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Samstag, September 14, 2024
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    Westasien: Vorerst keine Eskalation zwischen Hisbollah und IDF

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    Am Sonntag griff die libanesische Hisbollah mehrere Ziele im Norden Israels an. Beide Seiten haben zurzeit kein Interesse an einer Eskalation. Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gaza stocken weiterhin.

    Am frühen Sonntagmorgen feuerte die Hisbollah mehr als 300 Katjuscha-Raketen und „eine große Anzahl von Drohnen“ über die Grenze Richtung Israel ab. Der Angriff war lange absehbar gewesen, nachdem das israelische Militär (IDF) am 30. Juli den Hisbollah-Befehlshaber Fuad Shukr bei einem Angriff auf die südlichen Vororte von Beirut getötet hatte.

    Damit seien alle „roten Linien“ überschritten worden, sagte Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah in einer Erklärung und ergänzte, dass mit diesem Angriff die „erste Phase“ der Vergeltung „erfolgreich abgeschlossen“ wurde. Nasrallah fügte hinzu, dass sich die Reaktion auf die Tötung Shukrs verzögert habe, weil die Verbündeten der Hisbollah darüber verhandelt hätten, ob sie gemeinsam oder allein zuschlagen sollten.

    Gefechte seit Oktober 2023

    Seitdem die Hamas am 7. Oktober den Süden Israels angegriffen hatte und Israel kurz darauf seine Offensive auf Gaza begann, kommt es auch zu Auseinandersetzungen zwischen der libanesischen Hisbollah und dem IDF. Die Hisbollah begann, Israel in kleinen Angriffen über die libanesisch-israelische Grenze hinweg anzugreifen und erklärte, sie werde erst aufhören, wenn Israel seinen Krieg einstelle. Der Südlibanon hatte schon seit dem Oktober 2023 unter den israelischen Angriffen gelitten: mehr als 97.000 Menschen wurden vertrieben und mindestens 566 Menschen getötet, 133 davon Zivilist:innen.

    Die Hisbollah ist die stärkste militärische Kraft im Libanon und seit ihrer Gründung 1982 immer wieder in direkte Auseinandersetzungen mit Israel verwickelt. Ihre Fähigkeit, Israel durch Raketenangriffe und asymmetrische Kriegsführung zu bedrohen, macht sie zu einem zentralen Akteur in der Region. Die Hisbollah verfügt über 100.000 Soldat:innen und zwischen 120.000 und 200.000 Raketen. Seit Oktober wurden etwa 8.000 dieser Raketen auf Israel abgefeuert, vor allem auf die nördlichen Teile. Die Hisbollah selbst droht immer wieder, alle Teile Israels treffen zu können.

    Die Hisbollah: Welche Rolle spielt sie in Westasien?

    Auch im Falle einer Eskalation zwischen dem Iran und Israel könnte die Hisbollah als Schlüsselfigur agieren: Zum Iran hat die Partei eine enge Verbindung und profitiert von dessen Unterstützung, verfolgt aber dennoch eigene Ziele. Ihre Unabhängigkeit zeigt sich darin, eigenständig militärische Entscheidungen zu treffen, die nicht immer vollständig mit den Interessen der iranischen Führung übereinstimmen.

    Zuspitzung in den letzten Monaten

    Zwischen Israel und Iran hatten sich die Beziehungen in den letzten Monaten weiter verschlechtert, und es kam vermehrt zu direkten Auseinandersetzungen, nachdem die Gespräche zuvor nur vermittelt über Stellvertreter:innen stattgefunden hatten – insbesondere der Iran hatte durch seine verbündeten Kräfte im Libanon (Hisbollah) und im Jemen (Ansar Allah/Huthi) versucht, Israel in die Enge zu treiben.

    Israel hatte im April dann die iranische Botschaft in Damaskus (Syrien) angegriffen, von der aus die Zusammenarbeit zwischen der Hisbollah, dem Iran und Syrien koordiniert wurde. Der Iran antwortete darauf mit einer Welle von Drohnenangriffen auf israelisches Gebiet. In den Wochen und Monaten danach kam es außerdem zu der Tötung des Hisbollah-Befehlshaber Fuad Shukr im Südlibanon und kurz darauf des Hamas-Chefs Ismail Hanija im iranischen Teheran. Daneben traf die Huthi-Miliz Tel Aviv mit Drohnenangriffen.

    Iran vs. Israel: Keine gerechte Seite

    Jetzt, am 25. August folgte dann gegen 5:15 Uhr ein größer angelegter Angriff durch die Hisbollah – laut eigenen Angaben als Antwort auf die Tötung Shukrs. Eines der Hauptziele war dabei der Stützpunkt Glilot in der Nähe von Tel Aviv, in dem die Einheit 8200 operiert, die als wichtigste Informationsbeschaffungseinheit des israelischen Militärgeheimdienstes gilt. Die Hisbollah gab an, elf Militärstützpunkte und Kasernen getroffen zu haben, und behauptete, ihr Angriff sei erfolgreich gewesen. Israelische Beamte sagten der Nachrichtenagentur AFP hingegen, Glilot sei nicht getroffen worden.

    Zuvor hatte Israel bereits früh am Morgen des 25. Augusts Flüge vom Flughafen Ben Gurion eingestellt und gegen 4:30 Uhr begonnen, Kampfjets in Richtung Libanon zu schicken, die auf die Abschusspositionen der Hisbollah zielten. Nach Angaben der IDF wurden bei diesem „Präventivschlag“ tausende Raketenabschussrampen zerstört.

    „Israels Behauptung könnte eine Übertreibung aus politischen Gründen sein, da keine nennenswerten Opfer unter den Hisbollah-Kräften gemeldet wurden“, mutmaßte nun Imad Salamey, Professor für Politikwissenschaft an der Lebanese American University in Beirut, gegenüber Al Jazeera. Dafür spricht auch, dass die Hisbollah öffentlich keine Opfer verkündete, obwohl sie dafür bekannt ist, dass sie ihre „Märtyrer“ sofort benennt. „Die Zerstörung einer so großen Anzahl von Raketen könnte jedoch, wenn sie stimmt, das Arsenal der Hisbollah schwächen und ihre Fähigkeit, längere militärische Operationen durchzuführen, einschränken“, erklärte Salamey weiter.

    Die Hisbollah hat jedoch keine größeren Städte in Israel oder kritische Infrastrukturen ins Visier genommen. Und sie hat auch nicht ihre großen Geschütze aufgefahren. Man kann bei den Angriffen vorsichtig davon sprechen, dass sie sorgfältig ausgerichtet war, eine Eskalation zu vermeiden. „Diese Runde scheint vorbei zu sein“, kommentierte auch Karim Emile Bitar, Professor für internationale Beziehungen an der St. Josephs Universität in Beirut. „Das heißt nicht, dass es in den kommenden Wochen keine weiteren Anschläge geben wird“.

    Auch Reuters berichtet, dass Israel und die Hisbollah sich gegenseitig mitgeteilt hätten, dass keine von beiden eine weitere Eskalation wünsche.

    Verhandlungen über Waffenruhe in Gaza

    Der Angriff der Hisbollah kam jedoch nicht zu einem zufälligen Zeitpunkt, sondern kurz bevor in Kairo die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über einen Waffenstillstand weitergehen sollten. Ein Grund könnte dabei gewesen sein, durch Rückschläge in den israelischen Verteidigungslinien die Verhandlungsposition der Hamas zu verbessern.

    In den letzten Wochen hatten auch die USA und hohe Vertreter:innen der EU, darunter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, auf Fortschritte in den Verhandlungen gedrängt. Bei den Verhandlungen waren unter anderem CIA-Direktor William J. Burns, Mossad-Chef David Barnea, der ägyptische Geheimdienstchef Abbas Kamel und der katarische Premierminister Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al Thani als Vermittler:innen anwesend.

    In diesen Verhandlungen stellt die Kontrolle über den „Philadelphi-Korridor” an der Grenze zwischen Gaza und Ägypten einen zentralen Streitpunkt dar. Doch Netanyahu zeigt sich bisher nicht bereit, sein Militär zurückzuziehen: „Wenn wir von dort weggehen, wird enormer politischer Druck auf uns ausgeübt werden, nicht dorthin zurückzukehren – aber es wird keinen solchen Druck geben, wenn wir dort bleiben“, konstatierte Netanjahu vor einer Woche auf einer Veranstaltung. Eine Kontrolle über den Korridor werde Israel dabei helfen, Gaza umzingelt zu halten. Bassem Naim, Mitglied des Politbüros der Hamas, bekräftigte am Montag hingegen die Position der Hamas, dass sie „bereit ist, über das zu verhandeln, was in einem Vorschlag vom 2. Juli vereinbart wurde“, aber auch, dass sie „die Bedingungen, die Netanjahu hinzugefügt hat, nicht akzeptieren wird“.

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