Im September findet in Deutschland wieder der sogenannte „Marsch für das Leben“ statt. Der Marsch ist ein Sammelbecken für Esoteriker:innen, Faschist:innen und Fundamentalist:innen. Gemeinsam setzen sie sich gegen körperliche Selbstbestimmung ein. Was macht die Bewegung so gefährlich? Und wie können wir dagegen kämpfen? – Ein Kommentar von Julia Wolff.
In diesem Jahr findet am 21. September sowohl in Köln als auch in Berlin der sogenannte „Marsch für das Leben“ statt. Der Marsch für das Leben wird vom kirchennahen Bundesverband für Lebensrecht (BVL) veranstaltet und unter anderem von der rechten Zeitung Junge Freiheit beworben. 2002 fand der erste Marsch für das Leben statt, bis 2006 unter dem Namen „1000 Kreuze für das Leben“. Seit 2008 wird der Marsch jährlich veranstaltet und seitdem auch von Gegenprotesten begleitet.
Zudem gibt es ihn in verschiedenen Ländern: Er wird durch verschiedene Gruppen organisiert und unterstützt, darunter häufig auch religiöse Gruppen. Diese christliche und konservative Repräsentation zeigt sich auch in den verschiedenen Veranstaltungen rund um den Marsch für das Leben: Gottesdienste, Kundgebungen und Vorträge. In Deutschland fand letztes Jahr der Marsch für das Leben erstmalig parallel in Köln und Berlin statt.
Die Teilnehmer:innen demonstrieren gegen Schwangerschaftsabbrüche, gegen Praktiken der Stammzellenforschung und gegen das Recht auf Sterbehilfe. Im Fokus steht ein besonders rückschrittliches Frauenbild, das Frauen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben abspricht und sie in ihre „natürliche“ Rolle als Hausfrau, Mutter und Gebärmaschine drängen will. Aber auch die körperliche Selbstbestimmung von trans Personen wird bei diesen Protesten immer wieder angegriffen.
So richteten sich in den letzten Jahren häufig auch Forderungen gegen das TSG Transsexuellengesetz (TSG), und viele Teilnehmer:innen fallen durch Transfeindlichkeit auf. Das Ganze wird religiös begründet und auf „christliche Werte“ bezogen. Auch wenn die Veranstalter:innen ihre Überparteilichkeit betonen, bieten sie der AfD und anderen faschistischen Kräften mit dem Marsch regelmäßig eine Plattform.
Wer läuft mit?
Schaut man sich die Teilnehmer:innen des Marsches für das Leben an, wird schnell deutlich, welches politische Publikum hiervon angezogen wird: Es ist kein Geheimnis, dass der Marsch für das Leben für Rechtskonservative und Faschist:innen offen ist. Es nehmen AfD-Politiker:innen teil oder Leute aus ihrem Umfeld, ebenso Burschenschaften und bekannte Neonazis. Dazwischen finden sich immer wieder erzkonservative Fundamentalist:innen.
So lief auf dem letzten Marsch für das Leben in Berlin 2023 der ultrakonservative Bischof von Regensburg, Rudolf Voderholzer, neben einem Faschisten, der die „White-Power-Geste” in die Kamera zeigte: die weiße, aufwärts gerichtete, meist rechte geballte Faust. Mitglieder der AfD sind auch immer wieder auf dem Marsch zu finden. So lief Beatrix von Storch letztes Jahr 2023 in Berlin mit. Die Kölner AfD-Spitze war mit ihrem Vorsitzenden Christer Cremer und der ehemaligen AfD-Landtagsabgeordneten Iris Dworeck-Danielowski vor Ort. Und auch die Nazis von Revolte Rheinland, der Burschenschaft Germania oder der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks aus Bonn waren zugegen. Immer wieder laufen auch Teilnehmer:innen mit, die Abtreibung mit dem Holocaust gleichsetzen.
Die Veranstalter:innen grenzen sich ganz bewusst nicht von den faschistischen Kräften ab. So sagte Alexandra Linder, Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht im Jahr 2018 zu den Vorwürfen: „Wenn Personen aus Kirchen oder Parteien, welcher Couleur auch immer, am Marsch für das Leben teilnehmen, ist das ihr demokratisches Recht, das wir ihnen nicht nehmen dürfen.“
Es wird also deutlich: Beim Marsch für das Leben tummeln sich Faschist:innen und Fundamentalist:innen und gestalten ihn maßgeblich mit.
Warum müssen wir dagegen kämpfen?
Der Marsch richtet sich ganz konkret gegen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen und auch trans Personen. Er verbreitet ein rückwärtsgewandtes Frauenbild, das durch Faschismus und christlichen Fundamentalismus geprägt ist – ein Bild, in dem wir als Frauen unsere „natürliche Rolle“ als Mutter, Hausfrau und Gebärmaschine mimen sollen. In dem wir nicht über unser Leben oder unsere Körper entscheiden dürfen. Gleichzeitig steht der Gegenprotest dieses Jahr ganz besonders im Zeichen des antifaschistischen Kampfes.
Das aktuelle Erstarken rechter Gesinnung bekommen wir aktuell an allen Ecken und Enden deutlich zu spüren: Die AfD plante schon im November letzten Jahres auf einem Geheimtreffen in Potsdam – aufgedeckt durch das Recherchenetzwerk Correctiv – gemeinsam mit anderen Faschist:innen und auch CDUlern die Deportation von unseren zugewanderten Klassengeschwistern. Die mediale Hetze – vor allem gegen palästinensische Migrant:innen – steigt massiv. Bei den vergangenen Europawahlen wurde die CDU und AfD vielerorts Wahlsieger. Und bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird die AfD vermutlich ebenfalls stärkste Kraft.
Gleichzeitig zieht die Ampelregierung mit: Mit der GEAS-Reform wird das Asylrecht ein weiteres Mal extrem eingeschränkt und mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz das Abschieben von migrantischen Aktivist:innen noch leichter gemacht. Wir müssen also feststellen: Die AfD betreibt die Hetze, aber die bürgerlichen Parteien wie Grüne, CDU oder FDP machen die Gesetze aktuell passend zum Rechtsruck.
Diese zunehmend rechte Haltung zeigt sich auch in Angriffen auf kämpfende Frauen, wie etwa am Frauenkampftag 2024 in Bonn, bei dem ein anonymer Anrufer drohte, den Demozug gewaltsam anzugreifen. Gleichzeitig zeigen uns aktuelle Angriffe auf die CSDs in Bautzen und auch in Leipzig, bei denen Faschist:innen massenhaft zum Gegenprotest mobilisiert hatten, dass LGBTI+ Personen und hier trans Personen ganz besonders im Fokus von faschistischer Hetze stehen.
Körperliche Selbstbestimmung im Kapitalismus?
Der Marsch für das Leben bedroht also das Recht auf körperliche Selbstbestimmung nicht nur für Frauen, sondern auch für trans Personen. Aber geht diese Bedrohung nur von Fundamentalist:innen und Faschist:innen aus? Um es ganz knapp zu sagen: Nein.
Wir leben im Kapitalismus und Patriarchat – ein System, das uns in Klassen einteilt und das auf der Ausbeutung und Unterdrückung von werktätigen Frauen beruht. In diesem System wird die Benachteiligung und Ausnutzung von uns Frauen durch verschiedene Mittel aufrecht erhalten. Sie können vom Einschränken der körperlichen Selbstbestimmung reichen bis hin zu Gewalt an Frauen und ihrer schlimmsten Form, dem Femizid.
Denn auch, wenn in Deutschland Abtreibung bis zur 12. Woche unter bestimmten Voraussetzungen straffrei ist, bleibt sie nichtsdestotrotz illegal. Gesetzlich wird das durch den §218 geregelt, der schon im deutschen Kaiserreich entstand, unter dem Hitlerfaschismus verschärft und dann von der jungen BRD übernommen wurde und bis heute gilt.
Seit der Einführung des Paragrafen vor über 150 Jahren wird von ihm zu Recht als „Klassenparagraf“ gesprochen. Denn in erster Linie beschränkt er die körperliche Selbstbestimmung von Frauen der Arbeiter:innenklasse. Kapitalistinnen hatten und haben nämlich immer die Mittel, sich darüber hinweg zu setzten. Auslandsbesuche, wie beispielsweise in die Niederlande, um zu einem späteren Zeitpunkt einen Abbruch durchführen zu lassen, ist für viele Arbeiterinnen aber nicht möglich. Gleichzeitig ist auch die Entscheidung, ein Kind zu bekommen oder nicht, häufig davon abhängig, welche finanziellen Mittel man hat.
Zudem müssen wir überall beobachten, wie erkämpfte Rechte wieder zurückgedrängt werden: Nicht nur in Deutschland, sondern in vielen anderen Nationen werden immer weitere Einschränkungen der Selbstbestimmung vorgenommen. In den USA wurde jetzt z.B. in mehreren Bundesstaaten das Recht auf Abtreibung verboten, selbst im Falle von Vergewaltigung und Inzest. Zudem wurden transfeindliche Gesetze verabschiedet, die Hormontherapien ausschließlich für trans Personen unter Strafe stellen.
Soweit also zur Entwicklung des Rechtsrucks weltweit. Sie zeigt uns aber eben auch, dass kein erkämpftes Recht in diesem System fortwährt. Es kann uns immer wieder genommen werden. Deswegen müssen wir es verteidigen!
Wie können wir dagegen kämpfen?
Ganz konkret können wir dagegen kämpfen, wenn wir uns dieses Jahr in Berlin und Köln am 21. September dem Marsch für das Leben entgegenstellen, um ihn zu verhindern. Wir können dagegen kämpfen, wenn wir am 28. September – dem Tag für sichere Abtreibung – auf die Straße gehen für sichere, legale und kostenfreie Schwangerschaftsabbrüche – für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und gegen patriarchale Unterdrückung.
Doch wenn es ursächlich das System ist, in dem wir leben, welches unsere körperliche Selbstbestimmung beschränkt und uns unterdrückt, dann müssen wir eben auch dort ansetzen und darum kämpfen, dieses System zu überwinden. Für uns heißt das, um ein System zu kämpfen, in dem wir nicht mehr als Frauen unterdrückt werden und unseres Selbstbestimmungsrechts beraubt werden. Für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der die Entscheidung, Kinder zu bekommen, nicht davon abhängt, wie viel man verdient oder ob man überhaupt Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen hat.
Das bedeutet, sich gemeinsam mit allen Klassengeschwistern zu organisieren, um dem Rechtsruck etwas entgegensetzen zu können. Das bedeutet, als Frauen gezielt den Kampf gegen das Patriarchat zu führen, um es zu zerschlagen. Das bedeutet, als Klasse vereint zu kämpfen gegen Faschismus, Fundamentalismus, Kapitalismus und Patriarchat.
Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 90 vom September 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.