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Sonntag, November 10, 2024
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    Autoindustrie: Deutsche Schlüsselbranche in der Krise

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    Der Umsatz der deutschen Autoindustrie ist im ersten Halbjahr gesunken. Der Absatz von BMW ist sogar zweistellig zurück gegangen. Zahlreiche Autofirmen haben Sparprogramme und Stellenabbau angekündigt. Die Autoproduktion ist noch immer der Kernsektor der deutschen Industrie, weshalb diese Einbrüche die gesamte Wirtschaft treffen.

    Das Statistische Bundesamt hat am Montag neue Zahlen zur Schlüsselindustrie des deutschen Kapitalismus vorgelegt: Demnach ist der Umsatz in der Autoindustrie im Vergleich zu 2023 auf 269,5 Milliarden Euro zurückgegangen und damit um 4,7 Prozent gesunken. Im vergangenen Jahr hatte die Branche mit 282,6 Milliarden Euro nach Zahlen noch einen Rekordumsatz verbucht — was jedoch auch auf die massiven Preissteigerungen seit 2021/22 zurückzuführen war. Die Umsatzrückgänge zogen sich durch alle Herstellungsbereiche, von Autoteilen über Motoren bis zu fertigen Kraftfahrzeugen.

    Mit Mercedes und BMW vermeldeten zwei führende deutsche Autohersteller diese Woche zudem sinkende Verkaufszahlen. Während der Absatz bei Mercedes im dritten Quartal um 1 Prozent gegenüber 2023 zurückgegangen ist, brach er bei BMW besonders stark ein: hier fiel er um 13 Prozent (541.000 Autos). Insbesondere das China-Geschäft von BMW ist um 30 Prozent eingebrochen. Zudem war der Konzern wegen Problemen mit seinen Bremsen von einem Auslieferungsstopp betroffen.

    Deutsche Autoindustrie hängt an Exporten

    Rund 70 Prozent ihres Gesamtumsatzes macht die Autoindustrie in Deutschland durch ihre Exporte. Der Anteil liegt damit so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr. Die Exporte haben sich mengenmäßig im Vergleich zum Vorjahr auch kaum verschlechtert: 1,7 Millionen in Deutschland gefertigte PKW (-0,3 %) gingen demnach im ersten Halbjahr ins Ausland. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass viele Fahrzeugkomponenten im Rahmen internationaler Zulieferketten im Ausland gefertigt werden, bevor sie in deutschen Werken zusammenmontiert werden.

    Die Zahl der exportierten Elektroautos ist mit minus 2,5 Prozent zwar leicht rückläufig, gegenüber 2022 aber um 113,9 Prozent gestiegen. 22,7 Prozent aller exportierten Neuwagen sind Elektroautos. In Deutschland selbst ist der Absatz von Elektroautos dagegen deutlich zurückgegangen: Bis Mai wurden nach Zahlen des Kraftfahrzeugbundesamtes 15,9 Prozent weniger Elektro-PKW als im Vorjahreszeitraum zugelassen. Anlass dafür war wohl vor allem die Streichung der E-Auto-Förderung durch die Ampel-Regierung im vergangenen Jahr.

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    Strategiediskussion in Kapital und Regierung

    Die akute Krise der Autoindustrie hat die Regierung inzwischen zum Kurswechsel gezwungen: Erst kündigten verschiedene Autozulieferer wie ZF massive Stellenstreichungen an. Dann drohte das deutsche Industrie-Flaggschiff Volkswagen sogar erstmals in seiner Geschichte mit Werksschließungen. Kurz darauf kündigte die Bundesregierung neue Subventionen und Steueranreize für E-Autos an.

    Damit dürfte das Problem jedoch nicht nachhaltig gelöst sein: Eine im September bekannt gewordene Analyse der Deutschen Bank zeigt, dass die Produktion der deutschen Autoindustrie aktuell um fast 23 Prozent unter ihrem Höchststand aus dem Jahr 2018 liegt. Aus der Tatsache, dass die Zahl der Beschäftigten seither nur um 8 Prozent gesunken ist, schlussfolgert die Bank einen „Arbeitsplatzüberhang“ von 130.000 Jobs. Arbeitsplätze in dieser Größenordnung würden damit in der Industrie auf dem Spiel stehen.

    Die Strategiediskussion in Deutschlands Kapitalkreisen ist deshalb im vollen Gange. Die Präsidentin des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, kritisierte etwa die mangelnde „Wettbewerbsfähigkeit“ des Standorts Deutschland: Die Energiekosten seien zu hoch, das Steuer- und Abgabensystem nicht wettbewerbsfähig und zudem sei man „völlig überreguliert“, so Müller. Als weitere Probleme nannte sie hohe Personalkosten und fehlende Fachkräfte.

    Der Ökonom Jens Südekum machte dagegen im Handelsblatt vor allem Management-Fehler für die Krise verantwortlich: Während der Absatz von Autos mit Verbrennermotor in China zurückgehe, drohten die deutschen Hersteller bei E-Autos den Anschluss an die Konkurrenz zu verpassen. Als Lösung brauche es daher kreditfinanzierte Steuerprämien für Unternehmen, so Südekum.

    EU-Kommission setzt auf Handelskrieg

    Die EU-Kommission setzt derweil vor allem auf eine Art Handelskrieg, um der europäischen Autoindustrie unter die Arme zu greifen: 7,8 bis 35,5 Prozent Zölle wollen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) und Kolleg:innen ab November auf chinesische Autoimporte verhängen. Bisher lag der Einfuhrtarif bei 10 Prozent. Die deutsche Industrie war strikt gegen die Extrazölle — schließlich hängt sie stark vom Exportgeschäft nach China ab und befürchtet Vergeltungsmaßnahmen. Zudem lassen viele deutsche Autohersteller selbst in China produzieren, um ihre Autos möglichst günstig auf den europäischen Markt zu werfen.

    Sie sind aber nicht allein in der Krise. Beim italienischen Hersteller Stellantis etwa ist die Autoproduktion im vergangenen Jahr um 40 Prozent eingebrochen, in der gesamten Branche um 30 Prozent. Die italienischen Gewerkschaften fürchten den Verlust von 25.000 Arbeitsplätzen und haben deshalb für den 18. Oktober zu einem der landesüblichen Generalstreiks aufgerufen.

    Ein Viertel der deutschen Industrie

    Gerät die deutsche Autoindustrie weiter unter Druck – etwa durch einen Exporteinbruch infolge verschärfter Handelskriege – könnte das für viele Arbeiter:innen hierzulande außerordentlich folgenschwer sein.

    Die Autoindustrie macht in Deutschland über ein Viertel (25,2 %) des industriellen Gesamtumsatzes aus. 773.000 Menschen und damit 14 Prozent aller Industriebeschäftigten in Deutschland arbeiten aktuell dort. Berücksichtigt man zusätzlich die Zuliefererbetriebe, kommen noch einmal rund 274.000 Beschäftigte hinzu. Das macht insgesamt etwa ein Achtel der rund 8,15 Millionen Beschäftigten im produzierenden Gewerbe aus — und weitere Abhängigkeiten sind hier noch nicht eingerechnet.

    Geht es um die Autoindustrie in Deutschland, geht es also immer auch um die Stabilität der gesamten Gesellschaft, der politischen Ordnung und des Kapitalismus in diesem Land. Kein Wunder also, dass der Staat bereit ist, den Absatz der Autokonzerne – entgegen aller negativen ökologischen und sozialen Folgen – immer wieder mit Subventionen, Prämien und Steuererleichterungen zu stützen.

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