Zeitung für Solidarität und Widerstand

Repression gegen Rechts – nur zu unserem Besten?

Seit dem Ausbruch des Völkermords in Palästina durch Israel überzieht der deutsche Staat sowohl fortschrittliche als auch rückschrittliche Kräfte zunehmend mit Repression. Vermeintlich zum Schutze „unserer“ Demokratie. Was steckt dahinter? – Ein Kommentar von Johann Khaldun.

Der bürgerliche deutsche Staat tritt aufs Gas. In den letzten Monaten häufen sich die repressiven, antidemokratischen Maßnahmen Schlag auf Schlag: Repression gegen Palästina-solidarische Kräfte in Form von Versammlungsverboten und Verboten ganzer Organisationen wie „Samidoun”. Verbot reaktionärer Zeitschriften wie dem Compact-Magazin. Verbot ebenso reaktionärer, religiös-ideologischer Vereine wie dem „Islamischen Zentrum Hamburg” (IZH) inklusive Schließung einer Moschee. Der Deutschlandfunk schaut sogar mit seiner Kristallkugel in die Zukunft, um im Falle eines AfD-Siegs bei den kommenden Landtagswahlen die Anwendung des sogenannten „Bundeszwangs” (nach Art. 37 des Grundgesetzes)” zu erwägen.

Das alles wird öffentlich präsentiert als unvermeidliche Aktionen zum Schutze „unserer“ Demokratie und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Auf den ersten Blick scheint das nicht so unwahrscheinlich zu sein. Denn der Staat geht hier sowohl gegen Links als auch Rechts vor. Wir wollen uns das aber einmal genauer ansehen und darüber nachdenken, ob hier wirklich kein Grund zur Sorge besteht, wie uns Politik und Medien im Einklang erklären.

Umgehung rechtlicher Normen im Namen des „Rechtsstaats“

Zunächst ist auffällig, dass in vielen der genannten Maßnahmen rechtliche Sonderwege gegangen werden, um die gewünschten Ziele überhaupt zu erreichen. Um z.B. das Compact-Magazin zu verbieten, nimmt die Regierung Rückgriff auf das Vereinsrecht. Nur handelt es sich bei der Zeitschrift um ein Medienunternehmen, auf welches das Vereinsrecht nicht angewendet werden kann. Die „Regulierung” der Presse fällt zudem in den Regierungsbereich der Bundesländer, während das Verbot nun vom Bundesinnenministerium ausging. Daher werden die Betreiberfirmen „COMPACT-Magazin GmbH” und die „CONSPECT FILM GmbH” verboten, und nicht das Magazin direkt. Ob das letztlich funktioniert, wird sich zeigen.

Auch beim Verbot des IZH gibt es Auffälligkeiten: So wird auch hier, allerdings zutreffenderweise, das Vereinsrecht angewandt. Der Verfassungsschutz beruft sich bei der Begründung auf eine Erhärtung des „Extremismusverdachts“, liefert dabei aber keine Nachweise. Sicherlich handelt es sich beim IZH um einen ideologischen Vorposten des Iran, der seinen Einfluss auf die muslimische Welt ausweiten will. Nur gilt dasselbe auch für die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion” (DITIB) – umgemünzt auf den Einfluss der türkischen Staatsideologie. Eine der Organisationen wurde verboten, die andere nicht. Beide sind reaktionär. Der Unterschied: Der deutsche Imperialismus verfogt handfeste Interessen mit der Türkei – in Form von traditionellen imperialistischen Verbindungen noch aus Zeiten des Kaiser- und Osmanischen Reiches und zuletzt auch zur „Flüchtlingsabwehr“.

Und auch im Falle der potentiellen Anwendung des Bundeszwangs gegen etwaige AfD-Landesregierungen handelt es sich um ein Novum der bundesrepublikanischen Geschichte: In diesem Fall würde die Bundesregierung die Regierungsgewalt der gegebenen Landesregierung faktisch an sich ziehen – und sei es auch nur in Teilbereichen. Im Szenario, das der Deutschlandfunk zeichnet, geht es um die Asylpolitik, die ohnehin schon auf AfD-Linie ist. Der Bundeszwang hat seinen historischen Vorläufer in der „Reichsexekution”, die in der Weimarer Republik vor allem gegen die Arbeiter:innenbewegung angewandt wurde und den Nazis den Weg geebnet hat. Einmal eingeführt und normalisiert, ist absehbar, wen der Bundeszwang zukünftig hauptsächlich treffen würde.

Ideologie im „ideologiefreien“ Raum und bürgerliche Demokratie

Der deutsche Staat und seine Regierungen und Ideolog:innen berufen sich zur Rechtfertigung solcher Maßnahmen immer wieder auf den „Extremismus“ der einen oder anderen Seite. Diese Begründung ist unschwer als Rechtfertigungsideologie der bestehenden Ordnung zu enttarnen: Sind Links und Rechts erst einmal dadurch definiert und gleichgesetzt, dass sie Extreme im Verhältnis zu einer einfach als gegeben hingenommenen „Mitte” darstellen, wird damit eben diese Mitte/das Zentrum unbegründet zur Norm, zum unanzweifelbaren Fakt erklärt. Wer nun grundsätzliche Kritik an dieser Mitte äußert – sei sie nun fortschrittlich (wie bei Samidoun und der Palästina-Solidaritätsbewegung) oder rückschrittlich (wie bei Compact und AfD), wird zum Staats„feind” und damit zum Repressionsziel.

Was aber charakterisiert dieses Zentrum/diese Mitte? Nichts anderes als der Kapitalismus und der bürgerliche Staat in seiner bürgerlich-demokratischen Form. Gerät aber der Kapitalismus in eine tiefe Krise, tut sich ein Widerspruch zwischen diesen beiden auf. Denn die Gesellschaft wird dann durch steigende Klassenkämpfe, durch die Faschisierung, die aus der Verarmung der Mittelschichten und bessergestellter Arbeiter:innen rührt, instabiler. Auch die herrschende Ideologie gerät dann in eine Krise. Die Sicherung der kapitalistischen Produktionsweise ist dann immer schlechter durch den bürgerlich-demokratischen Staat zu gewährleisten. Denn der ist in seinen repressiven Mitteln noch beschränkt. Es bräuchte dann ab einem bestimmten Punkt die faschistische Diktatur, um den Kapitalismus zu erhalten.

Es passiert daher zweierlei: die Regierungen, die durchaus noch um den Erhalt der bürgerlichen Demokratie (eben zum Ziele der Reproduktion des Kapitalismus) interessiert sind, müssen diese Demokratie immer mehr abbauen, damit sie repressiver gegen die erstarkenden gesellschaftlichen Kräfte von Links und Rechts kämpfen können. Die bürgerliche Demokratie unterhöhlt sich so selbst und bahnt dem Faschismus den Weg – während sie glaubt, ihn zu bekämpfen. Damit schiebt sich die gesamte politische Landschaft, die den Kapitalismus nicht infrage stellt, nach rechts. Und es ist dann auch kein Wunder, dass vor allem sozialistische und kommunistische Kräfte am schwersten von der Repression erfasst werden. Das ist es, was wir jetzt sehen und erleben.

Deutsche Staatsräson und unser Ausweg

Augenfällig ist die Verbindung der aktuellen Zuspitzung von Repression an dem Aufstand des organisierten palästinensischen Widerstands am 7. Oktober letzten Jahres, der völkermörderischen Reaktion Israels darauf und der unverbrüchlichen Treue der deutschen Regierung zu Israel und somit Beteiligung an dessen Völkermord. An die Perversion, dass so viele Deutsche sich bei der Unterstützung eines erneuten Genozids auf das „Nie wieder!“ des Holocausts berufen, hat man sich einstweilen schon fast gewöhnt.

Aber das ist eben selbst nur Rechtfertigung der Interessen des deutschen Kapitals und seines Staats. Die Krise des Kapitalismus in Deutschland und weltweit läuft dem Völkermord in Palästina weit voraus. Wenn sich diese Regierung also nun auf den Schutz von Jüd:innen oder den vermeintlichen Kampf gegen Antisemitismus – wobei regelmäßig antizionistische Jüd:innen vom deutschen Bullenknüppel erfasst werden – beruft, ist das schlicht eine Lüge: Hier geht es um den Schutz des Kapitalismus und seiner bürgerlich-demokratischen Staatsform. Hier geht es, unverblümt gesagt, darum, dass wir alle schön das Maul halten und uns weiter ausbeuten lassen sollen. Und zwar vom deutschen Kapital, wenn’s denn sein darf.

So steht auch das Verbot des IZH im Zeichen geopolitischer Interessen. In der aktuellen Krise des Imperialismus geraten die alten Bündnisse ins Wanken. Der deutsche Imperialismus muss sich zwischen den Fronten – Verbleib unter der Hegemonie der USA oder Abkehr und Schwenk unter die aufsteigende Hegemonie Chinas – positionieren, oder er muss einen neuen Anlauf zu eigener globaler Bedeutung wagen (wie das etwa die AfD oder das BSW mit ihrer energiepolitischen und geostrategischen Ankopplung an Russland verfolgen). Der Iran spielt dabei eine Schlüsselrolle, denn er ist ein erkorener Erzfeind der USA. Ebenso steht es mit Israel, zumal die Palästina-solidarische Bewegung größere Potentiale einer antikapitalistischen Entwicklung in sich birgt. Daher wurde mit Samidoun gerade eine fortschrittliche und keine reaktionäre Gruppe verboten.

Es bleibt uns daher gar kein anderer Weg, als uns selbst wieder stärker politisch zu organisieren. Und das auf bewusst antikapitalistischer weltanschaulicher Grundlage zu tun. Denn sonst werden wir dieser Tendenz hin zu einem neuen großen Krieg und zum Faschismus, wie sie nicht das erste Mal aus den zwischenimperialistischen Zuspitzungen und der Krise des Kapitalismus folgen, nicht entkommen können. Die Zunahme der Repression durch den bürgerlich-demokratischen Staat unter dem ideologischen Schirm des Schutzes Israels wird weiter gehen. Sie wird vielleicht zwischenzeitlich wieder abnehmen, aber solange die Krise des Kapitalismus nicht gelöst ist – und dafür gibt es aktuell keine Anzeichen, vielmehr ist mit Krisenverschärfung ein neuer großer Krieg ein zunehmend attraktives Angebot – wird sich die Tendenz fortsetzen. Unsere eigenständige Organisierung als Arbeiter:innen wird so zum Selbstschutz.

Johann Khaldun
Johann Khaldun
Perspektive-Autor seit 2023. Philosoph deutsch-algerischer Abstammung mit Fokus auf Arbeiter:innengeschichte und deutschem Idealismus. Vom Abstrakten zum Konkreten auf dem Weg der Vermittlung.

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