Die Tagesschau lässt spätestens seit Israels verstärkten Angriffen auf den Libanon in dieser Woche wirklich alle journalistischen Standards vermissen und fungiert nahezu ausschließlich als Sprachrohr des israelischen Militärs. – Eine Einordnung von Freddi Duritti.
Am Montag begannen die Luftangriffe Israels auf den Libanon und damit eine neue Phase im Krieg in Westasien. Mit der gezielten Tötung des Hisbollah-Anführers Nasrallah durch bunkerbrechende Bomben am Freitag mitten in Beirut besteht die Gefahr einer weiteren Eskalation. Bei der journalistischen Berichterstattung spielen Medien wie die Tagesschau jedoch eine verfälschende Rolle. So wurde etwa der Angriff von Montag so eingeordnet: „Zuvor hatte die Terrororganisation und pro-iranische Schiiten-Miliz Hisbollah (..) den Norden Israels erneut angegriffen.“ Hiermit wird der Eindruck erweckt, Israel reagiere lediglich auf Angriffe der Hisbollah.
Dass sich seit Oktober letzten Jahres beide Seiten regelmäßig angreifen, wird mit keinem Wort erwähnt. Eine Grafik der BBC zeigt hingegen die deutlich höhere Intensität israelischer Angriffe auf libanesisches Gebiet. Wer in diesem Konflikt der Aggressor ist, wird hier sehr deutlich.
In dem Instagram-Beitrag der Tagesschau heißt es weiter: „Israels Armee vermutet, die Hisbollah verstecke Waffen in Häusern von Zivilist:innen“, um dann als letzten Slide den Angriff der Hamas am 7.10.2023 als Auslöser für den Krieg in der Region zu nennen. Nach Jahrzehnten der Besatzung Palästinas, einer über hundertjährigen Geschichte des Zionismus und unzähliger Angriffskriege Israels auf Gaza und den Libanon in der Vergangenheit ist diese unhistorische Einordnung mindestens kurzsichtig.
Waffen in Wohnhäusern?
Auch in einem weiteren Beitrag vom 23.9.24 heißt es: „Nachdem die libanesische Terrormiliz Hisbollah Israel beschossen hatte, weitete Israel seine Angriffe auf das Nachbarland aus“. Unkommentiert wird dann noch erläutert: „Israel betonte, man habe nur Ziele mit Verbindungen zur Hisbollah angegriffen und warf der Miliz vor, gezielt Waffen in Wohnhäusern zu verstecken.“ Der journalistische Standard, immer beide Seiten eines Konflikts zu Wort kommen zu lassen oder aber wenigstens mehrere Quellen für bestimmte Aussagen vorzulegen, wird bei der Tagesschau weiterhin missachtet.
Am Mittwoch lässt die Nachrichtensendung des Ersten dann Simon Riesche, ARD-Korrespondent in der Region, exklusiv zu Wort kommen mit der Einordnung: „Diese Eskalation und diese neue Phase des Krieges wird gezielt von der Hisbollah gesucht.“ – Eine zumindest fragwürdige Bewertung, kurz nachdem Israel per Luftangriff mindestens 400 Menschen getötet und über 1.000 verletzt hat.
Aber auch der Spiegel steht der Tagesschau in nichts nach, indem er hierzu titelt: „Raketenterror auf Tel-Aviv – Luftangriffe auf Hisbollah-Ziele“. Eine einzelne Rakete auf Tel-Aviv, bei der zum Glück niemand zu Schaden kam, ist für den Spiegel hier bereits „Raketenterror“. Ein israelischer Luftangriff, der hunderte Menschen tötete und tausende vertreibt, ist lediglich ein „Luftangriff auf Hisbollah-Ziele“. Einseitiger kann Berichterstattung kaum noch aussehen.
Insgesamt fällt auf, dass nach den verheerenden Angriffen der israelischen Luftwaffe keine einzige, große deutsche Tageszeitung auf der Titelseite über diese Angriffe berichtete.
„Präziser Angriff”?
Am Freitag titelte die Tagesschau dann nach einem Angriff auf ein Wohnviertel in Beirut: „Israel greift Hisbollah-Hauptquartier an“, die israelische Armee spreche von einem „präzisen Angriff“ in einem Vorort von Beirut. Kurz wird erwähnt, das angebliche Hauptquartier „habe sich unter Wohngebäuden befunden“. Dass 6 Häuser komplett zerstört wurden, stamme hingegen wiederum nur aus einer „der Hisbollah nahestehenden Quelle“ – was suggeriert, dass diese Angaben mit Skepsis zu betrachten seien.
Dass in einem Krieg alle Angaben von allen Seiten skeptisch zu betrachten sind, wenn man journalistische Qualitätsstandards einhalten will, scheint die Tagesschau in den letzten Tagen vollends zu vergessen: Videoaufnahmen zeigen nämlich das zerstörerische Ausmaß dieses „präzisen Angriffes“.
Der Politik- und Islamwissenschaftler Fabian Goldmann, der sehr wertvolle Arbeit zur Einordnung deutscher Medienberichterstattung leistet, zeigt anhand eines weiteres Beitrages der Tagesschau sehr deutlich auf, wie einseitig berichtet werde, indem man ausschließlich israelische Angaben und O-Töne wiedergibt und nur Bilder aus Israel zeigt.
Bei DemocracyNow! beschreibt Lina Mounzer, dass die Zahlen der Opfer schon jetzt die Hälfte der Zahlen des 33-tägigen Krieges von 2006 erreicht haben. Al Jazeera berichtet von mindestens 50 getöteten Kindern in den letzten beiden Tagen. Der bereits genannte Fabian Goldmann ordnet die Angriffe Israels an einem einzigen Tag ein, indem er sagt, sie hätten mehr Menschenleben gekostet als der Beschuss Israels durch die Hisbollah in den letzten 24 Jahren.
„Beirut muss brennen”
Was in den großen deutschen Medien vermutlich auch keine Erwähnung finden wird, sind Aussagen israelischer Politiker zu ihren Kriegszielen im Libanon. So sagt der israelische Bildungsminister Yoav Kisch: „Es gibt keinen Unterschied zwischen der Hisbollah und dem Libanon. Libanon wird vernichtet. Es wird aufhören zu existieren.“ Und der frühere Minister Yoaz Hendel erklärte: „Beirut muss brennen“. Zugleich drohen Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant an, aus Beirut und dem Südlibanon Gaza und Khan Yunis zu machen. Auch der rechtsradikale Finanzminister Bezalel Smotrich droht an, dass der Libanon als Ganzes den Preis zu zahlen habe.
Während israelische Verantwortliche also ganz offen aussprechen, dass sie den gesamten Libanon bestrafen und zerstören wollen, hält die Tagesschau weiter an den einseitigen Rechtfertigungen fest, Israel greife nur Hisbollah-Ziele an, Israel reagiere nur auf Angriffe auf das eigene Territorium und so weiter.
Was schon bei der Berichterstattung zu den Angriffen auf Gaza deutlich wurde, setzt sich nun beim israelischen Angriff auf den Libanon fort: deutsche Medien und insbesondere die Tagesschau verlieren zusehends jede Glaubwürdigkeit.
Berichterstattung über Gaza: Die deutschen Medien verlieren ihre letzte Glaubwürdigkeit