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Donnerstag, März 28, 2024
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    Zwangsevakuierung vor Olympiade: Obdachlose sollen weg aus Paris

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    Die französische Regierung hat beschlossen, Obdachlose aus dem Großraum Paris in die Provinzen umzusiedeln. Die Maßnahme soll vor der Rugby-Weltmeisterschaft im kommenden Herbst und den Olympischen Spielen im Sommer 2024 durchgeführt werden.

    In Frankreich werden derzeit zwei Sportereignisse mit weltweiter Bedeutung vorbereitet. Letzte Woche berichtete die französische Zeitung Le Monde, dass die Regierung die Präfekte angewiesen hat, Obdachlose vor diesen Ereignissen aus Paris heraus in die französischen Provinzen bringen zu lassen. Präfekte sind in Frankreich regionale und lokale Vertreter:innen des Staats mit weitreichenden Polizeibefugnissen. Zu diesem Zweck sollen laut Regierungsdekret durch die Polizei zunächst temporäre Aufnahmezentren geschaffen werden, bevor die Obdachlosen dann von dort aus in dauerhafte Unterkünfte in den Provinzen transportiert werden sollen.

    Eine französische Hilfsorganisation für Obdachlose, die “Föderation der Akteure der Solidarität” (FAS), kritisierte das geplante Vorgehen: So mangele es in der Praxis ohnehin bereits an Notunterkünften und am politischen Willen für eine echte Betreuung von obdachlosen Menschen. Diese lediglich in Paris in Busse zu setzen, führe dementsprechend nicht weiter und sei keine Hilfe.

    Unter den zahlreichen Obdachlosen in Paris sind viele Geflüchtete ohne Papiere und Aufenthaltsstatus. Auch Inflation und Preisexplosion hatten in Paris zu einem Anstieg der Obdachlosenzahl geführt. Schätzungen gehen momentan von rund 3.600 Obdachlosen im Großraum Paris aus.

    Die zeitliche Nähe der angeordneten Maßnahmen zur Rugby-Weltmeisterschaft und zur Olympiade zeigt: Paris putzt sich für Besucher:innen aus der ganzen Welt heraus – Obdachlose sollen deshalb verschwinden. Sportereignisse werden von den austragenden Städten und Ländern immer auch als Image-Kampagne genutzt, nicht zuletzt, um die eigene Anziehungskraft auf Tourist:innen, aber auch auf qualifizierte Arbeiter:innen für die eigene Wirtschaft und für Investor:innen zu steigern. So hatte Katar zum Beispiel während der Vorbereitung auf die Fußballweltmeisterschaft 2022 einen Aufbruch zu modernsten Technologien im Eiltempo auf Kosten der ausgebeuteten und versklavten Arbeiter:innen inszeniert.

    Katar: Vertuschung von tödlichen Arbeitsbedingungen?

    Aus den Augen, aus dem Sinn? – Obdachlosen-Politik im Kapitalismus

    Die geplante Maßnahme gegen Obdachlose zielt außerdem darauf ab, Hoteleigentümer:innen und Vermieter:innen in Paris höhere Einnahmen während der Zeit der Sportereignisse zu verschaffen. Zahlreiche Notunterkünfte für Obdachlose werden derzeit von Hotels und Pensionen betrieben. Diese erhoffen sich aber gerade während der WM und der Olympiade einen Zustrom von Tourist:innen aus der ganzen Welt und wollen auf diese Mehreinnahmen nicht länger verzichten. Das Regierungsdekret erlaubt nun den Hoteliers und Vermieter:innen – quasi ohne schlechtes Gewissen – das deutlich lukrativere Geschäft mit den Tourist:innen.

    Dabei tragen die kapitalistische Produktionsweise und Regierungen, die solche kapitalistischen Verhältnisse schützen, einen großen Anteil an Obdach- und Wohnungslosigkeit in vielen Städten weltweit. So fanden z.B. die meisten Zwangsräumungen von Mietwohnungen in Berlin im Jahr 2021 laut einer offiziellen Statistik durch landeseigene Wohnungskonzerne wie die HOWOGE statt.

    In der ersten Regierungserklärung des neu gewählten Berliner Senats kündigte nun der neue Berliner Bürgermeister Kai Wegner vollmundig an, die Obdachlosigkeit in der Stadt bis 2030 beenden zu wollen. Dass das Pariser Modell hier ein Vorbild sein könnte, ist nicht abwegig: Wegners Vorgängerin Franziska Giffey, damals noch Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, hatte 2017 bereits Zwangsmaßnahmen gegen illegale Camps eingeleitet. Giffey äußerte damals unumwunden in Bezug auf ausländische Obdachlose: „Und wenn die Menschen ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können, dann muss man sagen: Ihr könnt hier nicht bleiben.“ Im Zuge dieser Maßnahmen wurden Obdachlose aus Camps in Parks und Friedhöfen mit Bussen quasi nach Südosteuropa abgeschoben. Die Ausreisen seien aber – so die damaligen offiziellen Erklärungen des Bezirks – freiwillig gewesen. In Berlin und anderen deutschen Städten kommt es auch ansonsten immer wieder zur Räumung von Obdachlosen-Camps.

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