In Berlin stehen wieder einmal Sparmaßnahmen auf der Tagesordnung, die Kinder und ihre Familien ebenso wie die Angestellten treffen werden. Die Militarisierung nach außen und innen geht immer stärker auf Kosten des Sozialen. Es ist an der Zeit, echte Verbesserungen zu erkämpfen, statt nur das Schlimmste abzuwenden. – Ein Kommentar von Freddi Durruti.
Bereits Anfang des Jahres standen in Berlin Kürzungen im sozialen Bereich im Raum: verschiedenste Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Familienzentren sollten geschlossen werden. Durch Proteste der Sozialarbeiter:innen konnten diese Kürzungen vorerst verhindert werden. Die Soziale Arbeit steckt aber insgesamt in einer schweren Krise.
Kürzungen im Schulsektor, Überforderung der Beschäftigten, Folgen für Kinder
Bereits 2022 wurde bekannt, dass die Berliner Schulen für das nächste Schuljahr mit drastischen Kürzungen würden rechnen müssen. Diese finanziellen Einsparungen hatten bereits Einschnitte in die Gestaltungsmöglichkeiten der Schulen zur Folge.
Darüber hinaus gibt es in Berlin im Schuljahr 2024/25 fast 700 unbesetzte Stellen für Lehrkräfte. Seit vielen Jahren ist der Lehrkräfte-Mangel ein politisches Thema, die Situation verschlechtert sich allerdings nur weiter. Viele Stellen sind zudem mit oft niedriger qualifizierten Quer-Einsteiger:innen besetzt. Diese sind oft mit den Anforderungen des Berufs stark überfordert. Darunter leiden die Kinder und Jugendlichen ebenso wie die Angestellten selbst.
Vor der letzten Berlin-Wahl versprachen zwar alle Parteien bessere Personalschlüssel an Schulen, die CDU gar eine 110-prozentige Personalausstattung – jedoch wurde nichts davon umgesetzt. Der Personalmangel an Berliner Schulen ist unverändert hoch. Das führt dazu, dass viele Lehrkräfte Berlin verlassen. Auch Erzieher:innen verdienen in anderen Bundesländern besser. Bei deren Verdienst liegt Berlin auf dem sechstletzten Platz. In anderen Bundesländern finden die Lehrkräfte und Erzieher:innen zudem häufig bessere Arbeitsbedingungen vor.
Die CDU strich in diesem Jahr in Berlin sogar noch die Brennpunkt-Zulage für Erzieher:innen an Schulen in sogenannten „problembehafteten Kiezen“, an denen die Arbeitsbelastung besonders hoch ist. Pädagogische Arbeit ist an vielen Schulen in Berlin schon jetzt kaum möglich, da es immer mehr Kinder mit erhöhtem Förderbedarf gibt, jedoch das Personal und die strukturellen Voraussetzungen dafür fehlen.
Eine wirkliche Förderung von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf an den Berliner Schulen findet deshalb in der Realität kaum statt. Eine Untersuchung der GEW Berlin zeigt, dass dies die Regel ist und nicht nur eine Ausnahme. 42 Prozent der Befragten gaben an, nur selten Kinder gezielt fördern zu können, worauf diese jedoch einen rechtlichen Anspruch hätten.
Zudem wird in der Praxis für viele Kinder erst gar kein Förderstatus beantragt, da es nicht entsprechend viele Integrationserzieher:innen gibt, sodass man dem Anspruch auf Förderung ohnehin nicht gerecht werden könnte. Teilweise werden ganze Klassen wochenlang früher nach Hause geschickt, weil ihre Betreuung nicht gewährleistet werden kann und kein Unterricht stattfindet.
Kinder- und Jugendhilfe in großer Not
Aber auch andere Bereiche sind stark betroffen: „Man spielt nur noch Feuerwehr“ lautet ein Satz, den man im sozialen Bereich häufig hört. Bundesweit sind von den rund 900 in den Jugendämtern zur Verfügung stehenden Stellen knapp 100 unbesetzt. Zudem sind viele Fachkräfte in den Jugendämtern aufgrund der hohen Belastung krank oder nicht voll im Dienst.
In Berlin bearbeitet eine Fachkraft so viele Fälle, wie in Bayern zweieinhalb Fachkräfte. Die Zahl der Inobhutnahmen hat sich beispielsweise zwischen 2017 und 2022 verdoppelt. In einer Umfrage der „AG Weiße Fahnen“ zur Arbeitsbelastung unter Fachkräften der Jugendämter heißt es, nur 13 Prozent der Befragten empfänden ihre Fallbelastung als angemessen, nur die Hälfte fühle sich „gesund und leistungsfähig“ und zwei Drittel gaben an, für gute Entscheidungen nicht genügend Zeit zu haben.
Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie spricht von einem „Orientierungsrahmen“ von 65 Fällen pro Fachkraft, die Gewerkschaft ver.di fordert hingegen eine Obergrenze von 28 Fällen. In der Realität liegen die Fallzahlen oft bei über 100 pro Fachkraft.
Führt man sich vor Augen, dass es hierbei oft um Fälle des Kinderschutzes geht, wird einem das Ausmaß dieser Katastrophe bewusst. Schon die verspätete Bearbeitung eines Falls kann hier über Leben oder Tod entscheiden. Der Kindernotdienst (KND) ist seit Jahren massiv überlastet. Schon im März 2023 richteten Mitarbeiter:innen deshalb eine Gefahrenanzeige an die Senatsverwaltung für Jugend: „Wir können die Kinder, die aufgrund von Misshandlungen oder Vernachlässigungen in ihrem Elternhaus im Kindernotdienst aufgenommen werden, trotz großer Anstrengung nicht vor der gewaltvollen Atmosphäre schützen.“
Die Notdienste verzeichnen teilweise eine Überbelegung von fast 100 Prozent. In den letzten Jahren wurden knapp 400 Plätze gestrichen. In einem behördeninternen Brief der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie an die Jugendämter wurde im letzten Jahr darum gebeten, derzeit möglichst keine Jugendlichen in den Berliner Notdienst Kinderschutz zu schicken. Ein abstruser Vorschlag, wo doch der Notdienst die letzte Zuflucht für Kinder beispielsweise aus gewalttätigen Elternhäusern ist.
Widerstand gegen die Kürzungspolitik
Seit Jahren ist die Kinder- und Jugendhilfe in Not. Seit Jahren wird gekürzt, wo es doch eigentlich schon jetzt nicht mehr zum erfolgreichen Arbeiten reicht. Am 3. September demonstrierten daher Sozialarbeiter:innen und Erzieher:innen vor dem Roten Rathaus für eine „Hauptstadtzulage“ für alle. Diese Zulage erhalten bisher nur direkt beim Senat angestellte Fachkräfte. Diejenigen, die für freie Träger arbeiten, erhalten für die gleiche Arbeit hingegen weniger Lohn.
Während reiche Unternehmer:innen zeitgleich vor dem Rathaus ein Hoffest auf Einladung des Bürgermeisters Kai Wegner feierten, demonstrierten Menschen aus dem sozialen Bereich, die tagtäglich am Limit arbeiten, für eine minimale Verbesserung der Löhne.
Mit der zunehmenden Militarisierung nach außen (Stichwort 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr) und dem Ausbau der Repression und Überwachung im Innern (Stichwort: Vorschlag zum neuen BKA-Gesetz), werden noch weitere Sparmaßnahmen auf uns zukommen.
Wo schon jetzt Kinder in größter Not nicht mehr untergebracht werden können, soll weiter gekürzt werden. Während Milliarden in die Bundeswehr und damit letzten Endes an die deutschen Waffenkonzerne fließen, und die Polizei immer neue Befugnisse und Mittel erhält, verrotten Spiel- und Bolzplätze und die Schulen, und Kinder- und Jugendeinrichtungen kämpfen jedes Jahr erneut um ihr Überleben.