Der Fachkräftemangel wird als Bremse für die deutsche Wirtschaft gesehen. Als Lösung für diese Probleme werden Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter:innen geplant. – Ein Kommentar von Marceline Horn.
Unternehmen in Deutschland fehlen etwa 573.000 „qualifizierte“ Arbeitskräfte. Diese Zahl hat sich seit 2010 mehr als verzehnfacht und wird sich voraussichtlich auch in absehbarer Zukunft nicht ändern. Das wäre aber notwendig, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Denn die deutsche Produktion befindet sich weiterhin in einem Tief, von dem sie sich nur langsam erholt.
Sollte der Bedarf an Arbeitskräften gedeckt werden würde das Produktionspotenzial um 1,1 Prozent wachsen und dies Deutschland wieder attraktiver für Investitionen machen, schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Eine steigende Attraktivität sollte es Deutschland ermöglichen, am „globalen Aufschwung“, wie er in Ländern wie Frankreich, Italien, Großbritannien, den USA, Japan und China zu beobachten ist, teilzuhaben.
Forderung nach mehr Zuwanderung, Frauenarbeit und Erhöhung des Rentenalters
Um die Wirtschaft wieder „anzukurbeln“ und die offenen Stellen zu decken, schlagen Think-Tanks wie das IW vor, die Lebensarbeitszeit zu erhöhen, Frauen mehr Arbeit zu „ermöglichen“ und mehr „qualifizierte“ Zuwanderung zu erlauben. Was bedeutet konkret für Arbeiter:innen und im besonderen Frauen, Migrant:innen und alte Menschen?
Für alte Menschen besteht der Anspruch, über die Regelaltersgrenze hinaus weiterzuarbeiten. Dafür sollen sogar Menschen aus dem Ruhestand zurück in den Betrieb geholt werden. Dabei wird davon Gesprochen, die älteren Beschäftigten durch Anreize zu „motivieren“. Viele Rentner:innen würden jedoch eher durch unzureichende Renten wieder oder zu mehr Arbeit gedrängt werden, statt lediglich motiviert zu werden.
Auch von Frauen wird erwartet, aus der Teilzeit auf Vollzeit zu wechseln und einfach mehr zu arbeiten. Dabei wird kaum über den Grund für die überwiegende Teilzeitbeschäftigung von Frauen gesprochen. Die Ursache ist das Patriarchat, in dem ein Großteil der sogenannten Care- bzw. Reproduktionsarbeit noch immer von Frauen geleistet wird, und die daraus resultierende doppelte Ausbeutung – als Arbeiterin und als Frau.
Der Aufruf nach „qualifizierter“ Zuwanderung zeigt, dass Menschen dem deutschen Staat nur etwas Wert sind, wenn sie für ihn Profit generieren. Für den deutschen Staat sind Migrant:innen oft entweder „billige“ Arbeitskräfte, die einfacher ausgebeutet werden können und meist keinen festen Wohnsitz in Deutschland haben. „Hochqualifizierte“ Arbeitskräfte sind für deutsche Unternehmen auch praktisch, da man diese nicht mehr ausbilden muss. Dass sich bürgerliche Parteien jedoch nicht tatsächlich für Migrant:innen interessieren und diese meist nur als Problem angesehen werden, zeigt sich auch durch die neue GEAS-Reform auf EU-Ebene oder das Rückführungsverbesserungsgesetz der Ampel.
Mehr Arbeit trotz Überlastung und unbezahlter Überstunden
Kurz gesagt wird von Arbeiter:innen also erwartet, einfach mehr zu arbeiten. Dass dies aber nicht das Problem darstellt, zeigt sich u.a. darin, dass 2023 bereits 1,3 Milliarden Überstunden geleistet worden sind. Davon sind 775 Millionen unbezahlt geblieben – das macht die Forderung nach mehr Arbeit nur absurder.
Die Vorschläge des IW spiegeln zudem auch die Diskussionen in der Regierung wider, in denen vor allem die FDP die Abschaffung der Rente mit 63 fordert. Diese sieht sie als schädlich für den Arbeitsmarkt an. Laut dem „Rentenexperten“ der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, entziehe sie dem Arbeitsmarkt „wertvolle Fachkräfte“. Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich jedoch gegen diese Forderung und nannte sie „absurd“. Dass sie spätestens in der nächsten Legislaturperiode eingeführt wird, ist jedoch nicht unwahrscheinlich. Zudem sollte dies nicht darüber hinweg täuschen, dass die SPD selbst für Kürzungen im Sozialbereich verantwortlich ist, gleichzeitig aber Milliarden in die Rüstungsindustrie pumpt.
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Die Annahme, es müsse mehr gearbeitet werden, weil nicht genug Menschen da seien, ist ebenfalls falsch. Stattdessen besteht das Problem darin, dass unzählige Stellen mit unmenschlichen Arbeitszeiten, zu niedrigen Löhnen und miserablen Arbeitsbedingungen vorhanden sind. Auch Auszubildende, die die gleiche Arbeit wie ihre ausgelernten Kolleg:innen leisten, sind meistens nicht ansatzweise in der Lage, einfache Grundbedürfnisse wie Wohnen und Essen zu decken. All das sind Gründe dafür, weshalb so viele Stellen nicht gefüllt werden können und sich junge wie ältere Menschen für andere Branchen entscheiden. Auch der Vorschlag der FDP, man solle Anreize wie steuerfreie Überstunden anbieten, werden das Problem der Überlastung nicht lösen.