Für viele Menschen, die für soziale Gerechtigkeit einstehen, waren die 1. Mai-Demonstrationen heute ein Pflichttermin. Doch eine Demonstration alleine wird nicht ausreichen. Was jede/r einzelne tun kann, um der dauerhaften Verwirklichung unserer Zeile näher zu kommen. – Ein Kommentar von Tim Losowsky
Millionen Menschen waren heute weltweit auf der Straße. Sie protestierten gegen Preisexplosionen, niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, aber auch gegen Militarisierung, imperialistische Besatzung, Umweltzerstörung und Unterdrückung von Frauen und LGBTI+. Der 1. Mai ist eine kraftvolle Erinnerung daran, dass die Arbeiter:innenbewegung keine Idee „von gestern“, sondern lebendig ist und auf eine weit über eine Jahrhundert währende Tradition zurückschauen kann.
Doch am 1. Mai geht es nicht um Tradition, sondern um den Kampf für bessere Lebensverhältnisse und eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus. Der 1. Mai ist der Kristallisationspunkt unserer Kämpfe. Und doch können unsere Ziele nicht an einem einzelnen Tag erreicht werden.
Das liegt daran, dass wir einem Gegner gegenüberstehen, der über scheinbar weitaus mehr Macht verfügt als wir: das Kapital „besitzt“ die Fabriken und hat das „Recht“ uns rauszuwerfen. Über tausende Fäden kontrollieren die Kapitalist:innen den Staat und wissen im Zweifelsfall die Polizei an ihrer Seite. Solche Macht beseitigen wir nicht an einem Tag. Was es braucht, ist der kontinuierliche Aufbau einer klassenkämpferischen Arbeiter:innenbewegung.
Die Möglichkeiten sind da
Der 1. Mai in Deutschland zeigt uns: die Potenziale dafür sind vorhanden! Aber von wirklichem Klassenkampf ist kaum etwas zu spüren. Auch wenn sie derzeit größere Kämpfe als sonst organisieren – effektiv handeln die DGB-Gewerkschaften eine Reallohnsenkung nach der anderen aus. In der Kriegsfrage stehen sie nicht für internationale Solidarität, sondern für die Unterstützung der NATO. Wenn es um den Kampf gegen Repression und Faschismus geht, sind sie kaum relevant.
Doch nach wie vor haben viele Menschen, die diese Politik ablehnen, kaum alternative organisatorische Anknüpfungspunkte, in denen sie einen effektiven Widerstandspol sehen.
So etwas gilt es zu schaffen. Das ist ein Aufruf an mich und dich, an organisierte Linke und die Kolleg:innen, die zwar Kritik an der Klassenversöhnung haben, aber doch beim Meckern stehen bleiben.
Die klassenkämpferische Arbeiter:innenbewegung entsteht weder spontan, noch lässt sie sich einfach durch ein paar kluge Worte „von oben“ herstellen.
Eine klare strategische Perspektive mit dem Willen, sie in die Tat umzusetzen, muss zusammenkommen mit dem Engagement immer größerer Teile unserer gemeinsamen Klasse, die merken, dass es „so kann es nicht weitergehen“ kann, und die endlich anfangen wollen, etwas zu tun. Nur wo, nur wie?
Wurzeln schlagen
Was bei den aktuellen Problemen deutlich wird: Den klassenkämpferischen Kräften fehlt es an tiefer Verwurzelung in der Arbeiter:innenklasse. Damit ist nicht gemeint, dass sie nicht aus Arbeiter:innen bestünde – das tut sie sehr wohl zu einem nicht unerheblichem Teil. Doch die Verbindungen untereinander und in der Breite, dort, wo wir leben und arbeiten, fehlen.
Diese können wir nur selber schaffen:
- Z.B. in unseren Betrieben, wo wir das Kaltgetränk mit den Kolleg:innen zu einem Stammtisch entwickeln können, an dem unsere Probleme diskutiert werden, um anschließend in eine kämpferische Betriebsgruppe zu münden.
- Z.B. in unseren Stadtteilen, in denen wir die Einladung unserer Nachbar:innen zu einem Tee zu einem regelmäßigen Kontakt hin zu einem lockeren Mieterrat oder einer größeren Protestaktion bei der nächsten Mieterhöhung ausbauen.
- Z.B. in unseren Schulen und Universitäten, wo wir unsere Mitlernenden anspornen können, eine eigene Schüler:innen-Zeitung auf die Beine zu stellen oder der Uni-Bürokratie mit Besetzungsaktionen Zugeständnisse abzutrotzen.
Überall dort verbinden wir die Kämpfe gegen die alltäglichen Zumutungen des Kapitals mit unseren größeren Zielen – betten sie ein in den Kampf gegen Rassismus, Patriarchat und Umweltzerstörung, für eine andere Zukunft, eine sozialistische Zukunft.
Mit der Verankerung dort, wo wir und unsere Klasse leben und arbeiten, und in Verbindung der Kämpfe vor Ort mit den großen politischen und sozialen Fragen unserer Zeit können wir die Grundlage schaffen für eine mächtige klassenkämpferische Arbeiter:innenbewegung.
Lassen wir also den Geist des 1. Mai in unseren Alltag.