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Neues Gesetz zur „Terrorismusbekämpfung“: KI, Datensammelwut und noch mehr Überwachung

Im Schatten des Anschlags von Solingen plant die Bundesregierung neue Gesetzesverschärfungen. Vorgeblich zur Terrorbekämpfung geschaffen, bedeuten sie vor allem mehr Überwachung und weniger Handlungsräume für links Engagierte. Währenddessen warnen Expert:innen und auch erster Widerstand regt sich. – Ein Kommentar von Matthias Goeter.

Wird nach künstlicher Intelligenz (KI) gefragt, sind erste Assoziationen der Chatbot „ChatGPT“, gefakte Videos im US-Wahlkampf, vom Computer generierte süße Katzenbilder oder lustige Stimmwandler. KI kann jedoch auch biometrische Daten abgleichen, also das Internet nach realen Gesichtern oder Stimmen durchsuchen und diese wiedererkennen.

Mit dem geplanten Gesetz zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung soll genau dies nun auch Polizeibehörden ermöglicht werden, nachdem bislang geltende Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte die Nutzung von KI-Tools zu solchen Zwecken für staatliche Behörden verhinderten. Bereits vergangenen Donnerstag befand sich der Gesetzesentwurf in einer ersten Lesung im Bundestag. Eine Verabschiedung ist zeitnah geplant.

Massenhafte Datensammlung

Mit dem Gesetz sollen Befugnisse „zum biometrischen Abgleich von öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet“ und „zur automatisierten Datenanalyse“ geschaffen werden. Das bedeutet, dass KI zur Durchsuchung des Internets, Gesichts- und Stimmerkennung genutzt werden darf und riesige Datenbanken bei den Polizeibehörden entstehen sollen.

Einerseits sind solche Daten nötig, um die KI mit Material zu füttern und zu trainieren. Andererseits braucht die Polizei entsprechendes Material zum Vergleich. Dieses Material kann ebenfalls aus dem Internet stammen oder – viel wahrscheinlicher – aus der immer breiteren Überwachung des öffentlichen Raums mit Kameras und dem immer exzessiveren Filmen bei Demonstrationen.

Änderung des BKA-Gesetzes: Mehr Befugnisse, mehr Überwachung

Daneben sollen mit dem Gesetz auch die Waffenverbotszonen ausgedehnt und der Polizei erweiterte Möglichkeiten zur Datenabfrage bei Banken eröffnet werden.

Beim Bundestag geladene Expert:innen warnen hingegen vor dem Gesetz: sie sehen in der biometrischen Gesichtserkennung Verstöße gegen deutsches und europäisches Datenschutzrecht, sowie gegen Grundrechte. Bereits die anlasslose Vorratsdatenspeicherung wurde 2022 als rechtswidrig erklärt, da sie massenhaft und anlasslos Daten erhebt, was im Zuge der Nutzung von KI noch verstärkt geschehen wird.

Doch auch erster Widerstand auf der Straße gegen die geplanten Gesetzesverschärfungen regt sich: An einer ersten Demonstration in Berlin beteiligten sich etwa 1.000 Menschen, und verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen rufen zu weiteren Protesten auf.

Ein Blick hinter den Vorhang

Der Zeitpunkt dieser Gesetzesinitiative ist dabei nicht zufällig: ihr Inhalt ist schon länger geplant und wurde von konservativen Sicherheitspolitiker:innen oder Polizeivertreter:innen immer wieder gefordert. Mit dem Anschlag in Solingen und der folgenden Debatte rund um die Asylrechtsverschärfungen und innere Sicherheit hat die Bundesregierung jetzt einen guten Zeitpunkt für solche Maßnahmen gefunden und wird mit weniger Kritik aus der Öffentlichkeit rechnen müssen. Dabei spielt auch gar keine Rolle, dass sich das Attentat in Solingen mittels KI-Überwachung nicht hätte verhindern lassen können.

Diese Gesetzesverschärfung muss deshalb im Gesamtkontext eines immer weiteren Ausbaus des staatlichen Sicherheitsapparats betrachtet werden: darunter die in den letzten Monaten und Jahren wieder eingeführten Grenzkontrollen, die Verschärfungen der Polizeigesetze in allen Bundesländern, die Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit und härtere Repression und Strafen immer dann, wenn die kapitalistische Ordnung in Frage gestellt wurde.

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Wir sehen massenhaft kapitalistische Krisenerscheinungen: immer mehr Kriege auf der Welt, steigende Inflation, angekündigte Massenentlassungen, verschärfte wirtschaftliche Konflikte, Kämpfe um Rohstoffe und Einflusssphären. Dies ist der Hintergrund, vor dem sich eine Aufrüstung und Abschottung nach außen vollzieht, während nach innen ein Ausbau des Sicherheitsapparats und immer mehr Überwachung das Aufbrechen sozialer Widersprüche schon präventiv eindämmen soll.

Es ist auch eine Illusion, dass solche Verschärfungen nur „die Richtigen“ treffen werden. Das wird exemplarisch am Vorgehen des Berliner Staatsschutzes bei der Observation des Breitscheidplatz-Attentäters 2016 deutlich: dessen Observation wurde ausgesetzt, um stattdessen die Räumung des „linken” Hausprojekts in der Rigaer Straße vorzubereiten.

Überwachungs-Dystopia

Die Einsatzmöglichkeiten einer zukünftigen KI-Überwachung gegen linke Bewegungen sind vielfältig: Sie kann dafür genutzt werden, über das Internet Menschen zu identifizieren, die zum Beispiel kriminalisierte Parolen auf Demonstrationen rufen. Auch im Zuge der Fahndung nach den ehemaligen RAF-Mitgliedern Klette, Garweg und Staub wurde KI benutzt, um Bilder künstlich altern zu lassen. Jeder Besuch einer Demonstration kann in Zukunft dazu führen, in polizeilichen Datenbanken registriert zu werden. Das kann schon heut Konsequenzen wie Jobverlust oder öffentliche Denunziation zur Folge haben, wie beispielsweise gegen Sozialarbeiter:innen in Berlin wegen ihrer Palästina-Solidarität – zukünftig nur noch einfacher.

Staat schließt Mädchen*-Zentren wegen Palästinasolidarität

An den europäischen Außengrenzen wird KI bereits zur vielfältigen Überwachung benutzt. Auch an Flughäfen wird sie immer häufiger zum Bildabgleich bei der Passkontrollen eingesetzt und schränkt damit die Reisemöglichkeiten weiter ein. Und Israel nutzt eine KI zur Zielbestimmung für Luftschläge im Gazastreifen. Außerdem gibt es fortlaufende Entwicklungen und erste Tests bei der Anwendung von KI in Verbindung mit Live-Überwachung, um bspw. „auffälliges“ Verhalten oder Menschenansammlungen zu erkennen und schnelles polizeiliches Eingreifen zu ermöglichen.

Damit sorgt das geplante Gesetz zum einen für den weiteren Abbau von Freiheitsrechten. Zum anderen wird mit ihm versucht, Anonymität und individuellen Schutz offline wie online quasi abzuschaffen und damit Verfolgung und Repression zu vereinfachen – zudem schafft es vermehrt Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle des öffentlichen Raums.

Es trifft uns alle

Damit richtet sich der Einsatz von KI zur Überwachung nicht gegen einzelne (islamistische) Attentäter:innen. Die KI richtet sich gegen Menschen auf der Flucht, denen durch ihren Einsatz geschlossene Grenzen und illegale Pushbacks drohen. Sie richtet sich gegen Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Lage den öffentlichen Raum als Wohnzimmer nutzen müssen, aber nicht „verwertbar” und damit unerwünscht sind. Sie richtet sich gegen Migrant:innen, weil die KI den gesellschaftlichen Rassismus übernimmt und ihn damit wahrscheinlicher als Gefahr einstufen wird.

In letzter Konsequenz richtet sie sich gegen all jene, die sich im öffentlichen Raum oder auf der Straße zusammenschließen wollen, um gesellschaftliche Widersprüche aufzuzeigen oder zuzuspitzen und der herrschenden kapitalistischen Ordnung den Kampf anzusagen. Unabhängig davon, ob beispielsweise die linke Bewegung aktuell eine wirkliche Gefahr darstellt, steckt in ihrem Anspruch ein bedrohliches Potential. Dieses soll durch Gesetzesverschärfungen und immer mehr Repression präventiv klein gehalten werden. An uns liegt es, das zu verhindern.

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