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Donnerstag, November 14, 2024
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    Warum wird die „Letzte Generation“ kriminalisiert?

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    Das Landgericht Potsdam hatte schon im April entschieden, dass bei der Organisation „Letzte Generation“ der Anfangsverdacht einer kriminellen Vereinigung gegeben sei. Diese Kriminalisierung der als „Klimakleber“ verspotteten Umweltorganisation stellt eine weitere Verschärfung staatlicher Repression in der BRD dar. Die weiteren Aussichten für die Klimabewegung, aber auch für die breite Masse an widerständigen Menschen in Deutschland sehen demnach nicht gut aus. – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko

    Weil Betroffene in zwei Instanzen gerichtlich gegen Hausdurchsuchungen vorgegangen waren, hat die Staatsschutzkammer am Landgericht Potsdam schon im April ebenfalls ein Urteil zu dieser Frage gefällt (Perspektive berichtete): Der Anfangsverdacht einer „kriminellen Vereinigung“ sei durchaus gegeben.

    „Letzte Generation“ bald eine kriminelle Vereinigung?

    Die Bildung oder Unterstützung einer „kriminellen Vereinigung“ ist ein Strafbestand innerhalb des berühmt-berüchtigten Paragrafen 129 StGB, der bereits aus dem Kaiserreich stammt.

    Kontrovers ist er – gemeinsam mit seinen Schwesterparagrafen 129a und b („terroristische Vereinigung“ und „kriminelle/terroristische Vereinigung im Ausland“) – auch aufgrund seiner damals intensiven Nutzung durch den Hitlerfaschismus gegenüber politischen Feinden. Die Tradition dieses Paragrafen zieht sich also von einer tyrannischen Monarchie über die faschistische Diktatur bis tief hinein in die „moderne“ BRD.

    Auch der gegenwärtige deutsche Staat machte in Vergangenheit gerne Gebrauch von diesem Paragrafen, um beispielsweise in den 1970ern die Guerilla-Organisation RAF oder im Jahr 2020 im sog. „Münchener Kommunistenprozess“ türkischen Kommunist:innen den Prozess zu machen.

    Besonders auffällig an dem Gesetz ist, dass es sich eigentlich um ein Gesinungsstrafrecht handelt. So muss für die Einstufung als „kriminelle/terroristische“ Organisation eine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ ausgehen, konkrete Straftaten müssen nicht begangen worden sein. Und wer bestimmt das? Der deutsche Staat.

    Wo liegt hier die Gefahr?

    Noch deutlicher wird der politische Charakter solcher Rechtsprechung, wenn man sich vor Augen führt, dass in Deutschland dutzende Organisationen zum faschistischen Spektrum zählen, die zwar durch regelmäßige gewalttätige Angriffe und öffentliche Gewaltphantasien auffallen, aber trotzdem oftmals keine Verfolgung als kriminelle Vereinigung zu befürchten haben.

    Doch wer wird im Fall der „Letzten Generation“ jetzt konkret mit dem Paragrafen 129 StGB kriminalisiert? Eine Gruppe, die weder Gewalt ausgeübt noch angedroht hat. Die weder in irgendwelche mafiösen Strukturen oder in Drogenhandel verstrickt war, noch irgendwelche relevanten Schäden verursacht hat.

    Worin liegt also die vermeintlich „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit“, die von der „Letzten Generation“ ausgehen soll? Obwohl sie sich nur mit begrenzten Forderungen an den deutschen Staat richtet, scheint schon die verhältnismäßige Radikalität ihrer Mittel auszureichen, um den Herrschenden in diesem Land den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben.

    Das Interesse und der ständige Zustrom zur Letzten Generation bringt jedenfalls eine bestimmte Bereitschaft zum Ausdruck, auf die vermeintliche Bequemlichkeit, die einem das Leben in einem Staat wie Deutschland heute noch zu bieten hat, zu verzichten und für die eigenen politischen Überzeugungen selbst Schläge, Diffamierungen und Gefängnisstrafen in Kauf zu nehmen.

    Natürlich ist der Großteil des medialen Rummels um die „Klimakleber“ oder „Klima-Terroristen“ nichts weiter als plumpe Hetze. Der wahre Kern dürfte jedoch darin bestehen, dass sich Regierung, Richter:innen und Repressionsbehörden wohl tatsächlich Sorgen machen müssen, dass Menschen, die sich Woche für Woche auf die Straße setzen, um dann von Autofahrer:innen angeschrieen und teilweise auch angegriffen zu werden, sich nicht irgendwann auch zu einer grundständig radikalen Klimapolitik hinbewegen könnten: zum Beispiel zu revolutionären Positionen.

    Eine Verschärfung der Repression gegen alle fortschrittlichen Kräfte deutet sich an

    In diesem Sinne reihen sich die juristischen Angriffe gegen die Letzten Generation ein in eine seit Jahren zunehmende politische Repression in Deutschland, die unweigerlich mit den Kriegsvorbereitungen (Militarisierung, Eingriff in der Ukraine, Aufrüstung, etc.) einhergeht. Sie richtet sich ausschließlich gegen fortschrittliche bis hin zu revolutionären Kräfte.

    Die Beispiele sind vielfältig: So sind da die Inhaftierung kurdischer und türkischer Aktivist:innen, das Berliner Verbot palästinensischer Aktionen zum Nakba-Tag, die Prozesse gegen Antifaschist:innen wie Lina E. oder die Verschärfung der Polizeigesetze in Hessen und NRW.

    Die Tendenz einer Verschärfung der Repression gegen fortschrittliche bis revolutionäre politische Kräfte ist nicht mehr zu übersehen und wird aufgrund der zunehmenden ökonomischen und politischen Krisen in Deutschland und der Welt wohl noch weiter zunehmen. In solchen Zeiten ist kritische Solidarität mit allen Betroffenen von Repression gefragt und muss ein größerer Teil des politischen Alltags in der BRD werden.

    • Sächsischer Perspektiveautor seit 2022 mit slawisch-jüdischem Migrationshintergrund. Geopolitik, deutsche Geschichte und der palästinensische Befreiungskampf Schwerpunkte, der Mops das Lieblingstier.

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