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Montag, Oktober 14, 2024
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    Nach Aufständen 2022: Linker Dissanayake gewinnt Wahl in Sri Lanka

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    In der sri-lankischen Präsidentschaftswahl geht Anura Kumara Dissanayake von der JVP/NPP als Sieger hervor. Er setzte sich in der fortwährenden Wirtschaftskrise besonders mit seiner linken Politik bei den Wählenden durch. Internationale Medien sprechen von einem marxistisch-geprägten Kandidaten. Doch besonders von einer ethnischen Minderheit gibt es Kritik. – Ein Kommentar von Nick Svinets.

    Am Sonntagnachmittag berichteten die ersten sri-lankischen Medien über den Sieg des 55-Jährigen Dissanayakes im zweiten Wahlgang. Er setzte sich gegen insgesamt 38 weitere männliche Kandidaten durch und triumphierte gegen seinen politischen Rivalen aus dem liberal-konservativen Lager Sajith Premadasa mit 42,3% (5.740179 Stimmen) der Gesamtstimmen. Sajith Premadasa ist der Sohn des ehemaligen Präsidenten Ranasinghe Premadasa und konnte 32,8% der insgesamt ca. 17 Millionen Wahlberechtigten für sich gewinnen.

    Keiner der beiden Favoriten konnte im ersten Wahlgang mehr als 50% der Stimmen erzielen, weshalb nun die Zweitpräferenzen der Wähler ins Spiel kamen. Im Wahlsystem Sri Lankas können Wähler entweder einen einzigen Kandidaten wählen oder drei in einer Präferenzreihenfolge angeben. Bleibt im ersten Wahlgang die Mehrheit aus, werden in der zweiten Runde die Zweitpräferenzen derjenigen Wähler berücksichtigt, deren Erstwahl nicht unter den Top Zwei liegt.

    Dissanayake (JVP) und sein linkes Bündnis National People’s Power (NPP) konnten besonders aufgrund der von Korruption geplagten wirtschaftlichen Lage bei den Wählenden punkten. Sein Rivale Premadasa steht dagegen bei vielen symbolisch für Vetternwirtschaft und Korruption.

    Die NPP und die Aufstände 2022

    Die wirtschaftliche Krise hat sich seit der Corona-Pandemie in Sri Lanka stark intensiviert. Den Höhepunkt fand sie im frühen Sommer 2022. Der damalige Präsident Gotabaya Rajapaksa senkte zu Beginn seiner Amtszeit Steuern, besonders für die Kapitalist:innen sowohl im Inland als auch aus dem Ausland. Das führte zwangsläufig dazu, dass dem Staat wichtige Einnahmen ausblieben. Der US-dominierte Internationale Währungsfonds (IWF) verweigerte daraufhin Kredite, woraufhin das Land im Mai 2022 erstmals seit seiner Unabhängigkeit 1948 zahlungsunfähig wurde.

    Wie in jeder wirtschaftlichen Krise leidet die Arbeiter:innenklasse am meisten unter den Auswirkungen: Eine sehr hohe Inflation sowie unbezahlbare Grundnahrungsmittel und Produkte für das alltägliche Leben, bei gleichbleibenden Löhnen und wachsender Arbeitslosigkeit der Jugend im Land, bewegte die sri-lankische Bevölkerung in der Folge auf die Straßen des südasiatischen Inselstaats. Obwohl keine Partei offiziell die Führung der sogenannten Aragalaya-Bewegung übernahm, war die NPP durch viele Mitgliedsorganisationen aktiv beteiligt. Die besonders von der Jugend getragene Bewegung erkämpfte die Absetzung des damaligen Präsidenten.

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    Die NPP ist ein linkes Bündnis aus 28 Organisationen, so bspw. Frauengewerkschaften, Jugendorganisationen mit revolutionärem Anspruch und Gruppen aus der kommunistischen Bewegung. Initiiert wurde das Bündnis 2019 von der JVP (Janatha Vimukthi Peramuna, dt. Volksbefreiungsfront) und soll die dringend notwendige linke Alternative in der sri-lankischen Politik sein. Zum historischen Hintergrund der JVP gehört die radikale Spaltung der ersten linken Partei Sri Lankas (LSSP-Lanka Equal Social Party) 1943, aus der zwei kommunistische Parteien hervorgingen: eine maoistische, mit enger Beziehung nach China, und eine marxistisch-leninistische, die sich Russland zuwandte.

    Die Kommunistische Partei (Peking) existiert mittlerweile nicht mehr, während die Kommunistische Partei (Moskau) sich in der Bedeutungslosigkeit verliert. Aus dem Willen nach revolutionären Perspektiven in Politik und Gesellschaft formierte sich die JVP in den 1960er Jahren. In ihrer Gründungszeit richtete sich der Parteigründer Rohana Wijeweera noch klar gegen eine Regierungsbeteiligung und damit gegen eine Beteiligung an der kapitalistischen Elendsverwaltung.

    Eben diese Organisation wird heute vom neuen Präsidenten Anura Kumara Dissanayake angeführt, der am Montag, den 23. September als erstes linkes sri-lankisches Staatsoberhaupt vereidigt wird. Er führt aber nicht nur die JVP, sondern auch die Bündnispartei NPP an, die zur Präsidentschaftswahl angetreten ist.

    Hervorzuheben ist bei den aktuellen Wahlen die Beteiligung der Jugend. Von den 17 Millionen Wahlberechtigten sind etwa eine Millionen Erstwählende. Die Jugend sympathisiert dabei gerade wegen der wichtigen Rolle der NPP in der Aragalaya-Bewegung 2022 mit dem neuen Präsidenten Dissanayake.

    Ethnische Spaltung der Arbeiter:innen

    Besonders die Aufstände 2022 und die noch weiter angespannte wirtschaftliche Lage machen grundlegende Veränderungen notwendig. Die Arbeiter:innenklasse Sri Lankas sehnt sich nach einer Wirtschaft, die nicht krisengeplagt ist. Eine Hürde ist dabei der Ethnonationalismus, der vor fünf Jahren noch die Wahlen dominierte. Insbesondere das angespannte Verhältnis zwischen den ethnischen Gruppen der Singhales:innen und der Minderheit der Tamil:innen wurde von Politiker:innen ausgenutzt. Inzwischen hat dieser Einfluss etwas nachgelassen, bleibt jedoch weiter bestehen.

    Kritik am neuen Präsidenten kommt dabei aus Teilen der tamilischen Bevölkerung, die im Gegensatz zu den mehrheitlich buddhistischen Sinhala hinduistisch geprägt sind. Dissanayake machte sich bei den letzten Wahlen die Konflikte zwischen der singhalesischen und tamilischen (Minderheit mit ca. 20%) Bevölkerung zu nutze und gilt als „Sinhala-Nationalist“. Das zeigte sich beispielsweise in mehreren Auftritten im Norden Sri Lankas (mehrheitlich tamilische Bevölkerung), bei denen er föderalistische Bestrebungen der Bevölkerung niederredete.

    Er übernimmt die Präsidentschaft inmitten wirtschaftlicher Unsicherheit, während die tamilische Bevölkerung weiterhin Autonomie und Gerechtigkeit für frühere Verbrechen fordert. Außerdem hat Dissanayake wiederholt die singhalesisch-buddhistische Geistlichkeit gelobt und betont, dass der singhalesische Buddhismus weiterhin den Vorrang in der Verfassung haben werde.

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    „Demokratisierung“ der Wirtschaft, keine Überwindung des Systems

    Ob die Überwindung des kapitalistischen Systems nun durch die Wahl in greifbare Nähe für das sri-lankische Volk rückt, scheint jedoch unwahrscheinlich. Einiges spricht eher dafür, dass geringfügige soziale Transformationen in der Wirtschaft umgesetzt werden. Denn der 55-jährige Rechtsanwalt Dissanayake kennt das System, ist seit knapp 20 Jahren Mitglied im Parlament Sri Lankas und rückt laut Kritiker:innen von seinen einst festen revolutionären Ansprüchen zu Gunsten von besseren Wahlergebnissen ab.

    Seine Partei verspricht nun eine „Demokratisierung“ der Wirtschaft und demnach eine Teilhabe der Bevölkerung an Entscheidungen, was mit den finanziellen Mitteln geschieht. Außerdem lässt sich klar erkennen, dass der neue Präsident Vermögende stärker besteuern und der Korruption im Land ein Ende setzen will. Eine tatsächliche Aufhebung der kapitalistischen Ausbeutung steht aber nicht auf der Tagesordnung – stattdessen sollen die Auswirkungen der Krisen etwas abgefedert werden.

    Möglich ist aber, dass es zu kleineren Verbesserungen der Lebensbedingungen der Arbeiter:innen kommt. Eine langfristige Alternative stellt das aber nicht dar. Trotzdem steht diese Entwicklung im klaren Widerspruch zu den Entwicklungen in Europa, wo in immer mehr Ländern faschistische Parteien an Stärke gewinnen und linke Kräfte in der Bedeutungslosigkeit versinken.

    • Perspektive-Autor seit 2024 und Politikwissenschaftsstudent mit Fokus auf Westasien & Sahelzone, Migration, Antirassismus, Antimilitarismus und internationale Klassenkämpfe.

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