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Dienstag, März 19, 2024
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    Bis zum letzten Atemzug: Arbeiter:innen in Frankreich wehren sich gegen die Ausbeutung im Alter

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    Seit Wochen toben Proteste in Frankreich, nun intensivieren sie sich. Die herrschende Klasse in Frankreich hat ihre Interessen gegenüber der Arbeit:innenklasse durchgesetzt und mit einem Streich das Rentenalter um zwei Jahre hochgesetzt. Die Proteste unserer französischen Klassengeschwister sind angemessen und demokratischer als all unsere Regierungen in Europa zusammen. Es würde sich auch auch für uns hier in Deutschland lohnen, mehr Arbeitskampf zu wagen kommentiert Ahmad Al-Balah.

    Es war ein Schlag ins Gesicht der Arbeiter:innen in Frankreich: Am Donnerstag beschloss der französische Präsident Emanuel Macron im Namen der Kapitalist:innen per Dekret, dass die Bevölkerung ab jetzt zwei weitere Jahre ausgebeutet werden dürfe – und das im hohen Alter. Damit lässt die bürgerliche Demokratie ihre Maske fallen, und es erscheint ihr wahres Gesicht: die Diktatur des Kapitals.

    Trotz wochenlanger Proteste verschiedener Teile der Arbeiter:innenklasse bis hinein in kleinbürgerliche Schichten hat die französische Regierung, an der Bevölkerung vorbei, das Rentenalter nun also doch herauf gesetzt. Macron & Co. umgingen dabei die Abstimmung durch das Parlament.

    Ministerpräsidentin Elisabeth Borne berief sich dafür gestern auf eine Art Ausnahmegesetz, das die herrschende Klasse für genau solche Zwecke in die Verfassung gepackt hat: in Zeiten einer kapitalistischen Krise den Klassenkampf von oben gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen.

    Frankreich: Anhaltende Proteste gegen die Rentenreform

    Mit der Brechstange gegen die Arbeiterklasse

    Mit dem Artikel §49.3. der bürgerlichen französischen Verfassung kann die Regierung ein Gesetz ohne parlamentarische Abstimmung durchdrücken. Der Artikel gilt als „Brechstange“. Um ihn geltend zu machen, muss lediglich der Ministerrat, also die Regierung selbst, grünes Licht geben. Die Premierministerin, die in Frankreich dem Präsidenten untersteht, kündigt anschließend in der Nationalversammlung einfach an, dass die Regierung das betreffende Gesetz übernimmt – und voila. Dadurch wurde eine als riskant geltende Abstimmung im Unterhaus (der Nationalversammlung) umgangen.

    Zuvor hatte das Oberhaus bereits zugestimmt: Mittwochnacht trug es sich zu, dass eine Kommission aus Abgeordneten und Senator:innen einen Gesetzestext so formulierte, dass ihn am Morgen der Senat (das Oberhaus des Parlaments), mit 193 Ja-Stimmen zu 114 Nein-Stimmen annahm. Die Zustimmung galt als “gewiss”.

    Nun hat Macron seine Macht als Präsident genutzt und das Gesetz durchgesetzt. Die Opposition hat nun lediglich 24 Stunden Zeit, um einen Misstrauensantrag zu stellen. Sollte die Regierung diese Anträge überstehen, gilt das Gesetz als verabschiedet.

    Länger arbeiten und trotzdem geringe Rente

    Das Renteneintrittsalter, das bisher bei 62 Jahren lag, wird von jetzt an bis 2030 auf 64 Jahre erhöht. Zudem sollen französische Arbeiter:innen schon ab 2027 nur noch dann volle Rentenbezüge erhalten, wenn sie mindestens 43 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Die monatliche Mindestrente will die Regierung von 980 auf gerade mal 1.200 Euro hochsetzen. Bei der aktuellen Inflation ist das quasi nichts und weiter steigende Altersarmut unter älteren Arbeiter:innen damit vorprogrammiert.

    Dabei ist das System so designed, dass die gesamte bürgerliche Klasse nicht – wie unsereins – auf ein Rentensystem angewiesen ist. Diese haben Millionen oder gar Milliarden auf dem Konto und haben ihre private Rentenversicherung.

    Deshalb ist auch die oft genannte Begründung falsch, das Renteneintrittsalter müsse aufgrund der Alterung erhöht werden. Denn tatsächlich könnten einfach auch Millionäre und Milliardäre in die allgemeine Rentenkasse einzahlen so wie alle anderen und das “Problem” der Demographie wäre in einem Handstreich beseitigt.

    Aber die herrschende Klasse, also Macron & Co., agiert hier im Namen der Ausbeuterklasse, also den Kapitalist:innen, die uns in ihren Unternehmen schuften lassen, um dann den größten Profit unserer Arbeit für sich zu behalten.

    Die Ursache dafür liegt in der Krise des Kapitalismus: Die Kapitalist:innen müssen immer schärfere Mittel nutzen, um noch einen Gewinn aus uns Arbeiter:innen herauszupressen. Die deutsche Bourgeoisie lässt uns beispielsweise bald bis zu 50 Jahre für sie schuften!

    Altersarmut oder „Rücken“ – die Lage in Deutschland

    Allgemein steigt das Renteneintrittsalter in Europa und der Welt. In zahlreichen Ländern wurden in den letzten Jahren gesetzliche Regelungen zur Anhebung des Rentenalters getroffen. So auch in Deutschland. Nur, wer hierzulande mindestens 45 Beitragsjahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat und vor 1958 geboren wurde, kann ohne Abschläge mit 66 Jahren in Rente gehen.

    Aber halt! Das Renteneintrittsalter wird jährlich sogar noch um 2 Monate erhöht. Das bedeutet für den Jahrgang 1964: Rente erst mit 67 Jahren.

    Dabei kommen die meisten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland nicht einmal auf 45 Beitragsjahre. In Westdeutschland liegt der Durchschnitt bei Männern bei 40,71 Jahren, bei Frauen sogar nur bei 28,65 Jahre.

    Weitere Erhöhungen in der Debatte

    Berater der Bundesregierung haben allerdings bereits eine Erhöhung des Renteneintrittsalter auf 68 Jahre vorgeschlagen. Einige Ökonomen gehen sogar noch weiter und fordern, dass das Renteneintrittsalter hierzulande auf 70 Jahre angehoben werden muss.

    Milliardär-Lobbyist fordert Rente mit 70 für Arbeiter:innen

    Da die Durchschnittsrente heute nur knapp über 1.000 Euro monatlich liegt, sind Rentenkürzungen kaum durchsetzbar. Steuererhöhungen wären ebenfalls riskant gegenüber der jüngeren Generation: Als Arbeiter:innen in Deutschland haben wir bereits heute die höchste Abgabenlast der Welt.

    Da wir also voraussichtlich wortwörtlich arbeiten müssen bis zum Umfallen, wundert es auch nicht, dass sehr viele Rentner trotz Abschlägen vorzeitig in den Ruhestand gehen. Einige körperliche anstrengende Berufe, wie z.B. im Handwerk, sind im höheren Alter in vielen Fällen kaum zu bewältigen.

    Kein Vergleich nötig

    Dabei sollten wir nicht in die Falle tappen, die Arbeitsjahre in Deutschland und Frankreich zu vergleichen. Vielmehr sollten wir uns mit jedem Arbeitskampf – ob national oder international – solidarisieren. Und vielleicht sollten wir in Deutschland mal darüber nachdenken, warum wir uns eine Rente ab 67 oder 70 überhaupt noch gefallen lassen!

    Die Arbeiter:innen in Frankreich haben deutlich gemacht, dass ihnen dieses Renteneintrittsalter zu hoch ist und die Rente zu gering. Einer Regierung, die tatsächlich die Interessen der Menschen vertritt, wäre dies Grund genug, das Projekt zu stoppen.

    Zumindest müsste eine demokratische Regierung gegenüber der arbeitenden Bevölkerung überzeugend darlegen, warum das im langfristigen Interesse der Arbeiter:innen liegen könnte. Dies kann eine bürgerliche Demokratie nicht leisten, die im Interesse der Kapitalist:innenklasse regiert, denn ihr klare Absicht bleibt die maximale Ausbeutung der Arbeitskraft.

    Die Arbeiter:innenklasse schlägt zurück

    Immer mehr Arbeiter:innen können sich das Ungesagte jedoch zusammenreimen. Seit Wochen toben deshalb Proteste in Frankreich, nun intensivieren sie sich.

    In Paris kam es gestern Nacht bei Protesten gegen die Rentenreform zu 217 Festnahmen. Die Polizei ging dabei mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstrierende vor. Diese hatten sich zu Tausenden spontan im Zentrum von Paris versammelt, um gegen die Rentenreform der Regierung zu protestieren.

    Auch in anderen französischen Städten kam es zu klassenkämpferischen Manifestationen der Arbeiter:innen. In Marseille griffen Demonstranten dabei mehrere kapitalistische Geschäfte an und unterstrichen ihre Kampfbereitschaft. Dabei riefen sie laut dem Bericht eines AFP-Korrespondenten „Nieder mit dem Staat“. In Nantes, Rennes, Lille, Grenoble und Lyon entsandte der Staat seinen bewaffneten Arm, die Polizei, um die Versammlungen der Arbeiter:innen zu zerschlagen.

    Zudem sorgten Streiks für Chaos im Bahn- und Flugverkehr, für Müllberge auf den Straßen und ausfallende Unterrichtsstunden. Laut Innenministerium beteiligten sich an den Protesten zeitweise mehr als eine Million Menschen, die Gewerkschaft CGT sprach sogar von 3,5 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

    Die Demonstrationen und Streiks der Arbeiter:innen-Massen haben das Potenzial, nicht nur die Rentenreform zu kippen, sondern darüber hinaus das kapitalistische System und die herrschende bürgerliche Demokratie zu adressieren und zu attackieren.

    Diese Stärke sollten wir uns als Arbeiter:innen auch hier in Deutschland angesichts der sich zuspitzenden Teuerungs- und Arbeitskämpfe ganz bewusst machen.

    • Ahmad Al-Balah ist Perspektive-Autor seit 2022. Er lebt und schreibt von Berlin aus. Dort arbeitet Ahmad bei einer NGO, hier schreibt er zu Antifaschismus, den Hintergründen von Imperialismus und dem Klassenkampf in Deutschland. Ahmad gilt in Berlin als Fußballtalent - über die Kreisliga ging’s jedoch nie hinaus.

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