Israel befindet sich nach Aussage seines Verteidigungsministers in einer „neuen Phase“ des Krieges und verlagert seine Aufmerksamkeit zunehmend in den Libanon. Vergangene Woche ließ Israel mutmaßlich hunderte von Funkgeräten und Pagern explodieren, wodurch zahlreiche Menschen getötet und Tausende verletzt wurden. Am Wochenende kam es zu weiteren Beschüssen.
Hunderte von Pagern und Funkgeräten explodierten am Dienstag und Mittwoch in ganz Libanon. Rund 3.000 Menschen wurden dabei verletzt und nach Angaben Libanons mindestens 37 Menschen getötet. Unter den Opfern sind Mitglieder der Hisbollah sowie Zivilist:innen und Kinder.
Obwohl sich Israel nicht offiziell zu dem Pager-Angriff bekannte, wurde dieser wohl langfristig vom israelischen Geheimdienst geplant. In den Geräten wurden eine Sprengladung und ein Zünder verbaut, die auf eine Nachricht hin gleichzeitig zündeten. Der Angriff mit Sprengfallen in harmlosen Gegenständen wurde als ein Verstoß gegen das Völkerrecht international stark kritisiert, während deutsche Medien den Angriff teilweise als „raffinierten Angriff“ beschönigten oder manche sogar als „genial“ feierten.
„Neue Phase“ des Krieges
Der israelische Verteidigungsminister kündigte Mittwoch Abend eine „neue Phase“ des Krieges an: Nach den Massakern an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza seit dem 13. Oktober 2023 und der Schwächung der Hamas im Gaza-Krieg solle der Fokus des israelischen Militärs nun auf dem Libanon und den Kampfhandlungen mit der libanesischen Hisbollah-Partei liegen.
Die Hisbollah ist eine islamistisch-schiitische Partei und Miliz, die eine wichtige Stellung im Libanon hat und Kontrolle über viele Teile des Landes ausübt, insbesondere im Süden. Sie hat sich 1982 als Zusammenschluss verschiedener Widerstandsgruppen in Reaktion auf die Invasion Israels in den Libanon zur Zeit des libanesischen Bürgerkriegs gegründet. Die Hisbollah ist eng mit dem Iran verbunden und bildet mit ihm und den jemenitischen Huthis „die Achse des Widerstands“.
Seit Monaten kommt es zwischen Israel und der Hisbollah zu Beschüssen mit Raketen. Mit verschiedenen Attentaten auf Politiker und Militärs der Hisbollah und des Iran wird die Situation weiter verschärft: Die Ermordung des Hamas-Führers Hanija und eines Hisbollah-Kommandeurs bei der Vereidigung des iranischen Präsidenten Masoud Pezeshkian war ein weiterer Schritt der Eskalation.
Die Reaktion des Iran darauf entfaltete nur eine geringe Wirkung und legte den Schluss nahe, dass der Iran aktuell nicht an einem direkten Krieg mit Israel interessiert ist. Der Hisbollah-Führer Nasrallah sieht nun mit dem Anschlag durch die Funkgeräte jedoch „alle roten Linien überschritten“.
Angriff auf Funkgeräte bedeutet Intensivierung der Kampfhandlungen
Mit dem mutmaßlich israelischen Anschlag durch die Funkgeräte wurden die Kampfhandlungen noch einmal intensiviert: In der gleichen Nacht bombardierte Israel nach eigenen Angaben hunderte Stellungen der Hisbollah. Auch am Freitag folgten Luftschläge auf Beirut, bei denen mindestens 45 Menschen getötet wurden. Am Samstag erreichten die israelischen Bombardierungen einen Höhepunkt: Seit Samstagnachmittag wurden bis in die Nacht über 400 Ziele im Libanon beschossen.
Die Hisbollah reagierte darauf mit einer Attacke auf Ziele in Nordisrael, die weiter im Landesinneren liegen als zuvor. Betroffen sind unter anderem die Küstenstadt Haifa, eine Fabrik des Rüstungskonzerns Rafael sowie der israelische Luftwaffenstützpunkt Ramat David. Gleichzeitig haben auch pro-iranische Milizen aus dem Irak einen kleineren Angriff mit Drohnen durchgeführt.
Israel hat währenddessen den Ausnahmezustand ausgerufen. Das öffentliche Leben in Nordisrael ist zurzeit stark eingeschränkt: nur diejenigen dürfen arbeiten gehen, die einen Schutzraum in der Nähe des Arbeitsplatzes haben. Samstagabend kam es zu weiteren Protesten in Israel für eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln. Zehntausende gingen dabei auf die Straße.
Stürmung und Zwangsschließung des Büros von Al Jazeera in Ramallah
Am Sonntagmorgen stürmte das israelische Militär das Büro der Zeitung Al Jazeera in Ramallah (Westjordanland), von wo aus intensiv über das Kriegsgeschehen und Verbrechen der Besatzung durch Israel berichtet wird. Ihr Büro in Ramallah liegt in der sogenannten „Zone A” und untersteht somit eigentlich der Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde. Die Anordnung, das Büro zu stürmen und seine Schließung für 45 Tage zu verkünden, kam jedoch aus Israel – ein Verstoß gegen das Oslo-Abkommen.
Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass die israelische Regierung Journalist:innen verfolgt, die über die Besatzung und Kriegsverbrechen im Westjordanland und Gaza berichten. Über die Jahre hinweg wurden immer wieder palästinensische Journalist:innen durch israelische Angriffe getötet, so zum Beispiel Shireen Abu Akleh, Samer Abudaqa, Ismail al-Ghoul und Rami al-Rifi.