Seit Montag werden für zunächst ein halbes Jahr alle deutschen Grenzen kontrolliert. Gleichzeitig handelt die Ampelregierung Migrationsabkommen mit weiteren Staaten aus. Applaus kommt unter anderem vom ungarischen Premierminister Viktor Orbán.
In Reaktion auf den Anschlag in Solingen antwortete die Bundesregierung mit Forderungen für eine „Zeitenwende im Innern“. Um Migration zu „bekämpfen“, sollen Gesetze verschärft und Sicherheitsbehörden und ihre Befugnisse ausgeweitet werden. Zum „Schutz der inneren Sicherheit“ kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schließlich am 9. September an, an allen deutschen Landesgrenzen wieder Kontrollen einzuführen.
Faeser verspricht hier von „smarten Kontrollen“, um die Behinderung von Handels- und Personenverkehr möglichst zu vermeiden. Wie genau die Grenzpolizei sogenannte „irreguläre Migration“ erkennen soll, bleibt dabei unklar – es ist aber davon auszugehen, dass rassistisch motivierte Kontrollen in der kommenden Zeit zunehmen werden. Während die Polizeigewerkschaft im Zuge dessen mehr Personal für die Umsetzung der Maßnahmen fordert, gibt es Applaus von Rechtsaußen-Politikern wie Geert Wilders aus den Niederlanden oder Viktor Orbán aus Ungarn.
Massive Eingriffe ins Asylrecht
Die Grenzkontrollen reihen sich ein in eine ganze Palette von Angriffen auf die Grundrechte von Geflüchteten, wie etwa die sogenannten „Bezahlkarten” oder Änderungen am Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Mit der letzten Änderung haben bestimmte Gruppen geflüchteter Menschen nur noch zwei Wochen lang einen Anspruch auf „Überbrückungsleistungen“ – also elementare Versorgung – und sind danach dem Risiko ausgesetzt, auf der Straße zu landen. Selbst nach der Verabschiedung der GEAS-Reform im EU-Parlament, welches das Asylrecht in der EU bereits massiv einschränkt, verstoßen die Streichungen in der grundlegenden Versorgung immer noch gegen die EU-Aufnahmerichtlinie sowie gegen die Genfer Flüchtlingskonvention.
Doch sollte es dem deutschen Staat tatsächlich gelingen, geltendes EU-Recht auszusetzen und den dafür notwendigen „Notstand” auszurufen, hätte dies verheerende Folgen für die Europäische Union. So sind illegale Pushbacks und tödliche Gewalt an europäischen Grenzen zwar schon längst bitterer Alltag. Schafft es aber ein einflussreiches Land wie Deutschland, neue Normen in Sachen Asylrecht zu setzen, so könnte dies als Präzedenzfall wahrgenommen werden, und weitere europäische Länder könnten mit entsprechenden Grenzabschottungen reagieren.
Händeschütteln für mehr Abschiebungen
Am Freitag, den 13. September schloss die Regierung außerdem ein Migrationsabkommen mit Kenia ab. Ziel dieses Abkommens ist u.a. die Erleichterung, Fachkräfte nach Deutschland abzuwerben, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Der kenianische Präsident William Ruto beschrieb die junge Bevölkerung Kenias als „innovativ“, dass sie hart arbeite und dieses Abkommen mit Deutschland beide Länder näher zusammenbringen könne. Er freue sich auch, wenn deutsche Unternehmen sich in Kenia ansiedeln würden.
Erst vor kurzem gab es in Kenia Massenproteste der Bevölkerung, die aufgrund der Steuerreform der Regierung und andauernder Ausbeutung sowie staatlicher Repression das Parlament stürmte. Getragen wurden diese Proteste vor allem von der Jugend, die gegen Rutos Politik Widerstand leistete.
Das Migrationsabkommen zwischen den beiden Staaten dient jedoch nicht lediglich der Gewinnung von Fachkräften, sondern erleichtert außerdem die Durchführung von Abschiebungen, indem Kenia im Gegenzug dafür gewonnen wird, „Ausreisepflichtige“ aufzunehmen. Dies geschieht zum Beispiel durch die Erhebung und das Abgleichen von biometrischen Daten oder auch das Akzeptieren abgelaufener Dokumente.
Migrationsabkommen mit tödlichen Folgen
Ähnliche Migrationsabkommen hat der deutsche Staat bereits mit Indien, Marokko und Georgien beschlossen, weitere werden derzeit oder in naher Zukunft mit weiteren Staaten ausgehandelt. Zu ihnen gehört zum Beispiel auch Usbekistan, wodurch dann schnellere Abschiebungen in das von den Taliban regierte Afghanistan möglich wären. Weitere Verhandlungen liefen oder laufen auch mit Kirgistan, Kolumbien, Ghana und den Philippinen. Auf EU-Ebene wurden überdies bereits Abkommen mit Ländern wie Tunesien und Libyen abgeschlossen, obwohl diese nicht als sichere Herkunftsländer gelten. Mögliche dramatische Folgen dieser Abschiebepraxis zeigten sich zum Beispiel in Libyen, als dort im März ein Massengrab von 65 Migrant:innen entdeckt wurde.
Ampel plant neue Abschiebungen nach Afghanistan über Usbekistan
NGOs wie zum Beispiel die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch, die unter anderem zwischen Tunesien und Italien patrouilliert, berichten überdies davon, wie sie von Behörden oft ignoriert und zurückgewiesen würden oder Leitstellen und Email-Adressen gar nicht besetzt seien bzw. erreicht werden könnten. Dies führe dazu, dass keine Rettungsaktionen eingeleitet werden könnten und den Menschen dann drohe, im Mittelmeer jämmerlich zu sterben. Schätzungsweise sind allein seit 2014 etwa 30.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken.