Am vergangenen Samstag hat das soziale Zentrum „Clara Zetkin“ in Leipzig Lindenau seine offizielle Eröffnung gefeiert. Mit eigenen Angeboten sowie Bildungsangeboten durch andere Gruppen soll ein Beitrag zu einer solidarischen und kämpferischen Nachbarschaft geleistet werden. Die Aussichten dafür sehen gut aus. – Ein Bericht von Johann Khaldun.
Eine junge Frau geht durch eine ihr vertraute Straße. Mit ihren Gedanken beschäftigt, erledigt sie ihren üblichen Einkauf. Plötzlich fällt ihr etwas Ungewöhnliches ins Auge, das sie aus dem Bann des Alltagstrotts lockt: Ein Schaufenster, in dem statt der üblichen Waren und Werbungen allerlei Plakate und Aushänge um die Aufmerksamkeit der Passant:innen buhlen. Sie liest nach, um was es sich da handelt. Schon kommt aus dem Inneren der Räumlichkeiten eine freundliche Person auf sie zu und erklärt ihr, dass es sich hier um das soziale Zentrum „Clara Zetkin“ handele.
Diese und ähnliche Szenen haben sich in den letzten Monaten regelmäßig im Leipziger Stadtteil Lindenau abgespielt. Das soziale Zentrum ist für viele Menschen der Nachbarschaft plötzlich und unangekündigt aufgetaucht. Geschäftig sind junge Menschen ein- und ausgegangen. Man konnte sehen, wie der Ort immer belebter wurde, wie Veranstaltungen den einstigen Standort eines Barbiergeschäfts mit einer neuen Art von Leben zu füllen begannen.
Ein Ort wird lebendig
Es war also höchste Zeit, dass sich das soziale Zentrum auch offiziell und feierlich in der Nachbarschaft bekannt machte. Genau das ist am vergangenen Samstag, dem 15. Juni, dann auch geschehen: Das soziale Zentrum „Clara Zetkin“ feierte seine Eröffnung. Bei gutem Essen und Getränken konnten sich die Menschen aus der Nachbarschaft und die Betreiber:innen des sozialen Zentrums begegnen und kennenlernen.
Viel Mühe haben die Organisator:innen in die Eröffnungsfeier gesteckt. Es gab ein breites Angebot: für die Kleinen in der Nachbarschaft gab es Kinderschminken, für die etwas Älteren politisches Dosenwerfen – von Elon Musk und Christian Lindner bis Dieter Bohlen konnte man den ein oder anderen Kapitalisten symbolisch von seinem Sockel stoßen – sowie einen Flohmarkt, kreatives Besprühen von Beuteln und am wichtigsten: die Gelegenheit, die Menschen aus der Nachbarschaft in entspannter Atmosphäre kennenzulernen.
Fatima, die die Eröffnungsfeier mit ihrer Familie besucht hat, sagte dazu: „Besonders gut hat mir gefallen, dass man auf ganz ungezwungene Weise mit den verschiedensten Menschen in Kontakt kommen konnte. Die kleinen Hürden und Hemmungen, die einen sonst im Alltag davon abhalten, selbst die eignen Nachbarn kennenzulernen, waren heute nicht zu spüren.“
Angebote gegen Entfremdung, Rechtsruck und Entpolitisierung
Als das soziale Zentrum von der Nachbarschaft mit Leben gefüllt wurde, trat Harris, einer der Betreiber des Zentrums und des Vereins „Solidarisch. Zusammen. Leben.”, der das Zentrum aufgebaut hat, in die Mitte der Menschen, um eine kurze Ansprache zu halten: „Wir haben diese Räumlichkeiten aufgebaut in der Absicht, der Nachbarschaft in Zeiten von Kriegen, Krisen und zunehmender Vereinzelung einen Gegenpol hier im Stadtteil anzubieten. Das soziale Zentrum „Clara Zetkin“ soll ein Ort sein, an dem die Nachbarschaft hier in Lindenau zusammen kommen, sich begegnen und politisch austauschen kann. Wir bieten zu diesem Zweck auch verschiedene Aktivitäten an, wie einen Chor für Arbeiter:innenlieder, ein Müttertreffen, in dem Mütter politisch zusammenfinden und sich eine Auszeit von der Pflegearbeit nehmen können, einen Spieleabend, ein Nachbarschaftsfrühstück und ein Lesecafé.“
Neben diesen Angeboten, die monatlich in der Reihe „Clara singt/spielt/liest…“ veranstaltet werden, bietet sich das soziale Zentrum auch als Veranstaltungsort für verschiedene sozialistische und fortschrittliche Gruppen an. Es nimmt dabei eine besondere Position ein, da hier auch die Solidarität mit dem Befreiungskampf der Palästinenser:innen gelebt und verbreitet werden kann – ene Möglichkeit, die in Zeiten der politischen Unterdrückung dieser Solidarität durch den Staat und weite Teile der deutschen Öffentlichkeit umso mehr wiegt.
Ein Projekt mit Perspektive
Projekte wie das soziale Zentrum „Clara Zetkin“ sind ein kleiner Hoffnungsschimmer in unserer krisenhaften Epoche, in der uns diese Hoffnung und dieser gelebte Widerstand – selbst in einem so bescheidenen Rahmen – oft als allzu fern erscheinen. Hier entsteht ein Rückzugsort aus dem Alltag der kapitalistischen Konkurrenz, in dem wir alle im Wettstreit miteinander um bessere Löhne, bessere Arbeitsverhältnisse und mehr Anerkennung durch bürgerliche Institutionen stehen. Während wir uns in der kapitalistischen Gesellschaft mittlerweile untereinander in immer umfassenderer Weise über den Austausch von Geld und Waren begegnen, eröffnen Räume wie dieser, die Möglichkeit einer ganz unvermittelten, menschlichen Begegnung.
Wichtig ist dabei – und den Betreibern des soziale Zentrums scheint das sehr bewusst zu sein –, dass dieser Ort nicht selbst wieder die Entpolitisierung, wenn auch in anderer Form, reproduziert. Vielmehr sollte es gelingen, auf einfachem Wege schon in unseren Stadtteilen in den gemeinsamen Austausch über unsere politischen Probleme zu kommen und auf dem nächsten Schritt den Weg zum gemeinsamen Widerstand zu beschreiten. Die Projekte des sozialen Zentrums – von den eigenen Veranstaltungen bis hin zu Bildungsangeboten durch andere Organisationen – tragen die Politik in die Nachbarschaft und bieten zugleich eine Entfaltungsmöglichkeit, eigene politische Anliegen anzugehen. So kann der Gefahr der Reproduktion der Entpolitisierung entgangen werden.
Es bleibt abzuwarten, wie der weitere Weg dieses Projekts aussehen wird. Es ist ihm aber aller Erfolg zu wünschen, denn das Anliegen, die Zielsetzung und der erste Schritt auf dem Weg zur Erreichung dieses Zieles erwecken durchaus Hoffnungen auf eine solidarische und kämpferische Nachbarschaft in Lindenau. Und wenn der Erfolg anhält, bleibt das Projekt hoffentlich nicht auf Lindenau und Leipzig beschränkt.