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Montag, September 9, 2024
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    Auto-Offensive und Bürgergeld-Kürzungen: Die Flucht nach vorn der FDP

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    Die FDP steht bei 2 Prozent und betreibt daher umso verzweifelter Wahlkampf. SPD & Co. haben bereits vorgelegt, was Sozialstaatsabbau und Kaputtsparen betrifft. – Ein Kommentar von Michael Koberstein.

    Die FDP hat ein neues Papier vorgelegt, in dem sie sich als „Partei des Autos” darstellt: Konkret fordert sie darin kostenloses Parken in Innenstädten oder günstiges Flatrate-Parken. Maßnahmen zur Reduzierung des Autoverkehrs und Förderung des Öffentlichen Nahverkehrs lehnt sie dagegen ab, z.B. die Umwandlung von Straßen in Fahrrad- und Fußgängerwege.

    Die bisherige Verkehrspolitik bezeichnet sie als „ideologisch”. Damit nähert sie sich rhetorisch und praktisch der CDU/CSU, AfD und BSW an, die ebenfalls Verbrennungsmotoren fördern wollen. Hintergrund dürften die schlechten Umfragewerte für die FDP in den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sein (überall unter 3 Prozent). In den größtenteils ländlichen Räumen dieser ostdeutschen Bundesländer sind viele Menschen auf Automobile angewiesen, weil der ÖPNV und auch der Fernverkehr über Jahre hinweg abgebaut wurden. In Brandenburg erhofft sich der FDP, noch über die 5-Prozent-Hürde zu kommen. Daher nun die Auto-Offensive vom Brandenburgischen FDP-Kandidaten Zyon Braun.

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    Infrastrukturausbau: Die einen schlechter als die anderen.

    Dieser Vorstoß wird von verschiedenen Seiten kritisiert. Der Verkehrswissenschaftler Christian Böttger z.B. meint zum Flatrate-Parken, dass durch weniger gebührenpflichtiges Parken, Zeitbeschränkungen oder Anwohner-Parkplätze der Parkplatzmangel zunehme. Vor allem Wohnmobile oder Materialfahrzeuge würden die Parkplätze dauerhaft belegen.

    Auch der ADAC kritisierte das Vorhaben: „Fahrradstraßen leisten einen guten Beitrag, die Verkehre stärker zu trennen und so die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden zu erhöhen“, sagte eine Sprecherin des ADAC gegenüber der Taz.

    SPD und Grüne weisen die Forderungen der FDP in Verkehrs- und Sozialpolitik in Worten zurück. Das neueste Papier beschreiben sie als altbacken und fordern eine intelligente Kombination von Verkehrsmitteln. Dabei ist zu beklagen, dass keine der Regierungsparteien in den letzten 20 Jahre den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland nennenswert voran gebracht hat. Die angestauten Investitionen belaufen sich nach Schätzungen bereits auf 600 Milliarden Euro.

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    Wahlkampf von oben: Wer fordert höhere Bürgergeldkürzungen?

    Auch beim Thema „Angriffe auf Ärmere” legt die FDP nach: So meint Fraktionschef Christian Dürr gegenüber der BILD, dass das Bürgergeld 14-20 Euro zu hoch sei. Begründung: die Inflation sei zuletzt nicht so hoch ausgefallen wie erwartet. Es werden immer wieder leichte Anpassungen am Bürgergeld vorgenommen. Zuletzt wurde das Bürgergeld um 12 Prozent erhöht. Doch der Rückgang der Inflation sagt nicht viel über die allgemeinen Lebenskosten aus. So sind z.B. Lebensmittelpreise rund 30 Prozent höher als vor drei Jahren.

    Gleichzeitig wurden erst kürzlich heftigere Einschränkungen beim Bürgergeld durchgesetzt: So sollen Sanktionen von bis zu 30 Prozent möglich sein und Bürgergeldempfänger Arbeitswege von bis zu drei Stunden in Kauf nehmen. Außerdem soll das Schonvermögen von 15.000 Euro schon nach sechs Monaten angetastet werden dürfen.

    Ein weiterer Dauerbrenner der FDP ist der Verweis auf sogenannte „Totalverweigerer”, also Menschen, die Bürgergeld beziehen, sich aber nicht um einen Job bemühen würden, was 16.000 Menschen sein sollen. Diese Zahlen kommen in der Regel einfach durch Meldeversäumnisse zustande. Doch obwohl die Totalverweigerer ein Mythos sind, stimmen nicht nur AfD, CDU und BSW, sondern auch die SPD mit in die Hetze ein.

    So sagte Lars Klingbeil im ARD-Sommerinterview: „Das, was die Menschen trifft in ihrem Gerechtigkeitsempfinden, ist, wenn da auf einmal 16.000 sind, die sich jeglicher Mitarbeit mit dem Staat verweigern. Die also die Solidarität des Staates ausnutzen, sich zurücklehnen und sagen, ich muss nichts machen. Und denen muss man sehr klar sagen, es gibt kein Recht auf Faulheit.”

    Besonders hoch wird das Bürgergeld aber auch ohne die geforderten Kürzungen der FDP nicht sein. Das Arbeitsministerium geht zurzeit von einer Nullrunde für 2025 aus.

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    Alle derzeitigen Regierungsparteien werden dafür laut aktuellem Umfragestand in den anstehenden Landtagswahlen wohl ihre Rechnung bekommen.

    Aus diesem Grund nun auf die CDU, AfD, Linke oder BSW zu setzen, könnte sich für die Wähler:innen bald jedoch ebenso sehr als Trugschluss erweisen, denn keine dieser Parteien verspricht eine wirkliche Kehrtwende in der Infrastruktur-Debatte. Die aktuelle Bundesregierung muss in den Landtagswahlen nun als Sündenbock für das kapitalistische System herhalten. Davon profitieren ebenso unverdient die CDU, AfD und BSW.

    • Perspektive-Autor seit 2023 und Kommunist aus dem Südwesten. Interessiert sich für soziale Kämpfe und imperialistische Außenpolitik

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