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Freitag, April 19, 2024
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    Deutsche Post: Ver.di und der „Klassenkompromiss“

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    Ein neuer Tarifvertrag bei der Post steht. Die Mitglieder der Gewerkschaft ver.di stimmten knapp dem Ergebnis der vierten Verhandlungsrunde zu. Doch der neue Vertrag ist kaum besser als das alte Angebot der Deutschen Post, weswegen eigentlich unbefristete Streiks ausgerufen werden sollten. Ver.di hat sich hier einmal mehr schützend vor das Kapital gestellt – und das ist kein Zufall, denn der DGB steht für die “Sozialpartnerschaft” und den „Klassenkompromiss“. Ein Kommentar von Fridolin Tschernig

    Bis zum vergangenen Donnerstag konnten ver.di-Mitglieder über das vierte Tarifangebot von Post und ver.di abstimmen. Der Tarifvertrag, der jetzt von den Mitgliedern mit 61,7 Prozent angenommen wurde, ist dem Konzern-Vorschlag aus der dritten Verhandlungsrunde aber gar nicht so unähnlich. Jetzt erhalten die Post-Angestellten einmalig 1.020 Euro Sonderinflationsausgleichszahlung im April diesen Jahres, auf die elf Mal 180 Euro pro Monat folgen. Insgesamt also 3.000 Euro Einmalzahlung, die schön über ein Jahr gestreckt ausgezahlt wird. Langfristig sind diese Einmalzahlungen immer zum Nachteil für die Lohnabhängigen, weil ihre Löhne dadurch eben nicht kontinuierlich angehoben werden. Die Inflation frisst auf kurz oder lang jede Einmalzahlung komplett auf.

    Dazu kommt noch eine Lohnerhöhung von 340 Euro pro Monat ab April 2024 für die Vollbeschäftigten. Das entspricht bei den unterschiedlichen Lohnhöhen 11 bis 16% Lohnerhöhung. Und das alles verbunden mit einer Friedenspflicht, oder auch „Vertragslaufzeit“ genannt, von 24 Monaten, in der kein Arbeitskampf stattfinden darf. Übersetzt sind das 2 Jahre ununterbrochener Inflation, ohne dass die Löhne über die im Tarifvertrag abgesprochenen Anhebungen hinaus erhöht werden können.

    Das ursprüngliche Angebot, das die Arbeiter:innen bei der Post so empört hatte, dass sie sogar mit 85,6 Prozent einen unbefristeten Streik ausrufen wollten, war nicht sonderlich anders. Dieses Angebot hätte eine Lohnsteigerung von durchschnittlich 9,9 Prozent bedeutet, bei einer eben so langen Vertragslaufzeit von 24 Monaten. Und das wurde eben am 8. März mit einem klaren Zeichen der Arbeiter:innen beantwortet: Nur 12 Monate Vertragslaufzeit oder Streik!

    Schnelle Reaktion von Ver.di folgte

    Aber um diesem Streik ein schnelles Aus zu bescheren, einigte sich die Gewerkschaft mit der Post nur ein paar Tage nach der Urabstimmung: Am 11. März rief dann die ver.di ihre Mitglieder auf, bei der nächsten Abstimmung den Streik doch lieber ganz schnell wieder zu vergessen und dem Kapital die Hand zu reichen.

    Es ist also kein Wunder, dass sich einige Arbeiter:innen von den Machenschaften der Gewerkschaft hintergangen fühlen. Statt einem Streik, der mal kein einfacher angemeldeter und befristeter Warnstreik gewesen wäre, ein abrupter Kurswechsel hin zu einem schlechten Tarifabschluss, der wieder einmal eine Reallohnsenkung bedeutet.

    Sobald es in Deutschland mal wieder zu einem Streik kommen könnte, bei dem das Kapital nicht weiß, wie lange gestreikt wird oder die Gewerkschaften die Arbeiter:innen nicht schon vorher beruhigen können, da reagiert ver.di meistens ganz schnell: Die Profite der Post dürfen ja nicht geschmälert werden!

    Sozialpartnerschaft über Klassenkampf

    Dass die DGB-Gewerkschaften immer wieder damit auffallen, dass sie Reallohnsenkungen „erkämpfen“, ist kein Zufall. Diese Gewerkschaften stehen für die sogenannte “Sozialpartnerschaft”. Aber was ist das genau?

    “Sozialpartnerschaft” bedeutet, dass der Arbeitskampf gemildert geführt werden soll. Nämlich so, dass das Kapital nicht all zu sehr darunter leidet. Es geht dabei in dieser Erzählung immer darum, eine Art von „Kompromiss“ zu finden, bei dem sowohl die Arbeiter:innen als auch die Kapitalist:innen nicht gut aber auch nicht schlecht abschneiden würden.

    Aber so was wie einen „Klassenkompromiss“ gibt es nicht. Entweder das Verhandlungsergebnis verbessert die Lage derjenigen, die ihr ganzes Leben arbeiten und dafür auch ein paar Tage Urlaub, einen Lohn, mit dem sie ihre Familie ernähren können, und Arbeitsschutz erhalten wollen. Oder das Verhandlungsergebnis ist gut für diejenigen, für die höhere Löhne, besserer Arbeitsschutz oder gar bezahlter Urlaub schlichtweg weniger Profit bedeutet. Da gibt es nichts dazwischen.

    Der „Klassenkompromiss“ ist eine Illusion. Eine Illusion, die von den DGB-Gewerkschaften immer weiter aufrecht erhalten wird und letztlich ihre ganze Existenzberechtigung bedeutet. Denn so, wie die DGB-Gewerkschaften die „Arbeitskämpfe“ führen, hat das nur noch sehr wenig mit einem wirklichen Arbeitskampf zu tun.

    Ihre Warnstreiks sind angekündigt, ihre Forderungen zu gering, ihre Verhandlungen laufen nach dem immer gleichen Schema: eine, zwei, drei Tarifverhandlungen, bei denen immer gesagt wird, dass die Chefs der Unternehmen nicht haben mit sich reden lassen … und dann kommt – oh Wunder – ein schlechtes Verhandlungsergebnis, für das die Gewerkschaftsspitze nichts könne.

    Der DGB und das Kapital

    Oberflächlich gesehen scheinen der DGB und das Kapital Todfeinde zu sein. Aber ist der Arbeitskampf beispielsweise von ver.di nicht sehr zahm und angenehm für das Kapital? Sind die DGB-Gewerkschaften letzten Endes etwa doch nicht der organisierte Ausdruck von uns wütenden Arbeiter:innen?

    Dafür müssen wir nur kurz in die Geschichte zurückschauen. Denn der DGB entwickelte sich von Beginn an nicht von der Basis her, war von Anfang an kein Werkzeug zum Klassenkampf von unten.

    Viele Arbeiter:innen, die sich noch gegen den Faschismus gewehrt hatten, gründeten von 1945 bis 1947 immer wieder kleinere Räte und Gewerkschaften in den Betrieben, die gewissermaßen die Vorläufer der späteren DGB-Organisationen werden würden. Am Anfang probierten die Besatzungsmächte, diese wirkliche Arbeiter-Selbstorganisierung noch mit Verboten und bürokratischen Hürden zu bekämpfen. Aber die Besatzungsmächte änderten nach dieser fehlgeschlagenen Repression ab 1947 sehr schnell und erfolgreich ihre Taktik.

    Treffender als der Generalgouverneur der Militärbesatzung der USA, Lucius D. Clay, es sagt, kann es kaum beschrieben werden: “Das Argument war, durch langsames Vorgehen bei der Wiedererrichtung von Arbeiterorganisationen in Deutschland das bedeutende Risiko, dass solche Organisationen von den Kommunisten erobert würden, merklich zu verringern, wenn nicht ganz auszuschalten.”

    Dass der DGB dann nur „seine Leute“ an der Spitze hatte, die sie in den folgenden Jahren weiter von Unliebsamen säuberten und die Gewerkschaften komplett undemokratisch strukturierten, ist kaum ein Wunder. Das Kapital hatte damals mit Hilfe der Besatzungsmächte, insbesondere den USA, die ehrlichen Bemühungen der Arbeiter:innen für eine Einheitsgewerkschaft und eine starke Organisierung aufgegriffen und in kontrollierbare Bahnen gelenkt.

    Am Ende bleiben eindrucksvolle Beispiele vom Verrat der Gewerkschaften an ehrlich kämpfenden Arbeiter:innen wie 1973 bei Ford oder 2004 bei Opel in Bochum. Da reihen sich die jetzigen Machenschaften von ver.di und der Post nur in diese Tradition ein.

    • Seit 2022 Autor bei Perspektive. Schreibt als Studierender aus Sachsen insbesondere internationalistisch über die Jugend, Antimilitarismus und das tagespolitische Geschehen. Vorliebe für Gesellschaftsspiele aller Art.

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