteht, könnte sie dies als Druckmittel nutzen, ihre eigenen Positionen in einer rot-grün-roten Regierung besser durchzusetzen. Und zu diesen Interessen zählt die Umsetzung des Entscheids eben nicht.

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    Rassistische Hetze als Wahlkampfthema

    In den letzten Wochen wurde dann außerdem die rassistische Hetze nach Silvester ein wichtiges Wahlkampfthema für CDU, SPD und AfD. In der Silvesternacht war es zu Angriffen auf Polizei und Feuerwehr gekommen. Die zunächst genannten Zahlen mussten jedoch kurz darauf nach unten korrigiert werden, und auch der Vergleich mit vorherigen Jahren zeigte, dass es nicht zum ersten Mal zu Ausschreitungen kam.

    Die rassistische Debatte war da aber bereits in vollem Gange und wurde von der CDU und AfD in der Öffentlichkeit angeheizt. Die CDU verfolgte in der Debatte das Ziel, auch am rechten Rand zu fischen, indem sie die Abschiebung von Migrant:innen forderte und auch die Berliner Polizei stärken wollte.

    Dazu soll auch die neue Polizeiwache am Kotti (Kottbusser Tor), die in wenigen Tagen eröffnet wird, dienen. Sie war aber gar nicht das Projekt der CDU, sondern das der SPD unter Führung von Bürgermeisterin Giffey und Innensenatorin Iris Spranger. Kreuzberg wurde dabei regelmäßig als Problemviertel und Kriminalitätsschwerpunkt dargestellt. Doch statt die Ursache dieser Probleme, die steigende soziale Ungleichheit, zu bekämpfen, wurden die Konflikte auch von der aktuellen Regierung mit steigender Repression beantwortet.

    Diskriminierte werden zum Spielball im Berliner Wahlkampf

    Und die CDU kündigte stattdessen an, das 2020 in Kraft getretene Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) bei einem Wahlsieg zurücknehmen zu wollen. Das Gesetz verbietet allen öffentlichen Institutionen eine Diskriminierung „auf Grund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen und antisemitischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebensalters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie des sozialen Status“.

    Die CDU behauptete in ihrer Kampagne, dass das LADG “ein Misstrauensbeweis gegen alle Berliner Polizisten” sei und dazu führen würde, dass es massenweise Anklagen gegen Polizist:innen geben würde. Dies blieb zwar aus, trotzdem machte die CDU Wahlkampf damit.

    Das konnte sie auch, denn viele derjenigen, die von dem Anti-Diskriminierungs-Gesetz profitieren würden, durften gar nicht wählen. So waren schon die Wahlbedingungen in der Hauptstadt rassistisch: Von den 3,8 Millionen Einwohner:innen Berlins waren auch bei dieser Wahl knapp 800.000 Menschen nicht wahlberechtigt, da sie keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

    Diese Einschränkung des Wahlrechts nimmt einen immer stärkeren Einfluss auf die Ergebnisse. Zwischen 2011 und 2021 blieb die Zahl der Wahlberechtigten zwar konstant bei knapp unter 2,5 Millionen, jedoch stieg die Zahl der Einwohner:innen in der selben Zeit von 3,4 auf 3,8 Millionen. In dieser kurzen Zeit sank somit der Anteil der Wahlberechtigten von 72,1 auf 65,5%.

    Egal also, wer die kommende Regierung bilden wird: sie kann sich weder auf eine hohe Wahlbeteiligung noch auf eine tatsächlich demokratische Wahl stützen. Sehr wahrscheinlich dürfte sie aber weiter nach rechts rücken.

    • Schreibt seit 2022 für Perspektive und ist seit Ende 2023 Teil der Redaktion. Studiert Grundschullehramt in Baden-Württemberg und geht früh morgens gerne eine Runde laufen.

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