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Donnerstag, April 25, 2024
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    TVÖD-Streiks: In der dritten Verhandlungsrunde keinen faulen Kompromiss!

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    Ende Januar begannen die Auseinandersetzungen um einen neuen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD). Nach Streiks im Februar und März gehen am Montag und Dienstag die Arbeitsniederlegungen weiter. Für den 27. März ist ein bundesweiter Streik an Bahnhöfen und Flughäfen geplant. Damit soll der Druck vor der dritten Verhandlungsrunde erhöht werden. Zugleich lassen die bisherigen Forderungen und die Verhandlungsführung von ver.di nicht auf eine weitere Dynamik hoffen. Einen faulen Kompromiss darf es jedoch nicht geben! – Ein Kommentar von Tim Losowsky.

    Rund 2,5 Millionen Menschen arbeiten im öffentlichen Dienst in den Kommunen oder beim Bund – sie alle sind von den aktuellen Tarifverhandlungen über einen neuen TVÖD-Abschluss direkt betroffen.

    Der letzte Tarifvertrag wurde im Oktober 2020 einige Monate nach Pandemie-Beginn abgeschlossen. Über 28 Monate sollten die Gehälter um gerade einmal 3,2 Prozent steigen. Damals war klar, das wird mindestens eine Nullrunde – heute wissen wir: die verhandelnden Gewerkschaften haben mit ihrer langen Laufzeit sogar einen Reallohnverlust für die Beschäftigten organisiert. Denn von damals bis heute stiegen die Preise um 14,2%. Der Reallohnverlust liegt seit dem letzten Abschluss also bei etwa 11%.

    Die gleichen Gewerkschaften verhandeln jetzt wieder. Die Beschäftigten werden in den Verhandlungen von ver.di, dem Beamtenbund dbb sowie weiteren DGB-Gewerkschaften wie der  Gewerkschaft der Polizei (GdP) vertreten. Die Verhandlungsführung wird von ver.di-Chef Frank Wernke übernommen, der selber SPD-Mitglied ist. Auf der „Gegenseite“ stehen dabei seine Parteikolleginnen Nancy Fraeser (SPD) für den Bund und Karin Welge (SPD) für die Kommunen.

    Warum 10,5 Prozent lange nicht ausreicht

    Explizit fordert die Gewerkschaft ver.di in der Tarifrunde 10,5% mehr Gehalt und mindestens 500 Euro mehr im Monat. Laut eigener Aussage könnten dadurch Arbeitsplätze für Bewerber:innen attraktiver werden. Das würde ein erster Schritt sein, den massiven Personalmangel in vielen Branchen im öffentlichen Dienst auszugleichen. Doch selbst mit diesen Forderungen lasse sich die Inflation “gerade mal so ausgleichen”, gibt ver.di-Vorsitzender Frank Werneke zu.

    Für die bisherige Inflation dürfte das richtig sein – jedoch nicht für die kommende: Für das Jahr 2023 wird eine Gesamtinflation von 5-6% vorausgesagt. Allein um diese zukünftige Inflation einzupreisen und zugleich die bisherigen Reallohnverluste auszugleichen, würde es also einer Reallohnerhöhung um rund 17% bei einer Laufzeit von 12 Monaten bedürfen.

    Hinzu kommt: In dieser Forderung sind Lohnerhöhungen noch gar nicht mit beachtet. Dabei gibt es gute Gründe dafür:

    • Viele Teile des öffentlichen Dienstes waren wegen der Pandemie umso stärker gefordert und hielten „den Laden am laufen“. Dafür braucht es eine Wertschätzung!
    • Im letzten Jahr haben die deutschen Großunternehmen bei der Ausschüttung ihrer Gewinne alle Rekorde gebrochen: 70 Milliarden Euro wurden den Aktionär:innen übergeben. Hier sollte deutlich endlich deutlich werden, dass das Geld grundsätzlich „da“ ist und steuerlich abgeschöpft werden könnte – denn aktuell liegt es nur in den Händen einer kleinen Minderheit.
    • Doch selbst ohne Abschöpfung scheint Geld grundsätzlich abrufbar zu sein. So hat die Bundesregierung vor etwa einem Jahr ein Aufrüstungspaket über 100 Milliarden Euro aus dem Boden gestampft. Auch der Militäretat soll dauerhaft um 10 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Das steht bei den Verhandlungen ebenfalls im Hintergrund: So erklärten Berater:innen des Verteidigungsministers Pistorius (SPD), dass sie befürchteten, dass das notwendige Geld für die Bundeswehr bei den Arbeiter:innen des öffentlichen Dienstes landen würden. Das zeigt ein weiteres Mal, wie eng verschiedene Politikfelder ineinander greifen und wie ein konsequenter Lohnkampf auch ein Kampf gegen Militarisierung sein muss.
    • Zudem werden für 2023 Mehreinnahmen durch Steuern in Höhe von 8,9 Milliarden Euro erwartet.

    Zuletzt sollte nicht vergessen werden: Durch den anhaltenden Arbeitskräftemangel haben die Beschäftigten eine starke Verhandlungsposition. Diese sollte genutzt werden – um sowohl Reallohnausgleich als auch leichte Lohnerhöhungen zu erkämpfen.

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    Doch von solchen Forderungen in Höhe von etwa 20% sind die Gewerkschaften weit entfernt. Selbst bei der viel zu niedrigen Forderung nach 10,5% mehr und „mindestens 500€“ ist fraglich, wie sehr die verdi-Führung gewillt ist, dies wirklich durchzukämpfen. Einen Vorgeschmack darauf hat das kürzliche Ergebnis in den Verhandlungen der Post gegeben.

    Dort stieg ver.di mit einer viel höheren Forderung ein – nämlich 15% auf 12 Monate. Obgleich die Beschäftigten mit großer Mehrheit von 85% für einen unbefristeten Streik stimmten, lenkte ver.di in den Verhandlungen kürzlich bereits schon ein, bevor der große Streik begann. Heraus kamen durchschnittlich 11,5% auf 24 Monate. Damit wird der Reallohnverlust seit der bisherigen Teuerungswelle aufgefangen, aber was ist mit der Inflation, die noch kommt?

    Immer wieder wird von Gewerkschaftsfunktionär:innen die mangelnde Streikbereitschaft für schlechte Ergebnisse ins Feld geführt. Wie wenig oftmals an diesem “Argument” dran ist, zeigt dieses mangelhafte Ergebnis.

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    Streiks als Flickenteppich

    Auch im aktuellen Tarifkampf wurde die wirkliche Kampfkraft der Kolleg:innen nicht konsequent genutzt: So kam es zwar im Februar und März zu einer Reihe von Streiks und immer wieder auch zu punktuellen Kooperationen mit politischen Kämpfen wie z.B. Fridays for Future (am 3.3.) oder den „Frauenstreiks“ am 8. März – doch eine wirklich bundesweites Signal gab es bisher nicht.

    Am Montag und Dienstag wird etwa der Verkehr in NRW lahmgelegt, doch erst für kurz vor der nächsten Verhandlungsrunde vom 27.-29.3 soll es bundesweit zu Arbeitsniederlegungen an Flughäfen und Bahnhöfen kommen.

    In einer Zeit der breiten Verarmung ist das das Mindeste. Es muss noch einmal weiterer Druck vor der nächsten Verhandlungsrunde aufbaut werden. Um die Reallöhne zu sichern, dürfte ein unbefristeter Streik im ÖD notwendig sein. Deshalb bedarf es nicht nur des Drucks auf den Staat, die Löhne zu erhöhen, sondern auch auf die Tarifkommission, keinen nächsten faulen Kompromiss zu schließen und stattdessen die ganze Kampfkraft zu entfalten!

    • Perspektive-Autor und -Redakteur seit 2017. Schwerpunkte sind Geostrategie, Rechter Terror und Mieter:innenkämpfe. Motto: "Einzeln und Frei wie ein Baum und gleichzeitig Geschwisterlich wie ein Wald."

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