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Dienstag, März 19, 2024
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    Sperrgebiet, Demo-Verbot, die Nordwestbahn fahndet mit – Repressionen gegen Solidarität mit der Antifaschistin Lina E.

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    Am Mittwoch wurde die Antifaschistin Lina E. zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt. Sie und ihre drei Mitangeklagten wurden als Teil einer „kriminellen Vereinigung“ beschuldigt, Angriffe auf Faschist:innen verübt haben. Gegen das Urteil demonstrierten noch am selben Tag solidarische Antifaschist:innen in verschiedensten Städten. Es kam zu diversen Repressionen durch staatliche Behörden und ein Verkehrsunternehmen. Eine zentrale Großdemonstration in Leipzig wurde am Donnerstag Abend ganz verboten.

    In mehreren Städten kam es am Mittwoch direkt nach Verkündung des Gerichts zu mehreren Protestaktionen gegen das Urteil von Lina E. In den Augen des Oberlandesgerichts Dresdens hätten die vier Angeklagten sich der „Bildung bzw. der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ (§129 StGB), sowie des „tätlichen Angriffs“ auf Faschist:innen in Leipzig, Wurzen und Eisenach schuldig gemacht. Das Urteil wurde von den Demonstrierenden als Angriff gegen die gesamte linke Szene und als Schutz der faschistischen Bewegung durch deutsche Gerichte angesehen.

    Währenddessen äußerte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit Blick auf das Urteil: “In linksextremistischen Gruppen sind Hemmschwellen gesunken, politische Gegner auch mit äußerster Brutalität anzugreifen”, so die SPD-Politikerin. Im demokratischen Rechtsstaat dürfe es jedoch keinen Raum für „Selbstjustiz“ geben. Kein Ziel rechtfertige politische Gewalt. Dass es hierbei um den Kampf gegen den Faschismus handelt, dessen Aufbau in Ostdeutschland seit Jahren voran schreitet, bleibt unerwähnt.

    Antifaschistin Lina E. zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt – Protest in mehreren Städten

    Faeser mahnte, die „Gewaltspirale dürfe sich nicht weiterdrehen“. Die Sicherheitsbehörden hätten die „gewaltbereite linksextremistische Szene“ sehr genau im Blick und würden weiter „konsequent handeln”, hieß es weiter.

    Erste Protestaktionen angegriffen

    An mehreren Orten kam es am Nachmittag des Mittwochs, dem Tag der Urteilsverkündung gegen die Antifaschistin Lina E. und ihre drei Mitangeklagten, zu ersten Solidaritätsaktionen. Viele von ihnen wurden direkt von der Polizei attackiert.

    In Bremen versammelten sich 300-400 Personen in Solidarität mit Lina E. Die Polizei reagierte mit einem Großaufgebot, inklusive Wasserwerfern und gepanzertem Fahrzeug. Dabei kam es “relativ schnell und unvermittelt” zu Zusammenstößen mit der Polizei.

    Während laut Polizeisprecherin niemand verletzt worden sei, konstatiert die teilnehmende “Basisgruppe Antifa” teils schwere Verletzungen bei den Demonstrierenden durch die Polizei. Auch der Versuch einer illegalen polizeilichen Befragung von Ärzt:innen über persönliche Details der Demo-Teilnehmer:innen wurde dabei öffentlich.

    Als besonders schockierend stellt sich darüber hinaus die Kollaboration der privaten Verkehrsgesellschaft “NordWestbahn” mit dem staatlichen Überwachungsapparat heraus. Mitarbeiter:innen, die sich mit Lina E. solidarisierten, teilten Screenshots aus der internen Kommunikation der NordWestbahn.  Darin soll das Unternehmen seine Beschäftigten im Zuge der Demo dazu aufgerufen haben, Fahrgäste in Richtung Bremen, die den äußerlichen Merkmalen „links orientierter Menschen“ – gemäß Profil der Bundespolizei – entsprächen, unverzüglich bei der Zentrale zu melden.

    Die Basisgruppe meint dazu, dass die Ausweitung der Fahndungstätigkeiten der Polizei auf ein privates S-Bahn-Unternehmen und auf große Teile der Bremer Bevölkerung ein neues, bisher unbekanntes Maß an staatlicher Repression gegenüber Antifaschist:innen in Bremen darstelle. Die vielen Rückmeldungen, sowohl von Bremer:innen als auch den Kolleg:innen bei der “NordWestbahn” zeigten aber auch: Solidarität sei „stärker als Repression!“.

    Solidarität bundesweit

    Auch an anderen Orten hat es zum Teil große Protestaktionen gegeben. Parallel zur Urteilsverkündung zogen am Mittwochabend z.B. einige hundert Demonstrant:innen durch Dresden.

    In Hamburg bewegten sich etwa 2.000 Antifaschist:innen von der Roten Flora aus durch das Schanzenviertel. Auf Transparenten forderten sie unter anderem “Kampf ihrer Klassenjustiz – Getroffen hat es einzelne, gemeint sind wir alle”. Der Demozug wurde von der Polizei überwacht. Wasserwerfer standen bereit. An einem Punkt sei wiederum die Polizei unter anderem mit Flaschen und Pyrotechnik beworfen worden. Laut einem Sprecher wurden drei Beamte leicht verletzt. Es kam zu fünf weiteren Festnahmen von Antifaschist:innen.

    In Berlin gingen ebenfalls mehrere hundert Sympathisant:innen auf die Straße. Sie zogen vom Landeskriminalamt im Stadtteil Tempelhof Richtung Kreuzberg. Die Polizei bezifferte die Teilnehmerzahl auf rund 500. Auch hier kam es wiederholt zu punktuellen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

    Leipzig wird zum Sperrgebiet

    In Leipzig riefen die Demonstrant:innen klassenkämpferische Losungen, wie sie bereits im Gerichtssaal von den Rängen ertönten. Auch wurde Pyrotechnik gezündet. Laut Polizei sollen Demonstrant:innen Barrikaden errichtet und Beamte mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik beworfen haben. Vier Einsatzkräfte seien leicht verletzt worden, teilte die Polizei in der Nacht mit. Festnahmen habe es nicht gegeben.

    Am Mittwochabend räumte die Polizei in Leipzig dann eine Barrikade, die Demonstrant:innen auf einer Kreuzung mit Bauabsperrungen und dem Inhalt von Glascontainern errichtet hatten. Dabei kam ein Räumpanzer zum Einsatz. Auch ein Wasserwerfer stand bereit. Die Polizei bezifferte die Zahl der Protestteilnehmer hier auf rund 800 Personen. 

    Die Polizei bestätigte heute zudem einige ihrer reaktionären Vorhaben im Hinblick auf die angekündigte Großdemo am morgigen Samstag in Leipzig. Zunächst hatte die Polizei am Mittwoch bekannt gegeben, dass in Leipzig ein sogenannter „Kontrollbereich“ errichtet werden solle.

    Wer also von Freitagabend bis Sonntagabend in Leipzig unterwegs sein wird, muss in großen Teilen der Stadt damit rechnen, willkürlich von der Polizei kontrolliert zu werden. Rechtliche Grundlage dafür bildet dabei ein weiträumig zulässiger “Kontrollbereich“ der Polizei anlässlich der „Tag X“-Demonstration. Diesr sogenannte Kontrollbereich tritt am Freitag um 18 Uhr in Kraft und endet am Sonntag zur gleichen Uhrzeit.

    Normalerweise benötigt die Polizei einen konkreten Anlass beziehungsweise einen hinreichenden Verdacht, um Personen durchsuchen zu dürfen. Das sogenannte “Racial Profiling” zeigt, dass dies in der Praxis sowieso nicht immer gilt. Der „Kontrollbereich“ eröffnet der Polizei nun aber auch theoretisch die Möglichkeit, anlass- und verdachtslos Personen zu kontrollieren.

    Dass solche „Kontrollbereiche“ gerade bei politisch brisanten Demonstrationen eingerichtet werden, ist keine Seltenheit. Hinsichtlich Dauer und Größe dürfte es aber einer der größten „Kontrollbereiche“ der vergangenen Jahre sein. Zum Vergleich: Für die letztlich verbotene Antifa-Demonstration im Oktober 2021 wurde „nur“ für 32 Stunden ein „Kontrollbereich“ rund um die geplante Route eingerichtet.

    Nun wurde die für Samstag angemeldete bundesweite Demonstration gegen die Verfolgung der antifaschistischen Bewegung in Leipzig verboten. Darüber hat das Ordnungsamt am Donnerstagabend informiert. Darin heißt es: “Grundlage für das Verbot sind die Gefahrenprognosen der Polizeidirektion Leipzig sowie die Lageeinschätzungen des Landesamtes für Verfassungsschutz des Freistaates Sachsen.”  Aus polizeilicher Sicht sei die „öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet“. Mit der Annahme, es sei ein “unfriedlicher Verlauf der Versammlung zu erwarten”, rechtfertigt die Polizei das Verbot einer generellen Demonstration gegen den Faschismus.

    Die Solidaritätsbewegung mit den antifaschistischen Verurteilten hatte bereits monatelang für den sog. „Tag X“ nach Leipzig mobilisiert. Dieser soll am Samstag dem 03.06.2023 gekommen sein, und es wurden bereits Veranstaltungen wie z.B. eine Demonstration um 17 Uhr in der Wolfgang-Heinze-Straße angekündigt. Aus Teilen der antifaschistischen Bewegung wurde bereits angekündigt, ein wahrscheinliches Demoverbot nicht zu akzeptieren und sich die Straßen zu nehmen.

    Für den Samstag, unabhängig davon, ob Veranstaltungen erlaubt werden oder nicht, sind bereits mehrere tausend Bundespolizist:innen samt weitreichender Bewaffnung wie Polizeihubschrauber und Überwachungstechnik fest eingeplant.

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