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Samstag, April 20, 2024
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    „Menschen sterben sinnlos“: Russische Soldaten über den russischen Angriffskrieg

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    Einen Monat lang nahmen russische Soldaten, die in der Ukraine kämpfen, Videos auf und verbreiteten sie im Netz. Sie sprechen über die Zustände an der Front. Dabei wird Außenstehenden klar: Menschenleben werden zum Kanonenfutter für Russlands Streben um Macht. – Ein Kommentar von Elodie Fischer.

    Die Videos russischer Soldaten, die die Zustände an der Front kritisieren, haben sich im letzten Monat gehäuft. Laut Verstka Media, einer unabhängigen Online-Redaktion, wurden Aufnahmen von aus 16 Regionen mobilisierten Soldaten an der Front veröffentlicht. Sie sprechen von sinnlosen Angriffen und fehlender oder veralteter Ausrüstung. Einige der Videos wurde auf dem Twitteraccount wartranslated  – versehen mit englischen Untertiteln – geteilt. Darunter auch ein am 07. März veröffentlichtes Video von Soldaten, die aus Irkutsk, Nowosibirsk und Krasnojarsk mobilisiert wurden.

    Nicht ausgebildete Zivilisten an der Front

    Die Soldaten tragen Masken und berichten davon, dass ihnen bereits Strafen angedroht wurden, sollten sie ihren Gehorsam verweigern: „Uns wird damit gedroht, dass wir in Kellern eingesperrt werden, eins zu eins Diskussionen [mit den Befehlshabern] haben und Rebellen aufgespürt werden.“ Trotz dieser Drohungen haben die Soldaten ihr Video gefilmt und hochgeladen. Ein Grund liegt der Soziologin Anna Colin Lebedev zufolge darin, dass es sich bei den mobilisierten Soldaten nicht um Berufssoldaten handele, sondern um Zivilisten: Sie wurden in einer Mobilmachung Russlands im September 2022 für den Krieg rekrutiert, haben keine Armeeausbildung und hängen an ihren früheren Leben. Auch im besagten Video vom 07. März sprechen sie von ihren Familien und den Kindern zu Hause.

    Wut auf unmittelbare Befehlshaber, Hoffnung auf Putin

    Der Frust und die Kritik richten sich zunächst nur gegen die direkten Vorgesetzten der Soldaten: Sie appellieren darin häufig an Putin, von dem sie sich eine Änderung der Zustände erhoffen, wenn er durch ihre Videos darüber erfährt. Es ist also noch lange nicht von einer Rebellion gegen die russische Führung und den Angriffskrieg gegen die Ukraine in Gänze zu sprechen.

    Dennoch zeigen die Videos der Soldaten ihre Kriegsmüdigkeit und ihr Zweifeln an den Befehlen von oben – auch wenn sich das zunächst nur gegen die unmittelbaren Vorgesetzten richtet. Abzuwarten ist, wie sich die Stimmung der Soldaten entwickeln wird, wenn Putin nicht auf ihre Appelle reagiert. In einem sich von den anderen unterscheidenden Video wendet sich ein Leutnant z.B. nicht an Putin und spricht stattdessen davon, dass er die kommenden Befehle nicht ausführen werde.

    Von offizieller Seite werden diese Videos diskreditiert: Es handle sich um Lügen der Soldaten, um ihre Angehörigen zu beruhigen. Abgeordnete der Regionen kündigten jeweils Besuche bei den Einheiten an.

    Was geschieht bei der Rückkehr nach Russland?

    Ein weiterer entscheidender Moment wird kommen, wenn die mobilisierten Soldaten nach sechs Monaten an der Front ihren Diensturlaub in der Heimat antreten. Sie könnten – zurück in Russland – andere Geschichten vom Krieg erzählen als die russischen Medien sie verbreiten. Somit besteht die Möglichkeit, dass sich die Kriegsmüdigkeit der Soldaten an der Front auf die zivile Gesellschaft in Russland ausweitet.

    Noch ist jedoch kein Aufstand abzusehen. Es ist zu erwarten, dass die russische Regierung ihr Bestes tun wird, jegliche solcher Entwicklungen zu verhindern. Eines wird durch die Videos jedoch zweifelsfrei deutlich: Einige Soldaten wittern, dass sie als Kanonenfutter missbraucht werden und wollen dies nicht länger hinnehmen. Sie sagen klar: „Wir sind Menschen, kein Fleisch.“

    • Perspektive-Autorin seit 2023, politisiert über Palästina-Aktivismus. Schreibt vor allem über Frauen- und Arbeiter:innen-Kämpfe. Studiert und arbeitet im Kulturbereich in Berlin, gibt gerne Buchempfehlungen.

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