Die Debatte um die Reaktivierung der Wehrpflicht betrifft Frauen anders als Männer. Laut Umfragewerten stehen Frauen in Deutschland der Wiedereinführung der Wehrpflicht für Frauen mehrheitlich positiv gegenüber. Wie ein genauerer Blick verrät, ist das Bild jedoch differenzierter. – Ein Kommentar von Olga Goldman
Mittels der Studierenden-App UniNow-Feeds wurden im Rahmen einer repräsentativen Umfrage im März 2022 mehr als 480.000 Studierende bundesweit bezüglich ihrer Einstellung zur Wiedereinführung des Wehr- beziehungsweise des Zivildienstes befragt. Dabei kamen 8.166 Antworten zustande. 83 Prozent der Befragten fordern, dass die Wehrpflicht auch für Frauen gelten solle.
Bei einer NDRfragt-Umfrage im März 2024 waren zwei Drittel der Umfrage-Teilnehmer:innen dafür, die Wehrpflicht wieder aufzunehmen. Drei Viertel der Befragten befürworten, dass diese Frauen mit einschließt. Ähnliche Ergebnisse erzielte eine Umfrage von MDRfragt etwas später im Mai 2024. Die Hälfte der 25.000 Befragten sprach sich dafür aus, dass eine erneute Wehrpflicht diesmal sowohl für Frauen als auch für Männer gelten sollte. Dabei ist es jedoch auffällig, dass die Befragten in der Altersgruppe unter 30 die Rückkehr zur Wehrpflicht zu etwa zwei Dritteln ablehnen.
Eine Umfrage von Ipsos aus dem Jahr 2023 ergab, dass 61 Prozent der Deutschen für die Wiedereinführung einer allgemeinen Dienstpflicht sind. Davon sind 43 Prozent der Meinung, dass diese Pflicht für alle Geschlechter gelten sollte. Jüngere Menschen, insbesondere Frauen, sind jedoch tendenziell skeptischer gegenüber einer solchen Einführung im Vergleich zu älteren Befragten.
Eine weitere Studie von Splendid Research untersuchte die allgemeine Meinung zur Einführung einer Wehr- und Zivildienstpflicht. Auch hier zeigt sich, dass die Einstellung stark vom Alter und Geschlecht der Befragten abhängt. Junge Frauen äußern häufiger Bedenken und lehnen eine Pflicht tendenziell eher ab als ihre männlichen Altersgenossen. Insgesamt spiegelt sich in den Umfragen und Diskussionen eine klare Geschlechtertrennung wider: Männer sind häufiger für die Einführung der Wehrpflicht für Frauen als die Frauen selbst.
Die öffentliche Meinungsbildung wird demnach stark von Umfrageergebnissen beeinflusst, die nicht unbedingt repräsentativ für alle Geschlechter und Altersgruppen sind. Diese Forschungslücke ist entscheidend, wenn es um die Befürwortung der Wehrpflicht für Frauen geht.
Gleiche Rechte, gleiche Pflichten – die geschlechtliche Debatte um die Wehrpflicht
Geht es um die Wiedereinführung der Wehrpflicht, haben wir es in Deutschland mit einer Geschlechter-Debatte zu tun. Denn Frauen sind von Militarisierung und Aufrüstung in Deutschland anders betroffen als Männer. Frauen ist es aktuell erlaubt, freiwillig an der Waffe zu dienen, ihre Zwangsverpflichtung hierzu ist jedoch – anders als die der Männer – nach wie vor verboten. Eine Abschaffung des Verbots bedürfte einer Verfassungsänderung, weswegen der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) den Vorschlag, eine Wehrpflicht für Männer und Frauen einzuführen, schon Anfang des Jahres verwarf.
Befürworter:innen der Wehrpflicht für Frauen sind davon überzeugt, dass Frauen die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten wie Männer haben sollten. Damit würde die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Gesellschaft gefördert, es sei ein starkes Signal und Zeichen einer fortschrittlichen Gesellschaft. Als ein weiteres Argument wird die anti-patriarchale Wirkung einer weiblicheren Armee herausgestellt: Kriegsverbrechen könnten durch die Kompetenzen der Frauen vermieden und eine humanere Kriegsführung gefördert werden.
Hinter solchen Argumenten versteckt sich eine planmäßige, geschlechtsstereotypische Aufgabenzuteilung. Aus der „Barrier-Studie“ – eine wissenschaftliche Untersuchung von Hürden, die der verstärkten Partizipation von Soldatinnen der Bundeswehr an Missionen der Vereinten Nationen entgegenstehen – geht hervor, dass Soldatinnen im Einsatz häufig geschlechtsspezifische Sonderaufgaben im sozialen oder fürsorglichen Bereich zugewiesen werden. Diese Aufgabenteilung wirkt dem Patriarchat nicht entgegen, sie liegt ihm geradezu zugrunde. Denn es liegt im Interesse des Staats – ob zu Friedens- oder Krisenzeiten –, auf traditionelle Vorstellungen von „Frauenarbeit“ zurückzugreifen, damit die unbezahlte Arbeitskraft von Frauen ausgebeutet werden kann. Die befragten Soldatinnen gaben zudem an, dass sie ihre Leistungsfähigkeit gegenüber ihren Vorgesetzten und anderen Soldaten eher beweisen mussten und aus Angst vor Diskriminierung und sexuellen Übergriffen auf Missionen verzichten.
Emanzipation an der Waffe
Durch die stärkere Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr wird also keineswegs ein Beitrag zur Emanzipation der Frau geleistet. Die Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen soll schlicht dem Personalmangel beim Bundesheer und im Zivildienst entgegenwirken. Frauen sollen, genauso wie Männer, als Kanonenfutter an der Waffe dem Staat dienen und sich dabei seinem patriarchalen Normativ unterordnen. Die Armee, so wie das Schlachtfeld, sind und bleiben patriarchale Räume. Weder ist die Wehrpflicht für Frauen ein Schritt zur Emanzipation der Frauen, noch trägt diese Maßnahme zu einer friedlicheren Bundeswehr bei.
Die Wehrpflichtdebatte kann nicht losgelöst von den systemischen Fragen betrachtet werden, die Gewalt und speziell Gewalt an Frauen verursachen. Der Ursprung von Gewalt und auch von Krieg findet sich in den historischen und materialen Strukturen wie dem Kapitalismus, Neokolonialismus und Patriarchat. Die traditionelle und tief verwurzelte Feindseligkeit des Militärs gegenüber Frauen ist unverkennbar.
Ein gender-gerechtes Konzept für Armeen kapitalistischer Staaten und Krieg ist also an und für sich ein Ding der Unmöglichkeit, denn das Patriarchat – gestützt und geschützt vom Kapital – institutionalisiert Gewalt generell und Gewalt gegen Frauen. Eine Frau in der Armee der herrschenden Klasse wird nicht in der Lage sein, das patriarchale Spielfeld oder seine gewaltvollen Symptome zu verändern. Sie wird diese entweder am eigenen Leib spüren oder sich ihrer bedienen, um auch anderen Frauen zu schaden. Die militärische Einberufung von Frauen hat nichts gemein mit Feminismus. Sie ist ein weiteres Werkzeug der herrschenden Klasse zur Unterdrückung der Frau, wenn auch in Regenbogenfarben bemalt und als fortschrittlich inszeniert.