In Deutschland gibt es aktuell 1,2 Millionen Menschen, die eine Berufsausbildung durchlaufen. Harte Arbeitsbedingungen, Hungerlöhne und eine fehlende Perspektive sind dabei Alltag. – Ein Kommentar von Marius Becker.
Mit Beginn der Monate August und September eines Jahres heißt es in Deutschland: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Denn zu dieser Zeit beginnen die meisten Berufsausbildungen. Das deutsche Modell der dualen Ausbildung, also die Kombination aus betrieblicher und berufsschulischer Ausbildung, ist weltweit bekannt und wird von Politiker:innen regelmäßig in hohen Tönen gelobt. Das Modell biete eine perfekte Mischung aus praktischer und theoretischer Ausbildung.
Doch in der Realität sieht der Alltag von Auszubildenden oft anders aus. Im Betrieb müssen Sie nach der Einarbeitung im Endeffekt die selben Aufgaben übernehmen wie ausgelernte Arbeitskräfte – und dazu noch niedere Tätigkeiten wie z.B. Kaffeekochen übernehmen. Das alles natürlich bei acht oder mehr Stunden Arbeit pro Tag. Azubis stehen dabei am unteren Ende der innerbetrieblichen Hierarchie, sie müssen also so ziemlich jedem gehorchen. Diese untergeordnete Rolle sorgt oft dafür, dass Auszubildende der Schikane eines besonders autoritären Chefs oder eines frustrierten Mitarbeiters ausgesetzt sind.
Viel Arbeit für wenig Geld
Die durchschnittliche Ausbildungsvergütung in tarifgebundenen Betrieben über alle Ausbildungsjahre hinweg liegt bei 1.066 Euro brutto im Monat. Der Schwellenwert für die Armutsgefährdung in Deutschland liegt bei etwa 1.250 Euro netto im Monat. Azubis erhalten also einen objektiv armseligen Lohn, besonders für 40 oder mehr Stunden harter Arbeit pro Woche. Der Azubi-Mindestlohn für das erste Lehrjahr liegt 2024 bei gerade einmal 649 Euro – das entspricht einem Stundenlohn von unter 4 Euro.
Azubi-Mindestlohn beschlossen: 3€ pro Stunde – oder 515€ im Monat
Die niedrige Bezahlung wird von Seiten der Chefs damit begründet, dass Auszubildende noch junge und unerfahrene Arbeitskräfte sind, die nicht so produktiv seien wie ihre ausgelernten Kolleg:innen. Praktisch sind die wichtigsten Arbeitsprozesse jedoch meist schon nach einigen Monaten eingeübt und werden auch von Azubis im ersten Lehrjahr zuverlässig umgesetzt.
Ein weiterer Punkt, der zur Legitimierung solcher miesen Löhne eingebracht wird, ist die Lebenssituation von Azubis. Diese sind zu Beginn ihrer Ausbildung in der Regel zwischen 16 und 20 Jahre alt und leben häufig noch bei ihren Eltern. Daher sei ein richtiger Lohn gar nicht erforderlich, da diese jungen Menschen noch keine Miete bezahlen oder eine Familie versorgen müssen. Doch was ist mit denjenigen, deren Eltern wenig Geld zur Verfügung haben. Und was ist mit denjenigen, die nicht bei ihren Eltern leben können oder wollen. Diese bleiben auf der Strecke, denn mit etwa 1.000 Euro brutto im Monat kommt man auf dem deutschen Wohnungsmarkt nicht weit.
Auch die gestiegenen Preise für Lebensmittel schlagen bei Auszubildenden besonders stark auf den Geldbeutel. Durch die verstärkte Ausbeutung wird den jungen Menschen in einer Berufsausbildung ein unabhängiges Leben unmöglich gemacht.
Junge Menschen ohne Perspektive
Neben den schlechten Bedingungen kommt hinzu, dass ein Großteil der Azubis nicht weiß, ob sie nach dem Abschluss von ihrem Betrieb übernommen werden. 2024 konnte nur ein Drittel der Auszubildenden sagen, dass sie sicher übernommen werden und damit mit einem festen Einkommen rechnen können. Gleichzeitig beschweren sich immer mehr Unternehmer:innen, dass sie keine motivierten Jugendlichen finden und immer mehr Azubis ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen.
Azubis sind Jugendliche und junge Erwachsene, die 40 Stunden pro Woche hart arbeiten, schlecht bezahlt werden und nicht selten von Chefs oder übergeordneten Kolleg:innen schikaniert werden. Natürlich sieht die Situation von Studierenden nicht viel besser aus. Nur anstatt einer mickrigen Ausbildungsvergütung erhalten diese ein mickriges Bafög.
Junge Menschen in solchen prekären Verhältnissen sollten daher gemeinsam für Verbesserungen eintreten, anstatt miteinander zu konkurrieren.