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Olympia 2024 – Ein Erfolg gegen das Patriarchat oder doch nur Heuchelei?

Die diesjährigen Olympischen Spiele 2024 sind nun offiziell eröffnet. Unter dem Hashtag #GenderEqualOlympics gibt sich das Internationale Olympische Komitee schon jetzt als Verfechter der Gleichberechtigung aller Geschlechter. Doch wie fortschrittlich ist Olympia tatsächlich? – Ein Kommentar von Livia Haas

Am 26. Juli 2024 wurden die Olympischen Spiele in Paris offiziell eröffnet. Besonders präsent ist dabei auch die Werbekampagne des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), bei der sich alles um die Gleichberechtigung der Geschlechter zu drehen scheint. Unter dem Hashtag #GenderEqualOlympics wird gefeiert, dass in diesem Jahr die Teilnehmer:innen nahezu jeweils zur Hälfte aus Männern und Frauen bestehen – ein großer Erfolg in seinen Augen.

Doch blickt man hinter die Fassade, offenbart sich ein gänzlich anderes Bild der Olympischen Spiele. Das ist erst einmal nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass auch die Olympischen Spiele im Kontext eines patriarchalen kapitalistischen Systems stattfinden. Doch wie genau wird überhaupt das Bild von „gleichberechtigten” Olympischen Spielen geschaffen?

Das Patriarchat greift tiefer

Auf der offiziellen Seite der Olympischen Spiele rühmt man sich, dass es dieses Jahr gelungen sei, die Teilnehmer:innenzahl zu einem gleich großen Anteil aus Männern und Frauen zusammenzusetzen. Man schreibe damit Geschichte für alle Frauen und für den Sport im Allgemeinen, so IOC-Präsident Thomas Bach. So betont er, dass man es im Laufe der Jahre geschafft habe, den Anteil der Frauen immer weiter zu erhöhen und habe nun endlich sogenannte Parität erreicht.

Zudem sei es gelungen, ungefähr gleich viele Medaillenvergaben zwischen Männern und Frauen zu organisieren. Die Begründung für diese angebliche Gleichberechtigung wird also allein von den Größenverhältnissen der Geschlechter abgeleitet. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den tiefergreifenden patriarchalen Strukturen dieses Sportwettbewerbs? – Gibt es natürlich nicht.

Bei einer näheren Betrachtung der Olympischen Spiele zeigt sich nämlich schnell, dass die Unterdrückung von Frauen im Sportkontext nicht einfach durch einen höheren Frauenanteil ausgeglichen wird: Denn sexualisierte Gewalt und patriarchale Kleidungsvorschriften stehen hier weiterhin auf der Tagesordnung.

Sexualisierte Gewalt ist niemals ein Einzelfall

So ist es dieses Jahr beispielsweise möglich, dass der straffällige niederländische Vergewaltiger van de Velde ohne Probleme in der Disziplin Beachvolleyball antreten darf. Van de Velde hatte vor zehn Jahren ein minderjähriges Mädchen vergewaltigt und war anschließend zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden. Dass ein verurteilter Vergewaltiger ganz selbstverständlich an den diesjährigen Olympischen Spielen teilnehmen kann, sorgte entsprechend für einen riesigen medialen Aufschrei – jedoch nicht hinreichend groß, dass daraus tatsächliche Konsequenzen vom Olympischen Komitee gezogen worden wären. Ein Einzelfall, könnte man jetzt denken – doch die zahlreichen Fälle von sexualisierter Gewalt im Sportkontext zeugen von einer anderen Realität.

Beispielsweise ist im Jahr 2016 bekannt geworden, dass die weltbekannte amerikanische Turnerin Simone Biles über mehrere Jahre hinweg von ihrem Teamarzt sexuell missbraucht wurde. Er hatte Biles auch bei den Olympischen Spielen ärztlich betreut. Wie sich in einem umfangreichen Gerichtsverfahren schließlich zeigte, hatte er über zwanzig Jahre hinweg fast 160 verschiedene junge Mädchen und Frauen im Kontext von „ärztlichen Untersuchungen“ vergewaltigt und missbraucht. Die Tatsache, dass es trotz der erschreckenden Anzahl der Betroffenen so lange gedauert hat, bis das Schweigen durchbrochen wurde, zeigt einmal mehr, wie tief verankert die patriarchalen Strukturen auch im Leistungssport sind. Viele Mädchen gaben im Nachhinein an, sie hätten geschwiegen, da sie keine Möglichkeit gesehen hätten, gegen das hohe Ansehen des Arztes anzukommen.

Die patriarchalen Auswüchse sind überall

Auch im Rahmen von Sportkleidung lösen die Olympischen Spiele immer wieder heiße öffentliche Diskussionen aus. So geben die Kleidungsvorschriften insbesondere für Frauen immer wieder Anlass zu berechtigter Diskussion: z.B. gab es 2012 die allgemeine Empfehlung bei der Einführung des Frauenboxens als Olympische Disziplin, dass die Frauen Miniröcke statt Shorts tragen mögen. Und auch dieses Jahr sorgte das offizielle Frauen-Outfit der Marke Nike für viel Diskussion: Grund dafür war das extrem knapp geschnittene Unterteil für die Frauen. Dies sind nur zwei Beispiele für die sexistischen Kleidungsvorschriften, die bitterer Alltag im Vorzeige-Sport sind und sich nicht nur im olympischen Kontext wiederfinden.

Wie sich zeigt, ist es also ein Trugschluss, dass sich allein durch einen höheren Frauenanteil die Unterdrückung von Frauen aufheben ließe. Stattdessen wird mit der Selbstdarstellung der Veranstalter:innen vordergründig eine clevere Marketingstrategie gefahren. Doch was helfen uns mehr Repräsentation und Teilnahme an solchen Wettbewerben, wenn sexualisierte Gewalt und patriarchale Rollenbilder nicht endlich aktiv bekämpft werden?

Als Frauen ist es unsere Aufgabe, es nicht unbeantwortet zu lassen, wenn mit unserer Unterdrückung Profit gemacht werden soll. Eine echte Befreiung von uns kann nicht dadurch erreicht werden, dass wir vielleicht mehr Positionen einnehmen. Stattdessen müssen wir uns außerhalb dieser patriarchalen Strukturen innerhalb einer kapitalistischen Welt gegen sie organisieren, wenn wir tatsächlich gegen unsere Unterdrückung kämpfen wollen.

Livia Haas
Livia Haas
Perspektive-Autorin seit 2024. In der Jugend politisiert durch das Patriarchat sowie die Konfrontation mit Faschisten in Ostdeutschland. Heute besonders aktiv im Bereich Frauenkampf, Antiimperialismus und Stadtteilorganisierung.

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