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Sonntag, November 3, 2024
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    Bezahlkarten für Geflüchtete – ein bürokratisches und rassistisches Desaster

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    Vor einem Jahr im Oktober 2023 forderten die Ministerpräsident:innen der Länder die Einführung von sogenannten „Bezahlkarten” für Geflüchtete. Von Region zu Region sind die einzelnen Maßnahmen bislang unterschiedlich: Im thüringischen Greiz können Benutzer:innen ihre Bezahlkarte etwa nur im eigenen Landkreis verwenden, Herumreisen wird damit faktisch unmöglich. Alles in allem ist die Bezahlkarte ein rassistisches Fiasko, und ein Ende der bürokratischen Probleme bleibt weit entfernt. – Ein Kommentar von Tabea Karlo.

    Im Oktober 2023 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz die Einführung der Bezahlkarten für Geflüchtete. Bereits im November 2023 wurde vereinbart, bundesweite Standards zu erarbeiten, die bis Januar 2024 durch eine Arbeitsgruppe erstellt wurden. Sie sind die Basis für eine gemeinsame Ausschreibung von 14 Bundesländern, die im Februar diesen Jahres startete. Seitdem nimmt das Fiasko der Bezahlkarte seinen Lauf: Zum einen hagelt es berechtigte Kritiken und Klagen wegen der eingeschränkten Rechte von Geflüchteten, darüber hinaus ist die Bezahlkarte aber auch ein Paradebeispiel des deutschen Bürokratismus.

    Während sich die bundesweite Ausschreibung hinzieht, begannen einige Bundesländer bereits auf eigene Faust, ihre migrantischen Bewohner:innen unter finanziellen Druck zu setzen. Darunter Hamburg, das als erstes die sogenannte „Social Card” einführte. Aber auch Hannover und Greiz folgten. Insbesondere die letzten beiden stehen stellvertretend für die Spannbreite der Maßnahmen, die bei der Bezahlkarte möglich sind: Während das niedersächsische Hannover weitestgehend auf Einschränkungen verzichtet, glänzt das thüringische Greiz mit maximalen Einschränkungen und Kontrollen.

    Kein Bargeld in Greiz – der Höhepunkt der Menschenfeindlichkeit

    In Hannover gibt es z.B. keine Bargeldbeschränkung, wohingegen in Greiz die Auszahlung von Bargeld bisher gar nicht möglich ist. Auch die Barauszahlung bei Rückgabe gekaufter Produkte ist abgeschaltet, Überweisungen sämtlicher Art sowie Überziehungen sind nicht möglich. Das Kartenguthaben wird auf 5.000 Euro gedeckelt.

    In der Realität bedeutet das, dass Geflüchtete und andere Nutzer:innen der Social Card, zu denen oft auch Leistungsbezieher:innen zählen, der Zugang zu günstigen Alternativen und sozialer Teilhabe verwehrt bleibt: Mitgliedschaften in sämtlichen Vereinen funktionieren in der Regel nur mit der Überweisung eines Mitgliedsbeitrags, auch für das Erwerben gebrauchter Artikel auf Flohmärkten, Sozialkaufhäusern oder Ebay ist man in der Regel auf Bargeld oder Überweisungen angewiesen.

    Über den Raum Greiz hinaus ist die Karte außerdem nicht nutzbar. Letztlich wird den Nutzer:innen damit die Bewegungsfreiheit erschwert, denn: wie weit kann man reisen, wenn man vor Ort nicht einmal etwas zu essen kaufen kann. Nicht nur ist die Beschränkung menschenfeindlich, sie sorgt auch aktiv dafür, dass Geflüchteten und Arbeitslosen die Möglichkeit genommen wird, aus dem Abhängigkeitsverhältnis und der Prekarität, die mit diesem zusammengeht, zu entkommen. Wie schwer die Jobsuche sein kann, wissen wir alle – die Beschränkung auf eine einzelne Stadt erschwert sie noch einmal ungemein.

    Trotz Erfolge vor Gericht sind weitere Einschränkungen zu erwarten

    Die Beschränkungen in Greiz stellen aber nicht die Ausnahme dar, sondern könnten schon bald die Regel sein. So beschloss die Konferenz der Länderchef:innen im Juni ein Limit von 50 Euro. Ob die Einschränkungen rechtlich haltbar sind, wird sich noch zeigen. Zumindest die Sozialgerichte in Hamburg und Nürnberg fällten ein klares Urteil: Die pauschale Beschränkung des Bargeldguthabens ist nicht rechtmäßig.

    50 Euro Bargeld für Geflüchtete ist nicht ausreichend

    Doch schon die Bezahlkarten an sich bleiben eine massive Einschränkung, und die Möglichkeit zu immer weiteren Begrenzungen bei ihrer Nutzung bleibt möglich und wahrscheinlich. Die Durchsetzung des theoretisch vorhandenen Rechts, sich solche Bedarfe, die nicht durch die Bezahlkarten gedeckt werden können, als Geldleistung auszahlen zu lassen, bleibt für die meisten Nutzer:innen in der Praxis unerreichbar – schließlich haben sie keine Mittel, ihr Recht durchzusetzen.

    Bürokratie ohne Ende

    Rund um die Einführung der Bezahlkarte kam es darüber hinaus zu einem riesigen bürokratischen Chaos: Nach der Ausschreibung des Bundes und der Auswahl des Anbieters legte ein unterlegener Bieter Einspruch ein. Es kam zu einem Nachprüfungsverfahren, das von der zuständigen Vergabekammer in Karlsruhe zurückgewiesen wurde. Der Prozess wird nun im Oktober fortgesetzt. Der Zuschlag wurde mittlerweile trotzdem erteilt, da die aufschiebende Wirkung der Beschwerde endete. Die Unternehmen rund um die Social Card erhielten den Auftrag – das Chaos endete aber keineswegs.

    In einer Pressemitteilung zur Vergabe nannte das E-Geldinstitut PayCenter den bundesweiten Rahmenvertrag einen „Bärendienst für die Kommunen”: Diese sind für die Einführung zuständig, können aber nach Auffassung des Instituts die Leistung überhaupt nicht abrufen. In der Auftragsbekanntmachung stehen nämlich zwar die Länder, nicht aber die Kommunen, die nun für das Abrufen der Leistung alle einzeln benannt werden müssen. Es steht also ein Wunschanbieter, die Details bleiben aber größtenteils ungeklärt.

    Nach den Entscheidungen der Sozialgerichte ist außerdem unklar, ob die Bargeldgrenze so bestehen bleiben kann. Theoretisch könnte es dazu kommen, dass im Einzelfall entschieden wird – ein Aufwand, der in der Realität durch die Ämter nicht umsetzbar ist und der vor allem zu einem führen wird: zu ewig langen Wartezeiten für die Betroffenen, die das Geld jedoch zum Überleben direkt benötigen.

    Bezahlkarte, Grenzkontrollen: die rassistische Politik kommt Schlag auf Schlag

    Die Bezahlkarten stehen dabei nicht für sich, sondern sind in den Kontext der zunehmend schärferen Migrationspolitik der immer weiter nach rechts rückenden deutschen Regierung einzuordnen: Während die AfD und rechte Gruppierungen noch die „Remigration” planen, geht die Ampelregierung bereits seit Monaten offen ihre Schritte in Richtung Durchführung.

    Mit Zuckerbrot und Peitsche: Eine Reise durch die Migrationspolitik der Ampel

    Seit der letzten Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) haben bestimmte Gruppen geflüchteter Menschen nur noch zwei Wochen lang einen Anspruch auf „Überbrückungsleistungen“. Das bedeutet, dass Sie nur zwei Wochen lang Anspruch auf elementare Versorgung haben und danach dem Risiko ausgesetzt sind, obdachlos zu werden.

    Damit geht die Änderung des AsylbLG – insbesondere die Streichung lebensnotwendiger Versorgung – noch über die bereits repressive europäische GEAS-Reform hinaus und sprengt deren rechtliche Grenzen, indem sie direkt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstößt.

    Die von Deutschland vor wenigen Wochen eingeführten Grenzkontrollen schlagen in eine ähnliche Kerbe: Nur wenige Wochen nach ihrer Einführung verkündete Olaf Scholz (SPD) in der Sendung „RTL Direkt spezial – Am Tisch mit Olaf Scholz“ am Dienstagabend stolz: „Wir machen das so lange, wie das geht. Und das wird sehr lange sein“. Davon, dass die Einführung nur über die Ausrufung eines vorgeblichen „Notstands” möglich war, ist in diesem Satz nichts zu hören. Offiziell gehen die Grenzkontrollen vorerst bis März 2025, im Februar soll über eine Verlängerung entschieden werden.

    Wir lassen uns nicht spalten – Widerstand gegen rassistische Politik und Hetze

    In der BRD regt sich Widerstand: So protestierten bereits im November 2023 Tausende gegen die damals geplante und mittlerweile umgesetzte GEAS-Reform. Im September diesen Jahres rief dann u.a. die Internationale Jugend bundesweit zu Protesten am Tag des Beginns der Grenzkontrollen auf. Nun kommt es auch rund um die Bezahlkarten zu Protesten.

    Die Stadt Hamburg führte bereits am 15. Februar diesen Jahres als erstes Bundesland das Pilotprojekt zur sogenannten Social Card flächendeckend ein – also eine Bezahlkarte für Bezieher:innen nach dem AsylbLG. Seitdem erhielten sie über 2.000 Menschen in der ganzen Stadt. In Hamburg stieß genau das in den letzten Monaten auf Widerstand und es gründete sich die Initiative Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte, die seitdem sowohl Protestaktionen als auch praktische Solidarität organisiert: sie ermöglicht Menschen mit Bezahlkarte, Gutscheine, die mit dieser erworben werden, gegen Bargeld einzutauschen. Ähnliche Initiativen gibt es bereits auch in anderen Städten.

    Wurzel der Missstände aufzeigen – die antifaschistische Bewegung braucht Klassenkampf

    Die Proteste gegen die Maßnahmen der Regierung und das Erstarken der rechten Bewegung sowie der AfD sind dabei ein wichtiger erster Schritt. Klar ist allerdings, dass sie keinesfalls so isoliert bleiben dürfen. Blieben wir dabei stehen, bloß auf die Angriffe der Regierung zu reagieren, dann werden wir in eine „Nachtrab-Politik” verfallen. Die wiederum könnte dafür sorgen, dass uns der deutsche Staat mit seinen rassistischen Angriffen stets ein oder zwei Schritte voraus ist. Und wir können uns nur noch im Nachhinein beklagen.

    Antifa in den Köpfen und auf der Straße verteidigen – Was können wir aus den UK Riots lernen?

    In der kommenden Zeit wird es also von Bedeutung sein, eine klassenkämpferische antifaschistische Bewegung aufzubauen, die es schafft, die verschiedenen Maßnahmen in den Kontext der aktuellen Lage einzuordnen und die Wurzel des Problems zu erkennen. Denn die Verschärfung der Asylpolitik ist kein Zufall, sondern eine Reaktion des deutschen Staats auf die sich verschärfenden Widersprüche in der Welt: Diese erfordern zum einen eine Aufrüstung und Radikalisierung des deutschen Imperialismus, um seine Interessen durchzusetzen, und zum anderen die Vorbereitung auf noch größere Wellen von Geflüchteten durch immer weitere Kriege auf der Welt.

    Wir brauchen in der kommenden Zeit also eine antifaschistische Bewegung, die sich nicht bloß mit dem Bekämpfen einzelner Symptome zufriedengibt, sondern eine, die das System, das massenhaft Flucht und Vertreibung hervorruft und dann Hilfesuchende zurück stößt, als Ganzes hinterfragt und angreift.

    • Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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