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„Die Wahrheit muss ans Licht kommen“: Eigentum von dementer Frau aus Hamburg verschwindet trotz gesetzlicher Betreuung

Eine an Demenz erkrankte Frau aus Hamburg verliert Schritt für Schritt ihr Hab und Gut. Und das, obwohl – vielleicht aber auch gerade weil – sie von einer gesetzlichen Vertreterin betreut wird. Ihre Freundin wehrt sich dagegen, doch Polizei und Gerichte finden an dem Umgang mit der Kranken nichts Ungewöhnliches. Über diesen Fall, der nur einer von vielen ist, berichtet Mohannad Lamees.

„Der Wille und die Wünsche der betreuten Person stehen immer im Vordergrund!“ – Dieser Satz steht im Vorwort einer Broschüre über das deutsche Betreuungsrecht, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz im März 2023. Dass das in der Praxis ganz anders aussehen kann, erleben Betreute und ihre Angehörigen immer wieder. Auch Sara* aus Hamburg macht derzeit Erfahrungen, die zeigen, wie schnell eine gesetzliche Betreuung de facto zu einer Entmündigung führen kann.

Vor einigen Jahren fasste Sara, selbst Mitte 50, einen Entschluss: Sie und drei weitere Frauen wollten eine Demenz-Wohngemeinschaft gründen. Denn zwei der Frauen hatten zu diesem Zeitpunkt die Diagnose erhalten, an Demenz erkrankt zu sein. Viele Ärzte empfehlen in solchen Fällen, dass Betroffene am besten mit ihren Angehörigen oder Freund:innen in ihren gewohnten Umgebungen wohnen sollen. Sara beantragte deswegen gerichtlich, als ehrenamtliche Betreuerin einer der beiden Demenzkranken, der damals 87 Jahre alten Muna, anerkannt zu werden.

Weil die Wohnung von Muna noch nicht als WG für die Frauen hergerichtet war, organisierte Sara eine Kurzzeitpflege in einem Pflegeheim. Die Zeit, in der Muna dort versorgt wurde, nutzte sie, um die Wohnung umzugestalten, wichtige Änderungen wie den Umbau des Badezimmers vorzunehmen und Vorräte für eine dauerhaft gesunde Ernährung anzulegen. Der gemeinsamen WG schien nichts im Wege zu stehen.

Keine Betreuung im Sinne der Kranken

Es kam aber anders. „Meine Freundin musste im Heim bleiben, und ich durfte sie nicht betreuen“, berichtet Sara heute. Per gerichtlicher Verfügung wurde bestimmt, dass Sara nicht als Betreuerin geeignet sei. Anstatt durch ihre Freundin bepflegt zu werden, sollte Muna fortan unter die Obhut einer sogenannten gesetzlichen Betreuerin gestellt werden.

In Deutschland gibt es seit 1992 rein rechtlich keine „Entmündigung“ von Demenzkranken mehr. Stattdessen regelt das Betreuungsrecht, wie mit den Betroffenen umgegangen und ihre Entscheidungsgewalt aufrechterhalten bleiben soll. Die gesetzliche Betreuung funktioniert dabei so wie eine Treuhänderschaft – d.h. auch das Vermögen der Betreuten wird durch die gerichtlich eingesetzten Betreuenden verwaltet. Heute stehen in Deutschland 1,3 Millionen Menschen unter gesetzlicher Betreuung.

„Die Betreuerin entscheidet seitdem über das Leben von Muna“, beschreibt Sara die Situation. „Doch es zählt nicht Munas Wille, sondern nur ihr Vermögen und ihr Besitz. Das ist alles, für was sich interessiert wird“.

So setzte die Betreuerin schnell durch, dass Sara aus der Wohnung von Muna wieder ausziehen musste. Diese Räumung setzte die Betreuerin mit der Polizei durch. Seitdem verwaltet sie selbst die Wohnung und verfügt de facto über sie. Während die demenzkranke Muna in einem Pflegeheim weilte, verschwanden nach und nach ihre Vorräte, ihre Einrichtungsgegenstände und sogar ihr Testament aus der Wohnung. Nachbar:innen beobachteten immer wieder Licht in der Wohnung, obwohl dort offiziell niemand mehr wohnte. Als Sara nach einigen Monaten doch noch einmal einen Zugang zu Munas Wohnung erstreiten konnte, fand sie die Wohnung bereits besenrein vor. Auf die Frage, wohin Munas und einige ihrer eigenen dort hinterlegten Sachen verschwunden waren, bekam sie bis heute keine Antwort. Die Betreuerin antwortete lediglich, sie hätte sich die Sachen nicht zu eigen gemacht.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Sara bereits begonnen, gerichtlich gegen die Betreuerin vorzugehen und das Verschwinden der Wertgegenstände und Wohnungseinrichtung bei der Polizei gemeldet. Doch dort stieß sie auf keine große Bereitschaft, den Fall aufzuklären: „Man hat mir gesagt, dass die Sache im Sande verlaufen wird“, erzählt Sara.

Jegliche Versuche, gerichtlich gegen die Aberkennung ihrer eigenen Eignung als Betreuerin oder für die Absetzung der jetzigen gesetzlichen Betreuerin vorzugehen, wurden ebenfalls bislang zurückgewiesen. Sara ist sich mittlerweile sicher, dass sie von Ämtern und Behörden keine Hilfe zu erwarten hat: „Die Betreuerin hat mir sogar gesagt, dass sie meine Beschwerden gelassen sieht. Sowas sagt doch nur jemand, der den Schutz des Staates im Rücken hat, oder?“

Wohin fließt das Geld aus dem Verkauf der Wohnung?

Vor einigen Monaten entdeckte Sara dann eine Anzeige auf der Website eines Hamburger Immobilienmaklers. Dort wird seitdem eine „Zwei-Zimmer-Wohnung im begehrten Alstertal“ zum Verkauf angeboten – Munas Eigentumswohnung.

Sara ist sich sicher: Was die Pflegekasse an Muna zahlt, reicht eigentlich aus, um für die Kosten der Betreuung im Heim aufzukommen – warum soll also jetzt die Wohnung verkauft werden? „Da wird sich an älteren und schutzlosen Menschen bereichert“, ist sich Sara sicher.

Tatsächlich sind in den letzten Jahren immer wieder Fälle publik geworden, in denen genau das passiert. Schikane der Kranken, Besuchsverbote für sich wehrende Angehörige und erfolglose Beschwerden – all das scheint zum Betreuungswesen dazuzugehören. Doch die Beweisführung gegen kriminelle Betreuer:innen ist oftmals schwierig. Gleichzeitig kommen regelmäßig doch Betrügereien ans Licht: allein das Hamburger Abendblatt berichtete 2006 über eine eine ältere Frau in Kummerfeld, deren Grundstück an die Gemeinde zwangsverkauft wurde und 2015 über eine Frau, die vorschnell als dement erklärt wurde.

Munas Wille ist unterdessen eindeutig. Sara berichtet, dass die mittlerweile 89-Jährige, auch wenn sie im Pflegeheim mit Medikamenten ruhiggestellt werde und von den starken Nebenwirkungen gezeichnet sei, immer wieder sagt: „Ich will nach Hause, ich will bei euch sein“. Auch nach ihren Sachen und ihrer Wohnung hat sich Muna erkundigt, so Sara: „Sie hat mich gefragt, ob ich mich auch gut um ihre Sachen kümmere?“.

Sara hat sich auch deshalb vorgenommen, weiterzukämpfen: „Die Wahrheit muss ans Licht kommen“. Sie ist davon überzeugt, dass der Fehler im System steckt: „Wir leben in einem Raubkapitalismus. Alte, Kranke, aber auch Migrant:innen werden ganz besonders ausgeraubt in dieser Gesellschaft.“

Die wichtigste Erkenntnis aber, sagt Sara, sei, dass sich durch Jammern nichts ändern lasse: „Wir müssen unsere Stimme erheben, obwohl wir dann besonders im Fadenkreuz stehen. Wir müssen selbst aktiv werden“.

*Alle Namen geändert, die tatsächlichen Namen sind der Redaktion bekannt.
Mohannad Lamees
Mohannad Lamees
Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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