„Just a piece of fine art“ („Nur ein Kunstwerk“) – so betitelte die Hip-Hop Gruppe Kneecap im Jahr 2022 ihr Wandgemälde eines brennenden Polizeiautos in West-Belfast. Unter genau dem gleichen Titel (Fine Art) veröffentlichten sie im Sommer nun ihr erstes Album. – Ein Kommentar von Marius Fiori.
Das aus West-Belfast stammende, nordirische Hip-Hop-Trio Kneecap, bestehend aus Mo Chara (Liam Óg Ó Hannaidh), Móglaí Bap (Naoise Ó Cairealláin) und DJ Provaí (JJ Ó Dochartaigh), mischt seit einigen Jahren die irisch/gälisch-sprachige Rap- und Musikszene gehörig auf.
Mitte Juni veröffentlichte die Rap-Band ihr konzeptionelles Debütalbum Fine Art, sieben Jahre nach der Veröffentlichung ihrer ersten Single C.E.A.R.T.A (irisch für „Rechte“).
Seit dieser ersten Veröffentlichung schaffte es Kneecap, zu einer Art kulturellem Phänomen heranzureifen: immer wieder werden sie als rebellische Stimme einer ganzen nordirischen Generation begriffen und auch so rezipiert.
Vielschichtiger Sound und nordirische Historie
Die Mischung aus musikalischen Elementen des Punk, Techno und Rap markiert die Vielschichtigkeit des Sounds der drei Nordiren. Die Texte sind inhaltlich gespickt mit Kritik an den bestehenden Verhältnissen in der Heimat der Rap-Kombo: Armut, steigende Suizid-Raten sowie der bleibende Einfluss Englands werden fortlaufend kritisiert.
Die Geschichte Nordirlands ist verworren und gezeichnet von unzähligen imperialistischen Machteinflüssen des englischen Königreichs und von zahlreichen bewaffneten Konflikten der zwei größten heimischen Bevölkerungsgruppen um eine jeweilige Vorherrschaft.
Einerseits sind hier die Protestant:innen, die meist von schottischen und englischen Einwander:innen abstammen und einen Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreichs befürworteten – die sogenannten „Unionists“. Ihre zugehöriger paramilitärischer Arm war die Ulster Defence Association (UDA). Dem entgegen standen die, meist irisch-stämmigen Katholik:innen, die eine Angliederung Nordirlands an die Republik Irlands befürworteten – die „Republicans“ mit der paramilitärischen Organisation Óglaigh na hÉireann/Irish Republican Army (IRA).
Erst seit dem Karfreitagsabkommen vom April 1998 wurden die seit den 1960ern bestehenden, gewaltvollen Auseinandersetzungen beigelegt, um sich langfristigen politischen Lösungen zuzuwenden, die einen möglich größten Nutzen für die Gesamtbevölkerung Nordirlands haben sollten.
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Zwischen den Fronten – Sprache als Mittel der Einheit?
Auch wenn das Trio den Namen Kneecap trägt, eine Anspielung auf eine brutale Bestrafungs- und Folterart der IRA während der 1960er Jahre – der Schuss mit einer Handfeuerwaffe in die Kniescheibe – positionieren sie sich für keine der Seiten des jahrhundertelangen Konflikts.
Sie sehen die gesamte nordirische Arbeiter:innenklasse als Hauptleidtragende und stellen sich auf deren Seite, denn man habe ähnliche Hintergründe, kämpfe ähnliche Kämpfe und habe grundsätzlich gleiche Ängste und Sorgen.
Hauptmittel zur Einigung dieser widersprüchlichen Anliegen ist die irische (gälische) Sprache. Im Zuge des geschichtlichen Einflusses des monarchistischen Englands geriet diese Sprache immer wieder an den gesellschaftlichen Rand, das Englische überwog zunehmend. Das alltägliche irische Sprechen galt als ländliches, hinterwäldlerisches Klischee. Gemeint ist hier auch mitnichten ein irischer Dialekt in englischer Sprache, sondern das Irisch-Gälische, eine inselkeltische Sprache. Schätzungen zufolge nutzen lediglich nur noch um die 70.000 Menschen Gälisch als Erstsprache, etwa 1,6 Millionen Menschen sprechen Irisch-Gälisch als Zweitsprache.
Und genau das wollen Kneecap ändern: sie wollen die irische Sprache wieder als elementaren Bestandteil der nordirischen Identität aufleben lassen. Damit soll auch eine Art Einigung in der rebellischen Generation erzeugt werden – um genau diese strikte ideologische Aufteilung der Bevölkerung aufzubrechen.
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