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Album „Dr. Pöbel“: PMC für „Umstürze nach oben“

Pöbel MC veröffentlichte am 18.10.2024 sein Album „Dr. Pöbel“. Der aus Rostock stammende Rapper vereint Battle-Rap-Attitüde mit kritischem linken Zeitgeist, einer Prise „Bildungsbürgertum“ und der eigenen Biographie. – Ein Kommentar von Marius Fiori.

2020 platzierte sich der maskierte Rostocker „Pöbel MC”, auch als PMC bekannt, überraschend mit seinem Debütalbum „Bildungsbürgerprolls“ in den Top Zehn der deutschen Album-Charts. Durchaus beachtlich in Anbetracht der subkulturellen Blase, aus welcher der Musiker stammt. Rappend seit 2015 und vorher musikalisch als Schlagzeuger aktiv, ist der Mitte 30-Jährige nicht mehr aus der linkspolitischen Deutschrap-Welt wegzudenken. Insbesondere seine Live-Auftritte werden hochgelobt.

Diverse Zusammenarbeiten mit dem Rostocker Hip Hop-Duo „Waving The Guns” und einem Doppelalbum mit der einen Hälfte des Duos „Milli-Dance” packten den selbsternannten „progressivsten Macker Deutschlands“ auf die Karte der deutschsprachigen Rap-Landschaft.

„Dr. Pöbel“ gegen Ausbeutung und Unterdrückung

Mit „Dr. Pöbel“ liefert der Rapper nach vier Jahren Album-Pause, diversen EP-Releases und unzähligen Tourstops in fünf Ländern nun wieder eine Langspielplatte (LP). Wie der Vorgänger ist sie beim Independent-Label Audiolith Records erschienen. Nach einer Woche landete der Rapper auf Platz 1 der deutschen Hip-Hop- und Platz 7 der deutschen Album-Charts.

Das stilechte Reclam-Cover mag einen zwar täuschen, „Dr. Pöbel“ ist aber keineswegs als plumpe Nachfolge auf den Chart-Erfolg von 2020 zu verstehen – so zumindest der Anschein und Anspruch.

Der musikalische Stil ist vielfältig und bewegt sich recht flüssig zwischen Elementen modernerer Traps, nostalgischen Boom-Bap-Beats und Einflüssen des Punks. Dabei bleibt vor allem die transportierte Haltung konsistent: gegen Rassismus, Faschismus, Sexismus und alle anderen Übel, die der Rapper als im Kapitalismus verwurzelt und durch diesen verursacht betrachtet.

Sprachlich bewegt sich Pöbel MC zwischen übereloquenten Hörsaal-Parolen und Battle-Rap-Manier – er fordert „Umstürze nach oben und nicht Kinderrap auf Drogen“ (Doktor P).

Der eigene Status im Deutsch-Rap wird als zementiert betrachtet. Etwas weniger Kampfeslust und etwas mehr Selbstreflexion sind angesagt, denn es hängt nun „Gold an (s)einen Ossi-Nacken“ (90sOST). Er scheint sich selbst auch in einer gewissen Pole-Position zu sehen, denn er „ha(t) Zeckentoys beigebracht, wie man rappt – feiert, was ihr wollt, doch ihr schuldet mir Respekt.“ („Sonnenaugen”).

Pöbel MC wirkt auf seinem neuen Album genau so angekommen, wie man als Szenen-„Unbequemling” eben wirken kann. Denn das Pöbeln bleibt Prämisse, egal ob finanzieller Wohlstand mit Rap-Musik erreicht wurde, oder nicht.

Dissender Doktorand

Der sich so selbst bezeichnende „Afterworkrapper“ hat einen etwas anderen Lifestyle, als so manche:r erwarten würden: Neben der Rap-Karriere promoviert der Rostocker in Physik zu Wetterprozessen und dem Klimawandel. Beide Lebensinhalte fungieren als Ausgleich füreinander, so der 33-Jährige in einem Zeit-Campus-Interview 2021.

Inwiefern sich dieser Dualismus nicht zwangsläufig ausschließt, aber dennoch auffällig ist, zeigt folgende Line: „halbe Mille auf der Mensakarte – der Prof. wird bockig, wenn ich vor der Uni Benzer parke“ („Afterworkrapper”).

Das Lied „Kein Berliner“ übt Kritik am viel verbreiteten Lokalpatriotismus in der Deutschrap-Welt, der von Pöbel MC lediglich als Tropfen auf dem heißen Stein gegenüber den durch Kapitalismus geschuldeten Verdrängungsprozessen in urbanen Zentren enttarnt wird: „Patrioten sind Schwachmaten, egal welcher Grenzen“ und „Verdrängung ein Ekel, doch das Problem ist politisch / Dein Feind ist kein Mensch / Dein Feind ist das Geld / Und die Omnipotenz / Die es hat in der Welt“.

Ehrlichkeit und Verletzlichkeit – auch für die Bühne

Im letzten Drittel des Albums – angefangen mit dem nostalgischen „90s Ost” – verarbeitet Pöbel MC viele autobiographische Aspekte. So finden neben seinem Aufwachsen in Ostdeutschland der 1990er Jahre nach der Wende auch sehr innerlich-melancholische Zeilen ihren organischen Platz auf dem Album.

Wie man politisch-weltliche Hoffnungslosigkeit erfährt, zeigt uns der Rapper auf „Sud“: „Verschwende deine Jugend, mach ’n Abschluss oder zwei – doch du weißt, dass es uns von diesem Abgrund nicht befreit“. Klingt erst einmal nach einer eher düsteren Aussicht. Im folgenden und auch letzten Lied des Albums „Sonnenaugen“ wird diese These aber ein Stück weit widerlegt, denn die Stärke liegt im Kollektiv und im gemeinsamen, geteilten Moment.

Auf seinem neuen Album zeigt und gibt sich der progressivste Macker Deutschlands so ehrlich und verletzlich wie nie zuvor. Ein ungemeiner künstlerischer Fortschritt. Dennoch strotzt das Album nur so von Bühnentauglichkeit und Motivationen für den linkspolitischen Alltag.

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