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Freitag, September 27, 2024
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    Der Fall Pelicot: Betäubt und Männern zur Vergewaltigung zur Verfügung gestellt

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    Gisèle Pelicot wurde hundertfach vergewaltigt, Hauptangeklagter ist ihr Ehemann. Begleitet wird dieser Prozess von wütenden Demonstrationen in ganz Frankreich mit tausenden Teilnehmer:innen.

    Gisèle Pelicot soll zwischen 2011 und 2020 von 83 verschiedenen Männern hundertfach vergewaltigt worden sein. Ihr damaliger Ehemann und Hauptangeklagter Dominique Pelicot soll sie während dieses Zeitraums regelmäßig unter Schlafmittel gesetzt und in Internetforen fremde Männer zu seiner schlafenden und wehrlosen Frau eingeladen haben.

    Diese sollen Gisèle Pelicot in ihrem eigenen Bett vergewaltigt haben. Teilweise soll sich Dominique Pelicot beteiligt haben, teilweise soll er zugeschaut haben. Nur 50 der mutmaßlichen Mittäter konnten ermittelt werden und müssen sich nun vor Gericht verantworten. Ein Urteil wird für Dezember erwartet.

    Während die Taten als besonderer Ausnahmefall dargestellt werden, wird dabei verkannt, dass die Anwendung sexualisierter Gewalt – mit Vergewaltigung als größter Zuspitzung sexualisierter Gewalt – ein untrennbarer Teil des patriarchalen Systems ist. Durch ihre Anwendung wird die Position des Mannes als Unterdrückender und der Frau als Unterdrückte aufrecht erhalten. Deswegen reichen Strafverschärfungen für Vergewaltiger auch nicht aus, um sexualisierte Gewalt zu beenden. Vielmehr ist dafür der Umsturz des Systems notwendig, das sexualisierte Gewalt hervorbringt.

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    Täter-Opfer-Umkehrversuche im Prozess

    Während der Hauptangeklagte Dominique Pelicot mittlerweile – wohl auch wegen der erdrückenden Beweislage durch tausende selbst hergestellte Videos und Bilder – geständig war, wurde noch zu Beginn des Prozesses versucht, die Schuld an den Vergewaltigungen dem Opfer selbst zuzuschieben. Es wurde an ihrer Bewusstlosigkeit während der Vergewaltigungen gezweifelt und auf dieser Basis argumentiert, dass sie zugestimmt habe. Auch haben Anwälte der Angeklagten angedeutet, dass Gisèle ihrem Ex-Mann gegenüber misstrauischer hätte sein sollen. Ferner sei sie Alkoholikerin und Exhibitionistin.

    Dem Opfer, dem die zehnfache Menge an Schlafmitteln verabreicht worden sein soll, vorzuwerfen, dem Täter nicht auf die Schliche zu kommen oder gar einverstanden zu sein, ist zwar an Absurdität kaum zu übertreffen – doch handelt es sich um ein bewertendes Verhalten, das oft auf sexualisierte Gewalt folgt: Es findet eine Schuldverschiebung hin zum Opfer statt.

    Noch heute werden Vergewaltigungsopfer beispielsweise oft gefragt, was sie während der Tat für Kleidung getragen haben, als sei eine bestimmte Garderobe eine Einladung für die Täter. Durch eine solche Verteidigungsstrategie soll die Schuld vom Täter genommen werden, um diesen zu schützen.

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    Der Bürgermeister der französischen Gemeinde Mazan und Wohnort des Hauptangeklagten, Louis Bonnet, versuchte außerdem, die Tat damit herunter zu spielen, dass es „schlimmer“ hätte ausgehen können: zumindest seien weder Kinder beteiligt gewesen, noch wurde jemand getötet. Zwar hat er sich mittlerweile für die Aussage öffentlich entschuldigt, sie ist jedoch bezeichnend für die öffentliche Wahrnehmung von sexualisierter Gewalt: Es soll sich um Taten handeln, die eben „mal” passieren. Dabei wird einerseits verkannt, dass es sich um schwere Verbrechen handelt, mit deren Folgen die Opfer teils ihr Leben lang zu kämpfen haben. Zweitens ist sie Ausdruck für die niedrige Wertung der sexuellen Selbstbestimmung der Frau in einem patriarchalen System, die im Vergleich zu anderen Rechtsgütern weniger hoch eingeordnet wird.

    Missbrauch im nahen sozialen Umfeld

    Unfassbar fast, dass der Hauptangeklagte Pelicot dabei fast ohne Konsequenzen mit seinen Taten durchgekommen wäre: Sie wurden nur durch Zufall entdeckt, als der Rentner dabei erwischt wurde, wie er Frauen unter ihre Röcken filmte. Erst die daraufhin sichergestellten Datenträger offenbarten die bildlich dokumentierten Vergewaltigungen und identifizierten den langjährigen Ehemann als Haupttäter.

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    Auch bezogen auf das Verhältnis zwischen Täter und Opfer stellt dieser Fall keine Ausnahme dar: Sexualisierte Gewalt findet größtenteils im nahen sozialen Umfeld statt, 9 von 10 vergewaltigten Frauen kennen den Täter persönlich. In diesem Umfeld bauen die Täter regelmäßig zunächst Vertrauen zu den Opfern auf, bevor sie gewalttätig werden. Taten im nahen sozialen Umfeld werden infolge dessen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit verschwiegen – oder den Opfern wird nicht geglaubt.

    Widerstand und Frauensolidarität

    Trotz alledem ist Gisèle Pelicot mittlerweile zu einer Ikone des Widerstands gegen das patriarchale System in Frankreich geworden. Nur auf ihr Drängen hin wird der Prozess überhaupt öffentlich geführt – sie möchte vermeiden, dass die Beschämung auf sie als Frau verschoben wird.

    Tausende haben etwa in Paris, Lyon oder Marseille in Solidarität mit Giséle Pelicot demonstriert und zogen mit der Parole „Je suis Gisèle“ (deutsch: Ich bin Gisèle) durch die Straßen. Die Demonstrant:innen fordern eine grundlegende Änderung im Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt. Dieser Zusammenschluss von Frauen ist die Grundlage für die Zerschlagung des Patriarchats – ihre Solidarität ist die starke Waffe gegen das patriarchale System.

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