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Donnerstag, April 25, 2024
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    Wagenknecht und Schwarzer: Ein Manifest für den kapitalistischen Frieden

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    Die Publizistin Alice Schwarzer und die Politikerin Sahra Wagenknecht haben unter dem Titel “Manifest für Frieden” eine Petition gestartet. In ihr fordern sie Bundeskanzler Scholz auf, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu stoppen und sich für Verhandlungen mit Russland einzusetzen. Ist das der Anfang einer Friedensbewegung, auf die wir gewartet haben? Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

    Am Freitag veröffentlichten Wagenknecht und Schwarzer auf der Plattform change.org ihr “Manifest für den Frieden”. Das selbst gesteckte Ziel von anfänglich 200.000 Unterschriften erreichte die Petition bereits am Samstag, mittlerweile sind 300.000 Unterschriften angepeilt. In einem gemeinsamen kurzen Video erläutern die Emma-Herausgeberin Schwarzer und die Linken-Politikerin Wagenknecht ihre Ideen: Schluss mit dem Sterben in der Ukraine, Schluss mit Waffenlieferungen, Friedensverhandlungen mit Russland. Neben dem Manifest kündigen Schwarzer und Wagenknecht auch eine Großkundgebung für den Frieden vor dem Brandenburger Tor in Berlin an. Auf der Plattform Twitter wurde das Video bereits über 1 Million Mal angesehen.

    Es ist offensichtlich, dass Schwarzer und Wagenknecht einen Nerv getroffen haben: Ihre Petition erhält zahlreiche Unterstützer:innen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Darüber hinaus holen sie mit ihrem kurzen Text, der eindringlichen Warnung vor einem Dritten Weltkrieg und ihrer Kritik an der Ampel-Regierung auch viele Menschen ab, die bislang vergeblich auf eine Friedensinitiative aus dem bürgerlichen Spektrum der Gesellschaft gewartet haben. Es ist durchaus möglich, dass zu der Kundgebung am Brandenburger Tor am 25. Februar – also ein Jahr und einen Tag nach Kriegsausbruch in der Ukraine – eine große Anzahl an Menschen mobilisiert werden kann.

    Wessen Interessen stehen im Vordergrund?

    Ja, das Schwarzer-Wagenknecht-Manifest ist darauf ausgelegt, den Unmut gegen die aktuelle Regierungspolitik, gegen die Panzerlieferungen und gegen die Aufrüstung aufzufangen. Doch vertreten die Initiator:innen des Manifests tatsächlich die Interessen derjenigen, die sich nicht in den Krieg schicken lassen wollen und die sich nicht für die Aufrüstung Deutschlands ausbeuten lassen wollen?

    Wohl kaum – denn die Gefahr ist groß, dass einfache Arbeiter:innen hier vor den Karren eines bestimmten Teils der deutschen Kapitalistenklasse gespannt werden sollen. Während einige Kapitalist:innen von dem derzeitigen Krieg profitieren und Milliardengewinne einstreichen, gehören andere zu den Kriegsverlierern und müssen bangen, unter die Räder zu kommen. Der jetzt so öffentlichkeitswirksam vorgetragene Wunsch nach Frieden scheint nichts anderes als das Interesse dieser Kapitalist:innen und ihrer Interessenvertreter:innen wiederzuspiegeln, wieder Ruhe in Europa herzustellen und Profite generieren zu können.

    Dass dem tatsächlich so ist, lässt sich vor allem aus der Unterstützung des Manifests durch einige namhafte Interessenvertreter:innen des Kapitals ableiten. So gehört zum Beispiel der CSU-Politiker Peter Gauweiler zu den Erstunterzeichnern der Petition. Er unterstützte bereits 2014 die russische Annexion der Krim-Halbinsel und gehört auch jetzt zu den Befürwortern eines Friedens mit Russland.

    Der Euro-Gegner Gauweiler positioniert sich teils deutlich gegen die NATO-Politik. Doch das macht ihn noch lange nicht zum Interessensvertreter der Arbeiter:innenklasse. Seine Biographie zeigt vielmehr, dass Gauweiler deutlich auf der Seite der Kapitalist:innen steht: Er forderte den Abbau von Sozialleistungen für Geflüchtete, erhielt von dem AfD-Finanzier und Milliardär August von Finck junior millionenschwere Berater-Honorare während seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter und vertrat den Staat Katar in einer Klage gegen einen deutschen Fußballfunktionär, der den arabischen Staat unter anderem für seine Menschenrechtsverletzungen kritisierte hatte.

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    “Ja” zur Aufrüstung, aber “Nein” zum Krieg?

    Dass der Wunsch nach Frieden nur vorgeschoben zu sein scheint, ließe sich auch an der Unterstützung des Manifests und der Kundgebung durch den Brigadegeneral a.D. Erich Vad ablesen. Vad, heute vor allem als Unternehmensberater tätig, tritt derzeit zwar regelmäßig als Kritiker der deutschen Waffen- und Panzerlieferungen in die Ukraine auf und fordert ebenso wie Schwarzer und Wagenknecht eine schnelle Verhandlungslösung mit Russland.

    Doch Aussagen aus der Vergangenheit lassen nicht darauf schließen, dass Vad Bundeswehreinsätzen und Krieg grundsätzlich ablehnend gegenüber steht. Vielmehr kritisierte er noch im März 2022, dass die Bundeswehr nicht einsatzbereit sei und begründete dies mit dem deutschen “Strukturpazifismus”. Dieser habe über die Jahre dahin geführt, dass mehr und mehr vernachlässigt wurde und die Bundeswehr nun für eine Auseinandersetzung nicht gewappnet sei.

    Vad vertritt damit die Position derjenigen Kapitalist:innen, für die ein Krieg mit Russland zu früh kommt. Ein Frieden, der jetzt mit Russland erhandelt wird, würde diesen Kapitalist:innen mehr Zeit verschaffen, sich vorzubereiten und zum Beispiel Lieferketten umzustellen. Dass ein derartiger Deal aber wahrlich nicht im Interesse der Arbeiter:innen sein kann, erklärt sich von selbst: so sind es die Arbeiter:innen selbst, die in den nächsten Jahren das Aufrüsten Deutschlands und die Umstellung der Konzerne werden schultern müssen, bevor sie schließlich womöglich selbst in den Krieg geschickt werden.

    Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet zur derzeitigen Aufrüstung der Bundeswehr im Manifest für den Frieden geschwiegen wird. Schwarzer und Wagenknecht sagen “Nein” zum Krieg, aber nicht “Nein” zur Aufrüstung – eben weil von der Aufrüstung und der Kriegsvorbereitung nicht wenige Kapitalist:innen profitieren werden.

    Kein Frieden ohne einen Kampf für den Sozialismus

    Hinzu kommt: Sowohl Sahra Wagenknecht als auch Alice Schwarzer haben in der Vergangenheit – teils verstellt und teils unverhohlen – rassistisch gegen Geflüchtete und Migrant:innen gehetzt. Zwar wehrt sich Sahra Wagenknecht gegen eine Vereinnahmnug des Manifests durch AfD-Politker. Doch einen echten Internationalismus suchen wir bei Wagenknecht und Schwarzer trotzdem vergebens. Dem Manifest ist zwar vorangestellt, dass in der Ukraine großes Leid über die Menschen gebracht wird – doch die zur Schau getragene Solidarität mit der “ukrainischen Bevölkerung” erscheint nicht mehr als ein Vorwand, um die Interessen deutscher Kapitalist:innen begründen zu können.

    Wir müssen letztendlich erkennen, dass das Wagenknecht-Schwarzer-Manifest nicht der Beginn einer echten Friedensbewegung ist, sondern nichts weiter als ein Plädoyer für einen “kapitalistischen Frieden”, mit dem ein paar Jahre mehr Profitmacherei vor dem unweigerlich folgenden nächsten Krieg erkauft werden sollen. Leidtragende eines solchen Friedens wären die Arbeiter:innen in Deutschland, der Ukraine, Russland und der ganzen Welt – denn ein kapitalistischer Frieden hieße unweigerlich auch die Fortsetzung von Ausbeutung und Unterdrückung.

    Lassen wir uns also nicht vor den Kapitalistenkarren spannen! Unser Kampf für den Frieden muss schon heute ein Kampf für unsere eigenen Interessen sein. Das Rufen nach einem Stopp der Waffenlieferungen, das Rufen nach einem Ende des Wirtschaftskrieges mit Russland, das Rufen nach einem Sturz der deutschen Kriegstreiber-Regierung ist richtig – aber nur dann, wenn wir selber, und nicht wenn die Kapitalist:innen rufen. Einen echten Frieden werden wir nicht erlangen, indem wir mit dem Kapital paktieren. Sondern nur dann, wenn wir konsequent und als internationale Arbeiter:innenklasse vereint für den Aufbau einer von uns selbst gestalteten sozialistischen Gesellschaft kämpfen. Lasst uns das auch am 24. Februar bei den Anti-Kriegs-Aktionen zeigen, die sich auf keine kapitalistische Seite schlagen.

    • Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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