In Baden-Württemberg haben Zahnarztpraxen für weniger Bürokratie und vollständige Kostenübernahme durch die Krankenkassen protestiert. Assistent:innen und Azubis stehen jedoch hinten an – obwohl diese am stärksten betroffen sind.
Aufgrund der prekären Situation im Sozialsektor haben am 18. Juni die „Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) BW” und die „Landeszahnärztekammer BW” zusammen mit vielen Zahnarztpraxen für „bessere politische Rahmenbedingungen“ protestiert. Viele Zahnärzt:innen haben für einen Tag ihre Praxen geschlossen. Die von den Ärzt:innen geführte Protestaktion der vergangenen Woche richtete sich gegen die Sozialpolitik und folgt nur kurze Zeit nach den Streiks an den Universitätskliniken in Baden-Württemberg.
Tarifstreik an Uniklinik: „Wir müssen selber Partei ergreifen und für ein besseres Leben kämpfen“
Forderungen nach vollständiger Kostenübernahme und weniger Bürokratie
Von den Verbänden werden verschiedene Gründe für die Überlastung der Patient:innen und den steigenden Kosten für Behandlungen genannt: Dazu zählen keine oder nur geringe Kostenübernahmen von Leistungen und Materialkosten durch die Krankenkassen, verschiedene Formulare für gleiche Behandlungen, eine Digitalisierung, die den Bearbeitungsprozess komplizierter macht, und jahrzehntealte Gesetzesregelungen.
Die Verbände fordern daher die Abschaffung der Budgetierung, damit alle Behandlungen vollständig von den Krankenkassen vergütet werden, eine Erhöhung der „Gebührenordnung für Zahnärzte” (GOZ) und eine Digitalisierung, die die Verwaltungsprozesse vereinfacht. Des weiteren wird nach „konkreten Vorschlägen zum Bürokratieabbau“ aufgerufen.
Um der Belastung der Patient:innen und dem Personalmangel in den Praxen entgegenzuwirken, werden jedoch lediglich in einem Unterpunkt „attraktive Bedingungen für Assistenzpersonal“ gefordert. Konkretere Forderungen für die Angestellten gibt es nicht. Im Vordergrund stehen dagegen die jungen Zahnärzt:innen, damit diese ihre eigenen Praxen eröffnen können.
Schlechte Bezahlung und hohe Belastung für Assistent:innen
„Der Personalmangel, der sich vor allem auf Assistent:innen und Auszubildende durch Überlastung auswirkt, wird durch eine schlechte Entlohnung nicht verbessert“, erklärt Peter, der gerade seine Ausbildung macht, gegenüber Perspektive Online. „Ich selbst bin im 2. Ausbildungsjahr und verdiene im Monat 900€, was in dieser Region nicht besonders viel zum Leben ist“. Genug Auszubildende, die in den Beruf eingegliedert werden, gibt es nicht. Denn wie an vielen anderen Ausbildungsplätzen ist auch unter zahnmedizinischen Fachangestellten die Vergütung der Ausbildung nicht hoch genug zum Leben.
Viele Auszubildende leben dadurch gezwungenermaßen bei ihren Eltern oder müssen neben der stressigen Ausbildung einen Nebenjob aufnehmen, um ihren Interessen nachgehen zu können. „In meiner Klasse gibt es mindestens fünf, die nach der Ausbildung etwas anderes ausprobieren möchten, weil sie in diesem Beruf keine Zukunft sehen“, erzählt Peter. Diese Bedingungen, die den Personalmangel hervorrufen, verschärfen die Notlage unter den Angestellten in den Praxen.
Ein dysfunktionales Gesundheitssystem, gekoppelt mit der Überlastung der Angestellten, führt so zu Umständen, die sich auch auf die Patient:innen auswirken und lange Wartezeiten, eingeschränkte Leistungen sowie hohe Zuzahlungen verursachen. Eine Neuheit ist das nicht, doch laut der KZV BW verliefe die Versorgung „bislang flächendeckend gut“. Sie sieht erst die neulich „zunehmenden Praxisschließungen bei gleichzeitiger Erschwerung von Praxisneugründungen oder -übernahmen“ als Bedrohung für die medizinische Versorgung.
Fehlende Aussichten für die Angestellten
Die Einschätzung einer „bislang guten“ Versorgung der KZV BW lässt auch auf keine besonders große Dringlichkeit seitens des Verbands schließen. Trotz der tatsächlichen Notlage und hoher Beteiligung am Protest wird es in den Praxen wohl weitergehen wie bisher: „In der Praxis wurde seit der Aktion nicht mehr wirklich darüber gesprochen, es waren zwar alle froh aber seitdem ist es nicht mehr wirklich aufgekommen“, berichtet Peter. Zudem wurden während des Protests keine weiteren Aktionen angekündigt oder angedeutet.
Unter einigen Assistent:innen herrschte auch Pessimismus bezüglich der Wirksamkeit des Protests. Sie sind der Meinung, es bräuchte mehr, um Veränderungen im System zu bewirken. Ein Problem stellt dabei unter anderem eine geringe Organisierung in diesem Bereich dar. Im Gegensatz zu den Unikliniken gibt es kaum eine gewerkschaftliche Aktivität, um für bessere Arbeitsbedingungen der Angestellten zu kämpfen.