Im Sudan stehen sich derzeit die Armee und die noch 2013 von Diktator Omar Al-Bashir privat gegründete „Schnelle Einsatztruppe“ (RSF) gegenüber. Beide hatten zunächst gemeinsam agiert und den Volksaufstand von 2019 mit einem Militärputsch im Jahr 2021 gekontert. Seitdem teilten sie sich die Macht im Staat auf. Nun hat die Armee jedoch militärische Schritte unternommen, die Privatarmee RSF auszustechen und sich die profitable Alleinherrschaft im Sudan unter den Nagel zu reißen.
Explosionen und Schüsse erschüttern seit vergangenem Samstag die sudanesische Hauptstadt Khartum. Wie Mediziner mitteilten, nimmt die Luftwaffe Stellungen der RSF-Miliz in Wohngebieten ins Visier und schreckt auch vor Bombenangriffen über Krankenhäusern nicht zurück. So könnten 70% der 74 Krankenhäuser in Khartum und Umgebung wegen der Kämpfe nicht mehr genutzt werden, erklärte die Ärztegewerkschaft.
Auch in der Region Darfur im Westen sowie in weiteren Teil des Landes wird gekämpft. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden seit Ausbruch der Kämpfe mehr als 330 Menschen getötet und fast 3.200 verletzt. „Den Familien gehen die Vorräte aus und die Wasserversorgung ist zusammengebrochen“, so Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge. Die Versorgungswege seien blockiert, die meiste internationale Hilfe ohnehin ausgesetzt und die Vorräte der Hilfsorganisationen geplündert worden.
Bereits vor der jüngsten Eskalation waren rund 16 Millionen Menschen, ein Drittel der Bevölkerung, auf humanitäre Hilfe zum Überleben angewiesen. Die Ernährungslage im Sudan ist aufgrund von Trockenheit, hohen Preisen und schwindenden Lebensgrundlagen infolge der langjährigen Wirtschaftskrise und anhaltender Vertreibung katastrophal. Das Land gehört zu den ärmsten der Welt.
Keine Waffenruhe zum Zuckerfest
Auch die Hoffnung auf eine Waffenruhe im Sudan zum Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan habe sich jetzt zerschlagen. Am Freitagmorgen, dem ersten Tag des Zuckerfests „Eid Al-Fitr“, waren wieder Explosionen und Raketenangriffe zu hören, meldete ein sudanesisches Ärztekomitee. Zuvor hatte die reaktionäre, paramilitärische RSF zwar einem 72-stündigen Waffenstillstand über die Feiertage zugestimmt, die ebenfalls reaktionäre sudanesische Armee lehnte jedoch ab.
Die Mehrheit der Sudanesen, die auf informelle Arbeitsmöglichkeiten angewiesen sind – also als Tagelöhner im Transportwesen oder auf dem Markt etwas Geld verdienen – können derzeit nicht raus, weil es draußen zu gefährlich ist. Die Arbeiter:innenklasse steht damit zu Millionen existenzieller Not gegenüber.
Strukturelle sexuelle Gewalt besonders im Krieg
Hala Al-Karib, sudanesische Frauenrechtlerin und Demokratieaktivistin, berichtet gegenüber Zeit.de: „Überall in der Stadt kommt schwere Artillerie zum Einsatz, um unsere Häuser herum hören wir Schüsse und Kampfflieger, die verschiedene Stadtteile bombardieren. Die Kämpfer der RSF plündern Läden, brechen in Häuser ein und terrorisieren die Bewohner. Auch hören wir von Fällen sexueller Gewalt. Wir wissen nicht, was passieren wird, es herrscht große Unsicherheit.“
Speziell für Frauen sieht sie zurzeit große Gefahr: Generell sei das politische System im Sudan noch immer sehr patriarchal geprägt und folge einer islamistisch-fundamentalistischen Ideologie. Zurzeit wüteten die Kämpfer der RSF als auch die Soldaten der Armee vollkommen ungezähmt. Sie seien „bekannt dafür, dass sie Frauen und Mädchen Gewalt antun“. Sowohl die Milizen als auch die Armeesoldaten hätten in der Vergangenheit „sehr schwere sexuelle Verbrechen“ an Frauen und Mädchen begangen.
Studentinnen hätten bereits ihre Türen verbarrikadiert, weil sie fürchteten, dass Kämpfer reinkommen und ihnen etwas antun könnten. Ihre Furcht sei berechtigt, so Al-Karib. Sie terrorisierten Frauen, was dazu führe, dass sie Angst hätten, sich öffentlich zu äußern und aktiv politisch zu beteiligen.
Zur patriarchalen Unterdrückung meint Al-Karib, Frauen würden nicht als einflussreiche Akteure innerhalb politischer Institutionen anerkannt, in der Zivilgesellschaft hingegen seien sie „erfolgreich und gut organisiert.“
„Die sudanesischen Frauen waren schon immer maßgeblich an den politischen Veränderungen beteiligt. Sie haben die Revolution angeführt, die zu Baschirs Sturz und dem Ende seiner 30 Jahre währenden Diktatur geführt hat. Sie waren nicht nur Teilnehmerinnen, sondern haben die Proteste aktiv organisiert.“
Doch auch wenn die Frauen den Widerstand gegen die brutale Unterdrückung anführten, waren sie vom Übergangsprozess „größtenteils ausgeschlossen“, so Al-Karib. Für einen echten Wandel müsse die strukturelle Diskriminierung von Frauen überwunden werden.
Doppelmoral der imperialistischen Staaten
Sie ärgere sich in diesem Kontext über die „Doppelmoral der internationalen Gemeinschaft“. Diese habe während der Revolution noch den Kampfgeist der sudanesischen Frauen bejubelt, sich danach aber wenig dafür eingesetzt, dass sich die Frauen politisch beteiligen können.
Al-Karib unterstellt der internationalen Gemeinschaft zudem große „Naivität“, wie sie es ausdrückt: „Die Welt hat den Sudan den Generälen überlassen, die kein Interesse am Regieren haben, sondern nur damit beschäftigt sind, sich an den Ressourcen des Landes zu bereichern. Sie plündern Ressourcen und sind involviert in illegale Geschäfte wie Geldwäsche und illegalem Bergbau.“
Die internationale Gemeinschaft habe das hingenommen und geglaubt, sie könnten die beiden Generäle mit der Zeit schon irgendwie positiv beeinflussen. Die Wahrheit sei aber, dass die internationale Gemeinschaft „die Augen vor den Verbrechen beider Seiten verschlossen hat.“
Derweil stellt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fest, es gehe jetzt darum, schnell einen Weg zu finden, wie „wir die [deutschen] Menschen rausholen“ könnten. Die Lage werde gerade sondiert. Die Bundeswehr hat aus Risikobedenken eine Evakuierungsaktion abbrechen müssen, bei der gut 150 Deutsche aus dem Sudan ausgeflogen werden sollten. Die EU und UN fordern eine Waffenruhe, die jedoch schlichtweg nicht eingehalten wird.
Konterrevolution auf Kosten der Bevölkerung
Im Sudan stehen sich also sudanesische Armee und paramilitärische „Schnelle Einsatztruppen“ (RSF) gegenüber. Letztere wurde 2013 von Diktator Omar Al-Bashir privat gegründet. Beide gingen bei dem Sturz von Bashir im April 2019 in Folge eines Volksaufstands brutal gegen Demonstrierende im Sudan vor.
Die schnelle, brutale Vorgehensweise in Kombination mit Vergewaltigungen, Misshandlungen und Brandstiftung, um größtmögliche Angst in der arbeitenden Bevölkerung zu erzeugen, hatte schon damals System, schrieb Dirk Shevek im Juni 2019 bei Perspektive Online.
Auch gab die RSF bereits damals selbstsicher zu, sie müsse international nichts befürchten, da sie im Interesse der EU agiere, weil sie die Flüchtlinge im Land behielte. Sofern sich die EU nicht offen gegen die RSF wende, profitierten also beide, so Shevek.
Armeechef Abdel Fattah al-Burhan und RSF-Anführer Mohamed Hamdan Daglo sind also seit der Machtübernahme 2019 Verbündete. Im Oktober 2021 führten beide zudem gemeinsam einen direkten Militärputsch gegen die zivile Regierung an, wodurch der international unterstützte Übergang zur parlamentarischen Demokratie stoppte.
Dadurch putschte sich das Militär im Sudan erneut an die Macht. Im November wurde nach Protesten in der Bevölkerung auf Gnade des Militärs eine „Übergangsregierung“ mit Premierminister Abdullah Hamdok an der Spitze eingesetzt, der jedoch sowohl „zivile“ als auch Vertreter:innen des Militärs angehörten. De facto beafand sie sich also im festen Griff des Militärs.
Die Protestierenden warfen Hamdok daraufhin Verrat vor und forderten dessen Rücktritt, den dieser auch einreichte. Es wurden Parolen wie „Nein zur Militärherrschaft“ gerufen. In Khartum wurden Autoreifen verbrannt und Barrikaden errichtet. Um das Hauptquartier der Armee und den Präsidentenpalast herum waren Polizist:innen, Soldat:innen und paramilitärische Einheiten stationiert, die mit Tränengas gegen die Protestierenden vorgingen.
Laut der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ sollen bereits 60 Demonstrant:innen nach dem Putsch getötet worden sein. Die Militärregierung hielt bisweilen öffentlich an ihrer Aussage fest, sich nach den 2023 vorgesehenen Wahlen zurückziehen zu wollen.
Machtkampf zwischen Armee und Miliz
Das ist nun nicht mehr der Fall. RSF-General Daglo, genannt „Hemeti“, nennt den Putsch inzwischen einen Fehler, während General al-Burhan der Armee weiter daran festhält.
Eine Verhandlungslösung schloss die Armee aus. „Es wird keine bewaffneten Kräfte außerhalb des Militärs geben“, teilte das Militär mit. Zu verhandeln sei nur über eine Kapitulation der RSF. Auch der um Frieden bemühte UN-Sondergesandte Perthes meint, die Generäle erweckten nicht den Eindruck, verhandeln zu wollen.
Die Armee versucht nun vielmehr, ihren Kontrahenten RSF auszustechen, um das alleinige Gewaltmonopol zu erzwingen und somit über den Sudan und dessen Arbeiter:innen herrschen zu können. Die RSF will zwar ähnliches, doch keine der beiden bürgerlich-militärischen Kräfte will die Macht und damit die Profite durch die Ausbeutung des Landes und die Geiselhaft der Bevölkerung teilen.
Aus dem Sudan werden jährlich 80 bis 100 Tonnen Gold exportiert. Das Land gehört – nach Südafrika und Ghana – zu den größten Goldexporteuren der Welt. Für den maximalen Profit, an dem auch das herrschende Militär ordentlich mit verdient, werden Natur und Mensch ausgebeutet. So kommt es immer wieder zu Arbeitsunfällen in den Minen.
Frauenrechtlerin Al-Karib meint, die RSF sowie die Armee kämpften um nichts Geringeres als „ihre zukünftige Rolle im Staat“, mitsamt aller Profite aus der Ausbeutung des Landes und internationaler Hilfsgelder. Ihrer Meinung nach müsse jetzt erst einmal dafür gesorgt werden, wie die einfachen Arbeiter:innen und vor allem die Frauen im Sudan geschützt werden können. Dann müsse man gegen beide Konfliktparteien vorgehen – sonst ziehe sich der Krieg und die Ausbeutung noch lange Jahre.