Vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg warnen führende Unternehmerverbände vor Wahlsiegen der AfD. Dabei verweisen sie insbesondere auf den Fachkräftemangel in Deutschland und die tragende Rolle migrantischer Arbeitskräfte in der Wirtschaft. Viele Unternehmen pflegen dagegen gute Kontakte zur AfD.
Die führenden Wirtschaftsverbände in Deutschland warnen vor Wahlsiegen der AfD bei den Landtagswahlen im September. Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), nannte die Umfragewerte der Partei „besorgniserregend“. Die deutsche Wirtschaft stehe „für ein weltoffenes, liberales Deutschland“. Dulger kritisierte auch den „antieuropäischen und antiwestlichen Reflex“ der AfD. Deutschland habe über Jahrzehnte von der Globalisierung profitiert wie kaum ein anderes Land.
Hauptargument Fachkräftemangel
Auch Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), sieht den Aufstieg der AfD kritisch. Die wenigen inhaltlichen Aussagen, die es von der Partei gäbe, seien durch die Bank untauglich für eine Stärkung der deutschen Wachstumskräfte: „Die offen und aktiv ausgelebte Fremdenfeindlichkeit der AfD verschärft die ohnehin existierenden Probleme des demografischen Wandels und Fachkräftemangels, von denen gerade Deutschland besonders betroffen ist.“ Wer über „Remigration“ rede, wer sage „Ausländer raus“, der solle sich „bitte mal umschauen, auf die nächste Baustelle gucken, ins nächste Pflegeheim schauen, ins nächste Krankenhaus gehen, die nächste Kneipe besuchen: Was wäre dieses Land ohne Zuwanderer?“
Die Ausrichtung auf eine exportorientierte Wirtschaft und die Verfügbarkeit von genug Arbeitskräften durch Migration sind also die Kernpunkte Dulgers und Russwurms, die sie gegen die AfD anführen. Die Partei fordert in ihrem Grundsatzprogramm unter anderem eine „Minuszuwanderung“ über mehrere Jahre, die Abschaffung einer angeblichen „rechtlichen und sozialen Privilegierung türkischer Staatsangehöriger in Deutschland“ und die Streichung des Asylrechtes in seiner bisherigen Form aus dem Grundgesetz. Ebenso will die AfD, dass Deutschland den Euroraum verlässt – der bislang eine der Grundlagen für die führende ökonomische Stellung des deutschen Imperialismus in Europa ist.
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Bemerkenswerte Einigkeit bei vielen Forderungen
Bei anderen Punkten dürfte sich aber gerade Rainer Dulger mit der AfD einig sein: Schon kurz nach seinem Amtsantritt Ende 2020 setzte sich der Arbeit„geber”präsident in verschiedenen Presseinterviews unter anderem für geringere Staatsausgaben, weniger Steuern für Reiche und Unternehmen sowie eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ein – alles Punkte, die sich in ähnlicher Form im AfD-Programm wiederfinden. Bei der Rente geschieht dies etwas verklausuliert, indem die Partei fordert, den Renteneintritt künftig bei Erreichen einer „klar definierten anrechenbaren Lebensarbeitszeit“ anstatt vom Lebensalter abhängig zu machen. Damit öffnet sie faktisch die Tür für die Rente mit 70 oder noch höhere Lebensalter – ein Plan, den Dulger schon ganz offen formuliert hat.
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Geflüchtete als Leiharbeiter:innen?
Bei der Leiharbeit scheint Dulger die AfD sogar rechts überholen zu wollen. Während diese – wohl mit Blick auf Wählerstimmen unter Arbeiter:innen – eine Festanstellung nach sechs Monaten einführen will, lehnt Dulger Einschränkungen der Leiharbeit rigoros ab. Diese sah er in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen von 2021 insbesondere als geeignetes Arbeitsverhältnis für Geflüchtete: „Zeitarbeit ist ein Integrationsmotor in den Arbeitsmarkt – gerade für Flüchtlinge“. Und noch im März 2024 sprach sich Dulger im Gleichklang mit der AfD gegen eine weitere „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ aus und forderte „strengere Bürgergeld-Regeln für Ausländer“.
Deutsche Unternehmer mit guten Beziehungen zur AfD
Während Dulger und Russwurm mit dem durchschaubaren Argument vor der AfD warnen, dass Deutschland migrantische Arbeitskräfte – und zwar gerne als Leiharbeiter:innen – benötige, haben nicht wenige Unternehmenschefs schon längst keine Berührungsängste mehr mit dem Sammelbecken der deutschen Faschist:innen: Milch-Millionär Theo Müller pflegt inzwischen ganz offen gute Kontakte mit der Fraktionsvorsitzenden der AfD, Alice Weidel.
Hans-Christian Limmer, Gründer der Bäckereikette „Backwerk”, lud sogar zu dem berüchtigten „Potsdamer Treffen“ von AfD-Politiker:innen und anderen Vertreter:innen der Ultrarechten Ende 2023 ein, das Anfang des Jahres nach seiner Aufdeckung durch das Recherchemagazin Correctiv antifaschistische Massenproteste auslöste. Limmer war bei dem Treffen selbst zwar offenbar nicht anwesend, fand aber im Nachhinein, er habe „nichts Falsches“ getan.
Zu den Großspendern der Partei zählen darüber hinaus eine Reihe von Unternehmern, z.B. aus dem Mittelstand und der IT-Branche. Und mit Mercedes-Benz unterhält inzwischen sogar ein Flaggschiff-Konzern der deutschen Autoindustrie Kontakte zu AfD-Politiker:innen, wie das ARD-Politikmagazin „Kontraste” Ende letzten Jahres aufdeckte.
Bei näherem Hinsehen steht das deutsche Kapital der Rechtsaußen-Partei also viel näher, als ein paar öffentliche Distanzierungen vor den Wahlen nahelegen. Dies gilt vor allem für arbeiterfeindliche Maßnahmen.