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Arbeitsmord: Hunderte fordern Aufklärung und Gerechtigkeit für Refat Süleyman

Vor rund einem halben Jahr wurde der junge Leiharbeiter und Familienvater Refat Süleyman tot auf dem Gelände von ThyssenKrupp Steel in Duisburg aufgefunden. Seitdem gibt es noch immer keine Aufklärung über die Hintergründe. Hunderte Arbeiter:innen versammelten sich deshalb zu wütendem Protest, um „Adelet“ („Gerechtigkeit“) zu fordern.

Refat Süleyman war Vater von zwei Kindern. 2016 kam er mit einem Teil seiner Familie auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen von Bulgarien nach Deutschland. Stattdessen fand er hier den Tod. Er war Angestellter der Duisburger Leiharbeitsfirma Eleman aus Oberhausen.

Von dort vermittelt, war er erst wenige Tage bei ThyssenKrupp Steel in Duisburg als Industriereiniger tätig, als er nach seiner Freitagsschicht nicht nach Hause kam. Drei Tage lang fand eine intensive Suche nach ihm statt. Erst am nächsten Montag, nachdem sich Familie und Kolleg:innen versammelten, wurde seine Leiche gefunden – in einem Schlackebecken, das angeblich schon abgesucht worden war. Bis heute gibt es keine offizielle Erklärung für den Todesfall.

Die Angehörigen und viele Unterstützer:innen geben sich damit nicht zufrieden.

Über 200 Menschen auf Demonstration

Am Samstag versammelten sich trotz Dauerregens und Kälte über 200 Menschen zu einer Demonstration in Duisburg. Aufgerufen hatte der Verein „Stolipinovo in Europa“, gekommen sind vor allem bulgarische und türkische Arbeiter:innen, aber auch ein einzelne Mitstreiter:innen von sozialistischen Gruppen wie Young Struggle, der Föderation Klassenkämpferischer Organisationen und die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU sind anwesend.

Das Bild ist aber bestimmt von einem Meer an selbstgebastelten Schildern und Transparenten. Darauf kann man Sprüche wie „Wir alle sind Refat“ oder „Wenn sich nichts ändert, werden weitere sterben“ lesen, auch die allgemeinen Ausbeutungsverhältnisse von migrantischen Leiharbeiter:innen sind Thema.

Die Stimmung ist wütend. Immer wieder wird gerufen: „Adalet“ – „Gerechtigkeit“. Genau diese wird vermisst. Das Ziel der Demonstration ist die Duisburger Staatsanwaltschaft. Während alle anderen beteiligten Institutionen schon verkündet haben, dass der Todesfall nicht aufgeklärt werden könne, soll die Staatsanwaltschaft sich bis jetzt vor allem in Schweigen gehüllt haben. Die Demonstrierenden haben das Stillschweigen und die fehlenden Antworten satt. Ein Redner kritisiert, bulgarische Migrant:innen arbeiteten in Deutschland genauso hart wie ihre deutschen Kollegen, vor den Institutionen seien sie aber „Bürger dritter Klasse“.

An einen Arbeitsunfall glaubt hier niemand. Es wird von Mord gesprochen, dem Konzern und den Behörden wird Vertuschung vorgeworfen.

Kämpferische Demo nach Tod von Arbeiter Refat Süleyman bei ThyssenKrupp Duisburg: Über 1.000 Menschen fordern Aufklärung und Gerechtigkeit

Schon kurz nach dem Tod von Refat Süleyman stellten die Angehörigen eine Reihe von Fragen:

  • „Warum wird Refat bereits am zweiten Tag des Arbeitsvertragsbeginns beauftragt, ein Becken mit Industrieschlacke zu reinigen – eine Tätigkeit, die mit erhöhter Gefahr verbunden ist?
  • Warum hat er diese Aufgabe allein und ohne Aufsicht seines unmittelbaren Vorgesetzten ausgeführt?
  • Hat Refat die notwendige Einweisung in die Arbeit in einer gefährlichen Umgebung durchlaufen, bevor er mit der Reinigung beauftragt wurde?
  • Warum behaupteten die örtlichen Behörden und der Arbeitgeber zunächst, dass Refat als Generalarbeiter für das Anbringen von Verkehrszeichen auf der Baustelle eingestellt wurde?
  • Gibt es eine Diskrepanz zwischen der im Vertrag beschriebenen Arbeitsspezifikation und den tatsächlichen Arbeitsaktivitäten, die der Arbeitnehmer durchgeführt hat?”

Heute, fast ein halbes Jahr später, sind die Fragen noch immer nicht beantwortet. ThyssenKrupp, Eleman und auch die Gewerkschaft IG Metall lassen verlauten: Man habe geprüft, aber keine Missstände feststellen können. Es sei ein Unfall gewesen.

„Kein Einzelfall“

Ganz anders wird dies auf der Demonstration gesehen: Immer wieder wird betont, Refat Süleyman sei kein Einzelfall, vermeidbare Arbeitsunfälle, auch tödliche, seien in Deutschland tatsächlich keine Seltenheit.

Ein Redner von Stolipinovo in Europa berichtet davon, die Aktionärsversammlung von ThyssenKrupp mit dem Fall konfrontiert zu haben. Dort soll es geheißen haben, dass sich Fachabteilungen um den Fall kümmern würden, auch würde Kontakt zur Familie bestehen. Die Angehörigen der Familie wissen anderes zu berichten: Die alleinerziehende Witwe und die beiden Kinder des Verstorbenen seien weitgehend auf sich gestellt, niemand wolle Verantwortung für das Geschehene übernehmen.

Auch über den konkreten Fall hinaus werden Forderungen aufgestellt. Beschäftigungsverhältnisse wie das von Refat Süleyman – also die Beschäftigung von Subunternehmen und Leiharbeiter:innen – solle als besondere Form der Ausbeutung insgesamt abgeschafft werden, und die allen Menschen zustehenden demokratischen Rechte müssten auch für migrantische Arbeiter:innen gelten.

“Auf den Straßen von Bruckhausen und Marxloh hört man oft, dass der Tod von Refat keine Ausnahme ist”

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