Ab dem 13.12.2024 tritt eine neue EU-Verordnung in Kraft, die es Kleinunternehmer:innen in der EU massiv erschwert ihre Artikel noch auf den Markt zu bringen. Wir haben mit Magrit D.* (Arbeiterin und Kleinunternehmerin) darüber gesprochen, was diese Änderungen für sie bedeuten.
Was sind eigentlich Kleinunternehmer:innen und wie bist du dazu gekommen?
Der Begriff stammt aus dem Steuerrecht und bezeichnet Personen, die ein Gewerbe betreiben, aber im Kalenderjahr einen Jahresumsatz von weniger als 22.000 Euro erzielen. Kleinunternehmen, die der Regelung nach §19 UStG unterliegen, sind von der Umsatzsteuerregelung befreit und müssen somit auch keine Umsatzsteuer auf ihren Rechnungen verrechnen und ausweisen.
Das sind in der Regel Onlinehändler:innen, die ihr Gewerbe nebenberuflich betreiben, weil sie in ihren Vollzeitbeschäftigungen nicht genug Einkommen erzielen, um davon alle laufenden Kosten für sich und ihre Familien begleichen zu können.
Das war auch mein Grund, warum ich ein Gewerbe angemeldet und einen Onlineshop eröffnet habe. Denn ich war alleinerziehende Mutter und habe trotz Vollzeitbeschäftigung nicht genug verdient, da allein die Miete schon mehr als die Hälfte meines Einkommens betrug.
Mit dem Rest mussten mein Sohn und ich dann über die Runden kommen, aber das Geld war so knapp, dass Sonderausgaben, wie Schulbücher, Klassenfahrten, Reparaturen oder Neuanschaffungen z.B. aufgrund einer defekten Waschmaschine oder einfach nur neue Kleidungsstücke oder Schuhe bereits zu einem Riesenproblem wurden. An Urlaubsreisen war schon gar nicht zu denken. Somit war das nebenberufliche Gewerbe praktisch meine Lösung als „Hilfe zur Selbsthilfe“.
Was hat es mit der EU-Verordnung über die „Allgemeine Produktsicherheit” auf sich?
Bislang waren die Vorgaben für die Sicherheit von Produkten über die Allgemeine Produktsicherheit geregelt (Richtlinie 2001/95/EG). Die neue EU-Verordnung heißt Allgemeine Produktsicherheitsverordnung (General Product Safety Regulation; GPSR) und stellt Händler:innen vor enorme Herausforderungen. Diese zu überwinden ist mit hohen Kosten und großem Zeitaufwand verbunden. Oft ist jetzt ein direkter Kontakt zu den Hersteller:innen der Produkte bzw. eine zusätzliche Überprüfung von Produkten erforderlich, die so für die meisten einfachen Händler:innen wie mich gar nicht umsetzbar ist.
Händler:innen, die in ihrem Online-Shop oder Plattform-Store (z.B. auf eBay, Amazon oder Etsy) Produkte zum Verkauf anbieten, die sie selbst hergestellt haben, müssen also zu jedem selbst erstellten Produkt eine Europäische Artikel-Nummer (EAN) beantragen. Sie sind zusätzlich verpflichtet, zu jedem selbst hergestellten Produkt ausführliche Sicherheitshinweise zu erstellen und diese am Produkt anzubringen bzw. jedem Produkt als Dokumentation beizufügen. Die Sicherheitshinweise müssen zu jedem Produkt 10 Jahre aufbewahrt und auf Anfrage vorgelegt werden.
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Inwiefern trifft das Kleinunternehmer:innen besonders hart?
Inwieweit Kleinunternehmer:innen davon betroffen sind, hängt in erster Linie davon ab, welche Geschäftspraktiken sie einsetzen, um sich am Markt gegen die Großkonzerne durchsetzen zu können.
1. Viele Kleinunternehmer:innen arbeiten mit dem sogenannten Dropshipping-Verfahren. Das heißt, sie haben Verträge mit Großhändler:innen, deren Produkte sie eigenverantwortlich über ihre eigenen Shops vertreiben, der Versand läuft dabei aber wiederum über die Großhändler:innen. Dadurch fallen keine bis sehr geringe Lagerkosten für die Kleinunternehmer:innen an. Sie haben in der Regel aber weder ausführliche Informationen über die Hersteller:innen der einzelnen Produkte, noch die Möglichkeit, die Arbeitsweise der Hersteller:innen zu überprüfen.
2. Manche Kleinunternemer:innen können sich nur deshalb am Markt durchsetzen, weil sie besonders günstige Konditionen mit den Hersteller:innen oder Großhändler:innen ausgehandelt haben. Da Großhändler:innen auch „Einführer:innen“ einer Ware sein können, wären die Kleinunternemer:innen verpflichtet, genaue Angaben in ihren Angeboten zu machen, woher sie ihre Ware beziehen. Dadurch sind sie gezwungen, Geschäftsgeheimnisse offiziell preiszugeben, womit sie oft nicht mehr konkurrenzfähig wären.
3. Kleinunternehmer:innen, die eigene Produkte herstellen (wie in meinem Fall z.B. selbstgefertigte Schmuckstücke) oder Produkte aus dem Ausland nach Deutschland einführen, müssen künftig die Sicherheitsvorgaben für Hersteller:innen erfüllen. Sie sind somit verpflichtet, für ausnahmslos jedes Produkt eine interne Risikoanalyse durchzuführen und technische Unterlagen zu erstellen.
Folgende Aspekte sind bei der Beurteilung der Sicherheit zu berücksichtigen:
- Eigenschaften des Produkts (Gestaltung, Konstruktion, technische Merkmale, Gebrauchsanweisung, Verpackung)
- Wechselwirkung mit anderen Produkten
- Kennzeichnung des Produkts
- verbraucherspezifische Aspekte (z.B. betroffene Verbrauchergruppen, geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf Gesundheit und Sicherheit)
- Erscheinungsbild des Produkts, wenn es den Verbraucher zu einer anderen als der bestimmungsgemäßen Verwendung verleiten könnte
- Cybersicherheitsmerkmale
- sich entwickelnde, lernende und prädikative Funktionen des Produkts
Sofern die Kleinunternehmer:innen, die eigene Produkte herstellen, diese ins Ausland verkaufen wollen, sind sie ferner verpflichtet zu gewährleisten, dass ihren Produkten klare Anweisungen und Sicherheitsinformationen in der jeweiligen, vom Mitgliedstaat festgelegten Sprache beiliegen. Diese müssen für Verbraucher:innen leicht verständlich sein. Eine Ausnahme gilt nur für solche Produkte, die auch ohne solche Anweisungen und Sicherheitsinformationen sicher und wie vom Hersteller vorgesehen verwendet werden können.
Wie willst du jetzt darauf reagieren?
Zunächst werde ich mein Gewerbe abmelden müssen, da ich voll berufstätig bin und mir einfach nicht die Zeit bleibt, um die o.g. Vorschriften für meinen selbsterstellten Schmuck und die Accessoires zu erfüllen. Auch meine Dropshipping-Aktivitäten kann ich nicht mehr durchführen. Zum anderen bin ich nicht in der Lage, die Hersteller:innen der einzelnen Produkte mit Namen, Adressen und Internetkontakten anzugeben, da mir diese im Einzelnen nicht bekannt sind. Außerdem hatte ich da sehr gute Konditionen mit dem Großhändler ausgehandelt, die preiszugeben mich nicht mehr wettbewerbsfähig machen würden.
Darüber hinaus werde ich versuchen, mit anderen betroffenen Kleinunternehmer:innen in Kontakt zu kommen und mich ggf. zu organisieren, da ich alleine nicht in der Lage bin, gegen eine marktbeherrschende Institution wie die EU anzukommen. Bei vielen Kleinunternehmer:innen, die sich im Internet zu der neuen EU-Verordnung geäußert haben, schwanken die Stimmungen zwischen Wut, Verzweiflung und Resignation. Manche haben angemerkt, dass ihnen die letzte Möglichkeit genommen wurde, genügend Einkommen zu erzielen. Viele sehen sich gezwungen, nun Bürgergeld beantragen zu müssen. Andere, die ihre gesamten Ersparnisse in den Aufbau ihres Kleinunternehmens gesteckt haben, sind dabei, alles zu verlieren und müssen Konkurs anmelden.
Auch ich bin wütend. Nicht nur wegen meines Einzelschicksals. Ich sehe in dieser Vorschrift der EU-Politiker:innen eine weitere Maßnahme, um die Großkonzerne zu schützen, kleinere Unternehmen zu schlucken und Arbeiter:innen zu zwingen, sich dem Großkapital unterzuordnen.
*Der Name wurde nachträglich geändert.