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Fußball-EM: Der Nationalismus der anderen

In den vergangenen Wochen und Tagen der EM waren nicht nur Spiele in den Medien, sondern auch zahlreiche Auseinandersetzungen zwischen nationalistischen Fans. Dabei beschränken sich die Angriffe nicht auf ein Land. Überall lauert der Nationalismus heutzutage. Darf man die EM überhaupt noch gucken? Ein Kommentar von Michelle Mirabal.

Der faschistische Gruß des türkischen Nationalspielers ist derzeit in aller Munde. Ein gefundenes Fressen für die Deutschen und andere Nationen, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen. So hat die deutsche Regierung heute den türkischen Botschafter einbestellt.

Zweifelsohne ist der Faschismus in der Türkei ein besonders starker Vertreter des Nationalismus. Doch in den letzten Wochen konnte man in den Medien immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Fans verschiedener Nationen sehen. Dahinter steckt eben nicht nur ein „schlechter“ Nationalismus, der einer Art gesundem Patriotismus gegenübersteht. Der Nationalismus wird von allen Seiten bewusst in die Gesellschaft getragen. Die Mittel dafür reichen von Handzeichen über heroisierende Werbung und Spielfilme bis hin zu Sprechchören und tätlichen Angriffen.

Bannerklau, Prügeleien und nationalistische Parolen

Bereits kurz nach Beginn der EM am 14.06. haben polnische Fans des Vereins Apklan Resovia Rzeszów ein Banner vom Millerntor-Stadion abgehängt. An dem Stadion des traditionell eher links orientierten Fußballvereins St.Pauli stand „Vereinsliebe statt Vaterlandsliebe“. Kurz nach dem Bannerklau bekannten sich auf der Plattform X einige Fans von Resovia zu der Tat und schrieben dazu „Love Football, Hate Antifa“. Die rechte Gesinnung vieler Fußball-Ultras und Hooligans aus Osteuropa ist dabei nichts Neues.

Zwischen Fans von Kroatien, Serbien und Kosovo kam es auch besonders oft zu Auseinandersetzungen. Dabei hörte man immer wieder verschiedene Parolen wie „Tötet, tötet, tötet die Serben“ oder „Kosovo ist das Herz Serbiens“. Die jahrelangen Kämpfe zwischen den Ländern und der gut gesäte Nationalismus durch den Staat tragen also ihre Früchte. Bereits nach dem 1. Spieltag verhängt die UEFA Strafen in Höhe von mehreren Tausend Euro, da die Fans nationalistische Banner bei den Spielen aufhängten. Albanische und serbische Fans zeigten jeweils Länderkarten, auf denen die Grenze ihres Landes bis in die Nachbarstaaten hineinreichte.

Dabei ist auch Deutschland kein Unschuldslamm. Zum einen beteiligte sich der deutsche Staat am Kosovokrieg 1989-1990. Zum anderen hat Christian Schmidt (CSU) das neo-koloniale Amt des herrschenden „Hohen Repräsentant für Bosnien und Herzegowina“ inne. Der deutsche CSU-Politiker war letztes Jahr in den Nachrichten, weil er per Dekret kurzerhand serbische Nationalisten unterstützt hatte.

Was bedeutet der Wolfsgruß?

Die nationalistischen Fans der Türkei sind in den letzten Tagen wohl besonders in den Fokus gerückt. Auch hier gab es nationalistische Parolen bis hin zu Messerangriffen beim Public Viewing. Kurd:innen standen immer wieder im besonderen Fokus dieser Angriffe. Der türkische Staat führt immer wieder Angriffskriege gegen das kurdische Volk und sät gezielten Hass gegen Kurd:innen, um seine Kriege zu rechtfertigen. Der Faschismus ist unter türkischen Fans alltagstauglich geworden.

Immer wieder sieht man dabei den „Wolfsgruß“, den auch der türkische Nationalspieler Merih Demiral nach seinem Tor zeigte. Der Wolfsgruß ist ein Symbol von türkischen Faschist:innen, besonders von der Organisation „Graue Wölfe“. Bei den Grauen Wölfen handelt es sich um nicht weniger als die größte faschistische Organisation Deutschlands. Die aus der Türkei stammende und oft auch Ülkücü genannte Struktur hat in Deutschland mehr als 18.000 Mitglieder und 300 Lokale.

Wer sind die „Grauen Wölfe”?

Das Ganze geschah am 02.07.2024, genau an dem Tag, an dem 1993 das Sivas Massaker geschah. Am 02.07.1993 wurde in der Stadt Sivas ein alevitisches Straßenfest abgehalten, kurz darauf versammelten sich einige Faschist:innen und griffen die Alevit:innen an. Dabei wurde auch ein Brandsatz auf ein Hotel geworfen, welches sofort abbrannte. Bei dem Massaker wurden 35 Alevt:innen ermordet.

Parallel dazu: Faschismus und Aufrüstung

Die EM zeigt ganz deutlich, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Länder Europas der Faschismus an Zulauf gewinnt. Das zeigen nicht zuletzt die Europa-Wahlen oder die Wahlen in Frankreich. Während Antifaschist:innen in Deutschland versuchten, den AfD-Parteitag zu verhindern und dafür brutal von der deutschen Polizei zerschlagen wurden, singen österreichische Fans beim Spiel „Ausländer raus“ und sowohl ungarische als auch deutsche Fans zeigen wiederholt den Hitlergruß.

Seit nun einiger Zeit ist die Politik der Länder geprägt durch eine Vorbereitung auf einen dritten Weltkrieg. Die Rüstungszahlen sind erstmals weltweit auf einem Rekordniveau. Eine weitere Eskalation der Kriege bzw. Konflikte in Westasien, Osteuropa und bald auch Südostasien wird immer wahrscheinlicher. Bei Vorbereitungen auf Kriege müssen die Länder dafür sorgen, dass die Bevölkerung diese Kriege auch gut finden. Einerseits brauchen sie Soldaten, andererseits im Kriegsfall die Unterstützung im eigenen Hinterland. Ein Mittel dazu ist das Säen von Nationalismus. Den Menschen wird weisgemacht, dass ein Krieg geführt werden muss, da man selbst besser und die jeweils andere Nation schlechter sei.

Ein Schlechtmachen der anderen Nationen üben bei der EM beispielsweise die Sportkommentatoren in Deutschland regelmäßig aus. Seien es die unfair spielenden Italiener oder das paternalistische Belächeln der Teams aus Osteuropa. Man selbst ist die perfekte Mannschaft, so das gewünschte Selbstbild. Wenn nicht, kriegen auch mal die deutschen Spieler Rassismus und Presse zu spüren. Darum tun sich auch so viele Leute schwer mit der EM. Warum kann man nicht einfach guten Fußball schauen? In den oberen nationalen Fußballligen versucht der Kapitalismus mit allen Mitteln einzudringen. Auch bei der UEFA dreht sich alles um den Profit, von der FIFA ganz zu schweigen.

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Wie viel Nationalismus wollen wir im Sport?

Währenddessen geht es den Nationalstaaten auch um Profilierung. Es ist sicherlich kein Wunder, dass die stärksten Volkswirtschaften so stark in ihre Nationalmannschaften investieren und dementsprechend einen Nationalgeist, ein künstliches Wir-Gefühl der Überlegenheit kreieren. Und wenn die Bild titelt „Europa ist ein geiles Land“, dann wird damit gezielt die Festung Europa in deutschem Interesse propagiert und nicht etwa eine allgemeine Völkerfreundschaft.

Häufig heißt es „noch können wir froh sein, dass sich die Staaten nicht bekriegen.“ Doch was, wenn diese Art des Fußballs bereits das Vorspiel dessen ist? Genießen wir es also mit Vorsicht, wohl wissend, dass sich große Sportereignisse im Kapitalismus nicht von Nationalismus und Profit trennen lassen. Solange wir noch in diesem System leben, lasst uns den Nationalisten nicht auf den Leim gehen. Seien wir für den Sport, für den Wettbewerb, für das beste Team, für die Spieler, die wir am meisten mögen – und nicht für Nationen. Ein Miteinander über die eigene Mannschaft hinaus für einen fairen Sport und eine proletarische Fankultur ist möglich.

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Michelle Mirabal
Michelle Mirabal
Auszubildende zur Elektronikerin.

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