Nachdem in der vergangenen Woche ein Hurrikan den Besuch des US-Präsidenten verhinderte, folgt jetzt der Nachholtermin. Manche sehen darin ein starkes Signal. Für andere ist der Besuch die reine Belastung, u.a. wohl für Joe Biden selbst. – Ein Kommentar von Mark Marat.
Die Berliner:innen hatten geglaubt, dass der Spuk vorbei wäre, als wegen des Hurrikans Milton letzte Woche der große Staatsbesuch vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, Joseph Biden, abgesagt wurde. Statt des „Führers der freien Welt“ beehrte nur der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj die Hauptstadt der BRD mit seiner Gegenwart. Aber auch das reichte den meisten Berliner:innen schon an Verkehrseinschränkungen.
Jetzt folgt aber der Paukenschlag: Nach Angaben aus Regierungskreisen und des Bundespräsidialamtes wird am Freitag, 18.10.2024, das Gastspiel Bidens nachgeholt – jedoch in der reduzierten Form eines Arbeitsbesuchs. Es wird also kein großes Staatsbankett und keinen Besuch in einem anderen Bundesland geben, wie es bei einem Staatsbesuch üblich gewesen wäre.
Starkes Signal oder Defekt?
Manche sehen in dem Besuch ein wichtiges politisches Ereignis, wie z.B. Johann Wadephul (CDU), wenn er sagt, dass Biden ein „starkes Signal zum Ende seiner Amtszeit“ setze, indem er „doch noch nach Berlin“ käme.
Aber wie stark kann ein Signal sein, das von einem 81-Jährigen ausgesendet wird, dessen kognitiven Defizite in letzter Zeit immer offener zu Tage traten. Einer Person, die momentan noch das Amt mit der angeblich größten Machtfülle der Welt bekleidet, jedoch von seiner eigenen Partei der Demokraten dazu gedrängt wurde, lieber für keine zweite Amtszeit anzutreten.
Der Glaube, dass ein US-Präsident die Amtsgeschäfte allein und unabhängig führe, ist ohnehin absurd. Erstens hat jedes Staatsoberhaupt eine Horde an Beamt:innen, die sich um alles kümmern. Zweitens wird im Interesse des US-Kapitals gehandelt. Das heißt, Joe Biden hat letztlich eine repräsentative Funktion inne, obgleich das Amt an sich ihm eine größere Machtfülle gäbe, die sein Vorgänger Barack Obama beispielsweise stärker ausgeschöpft hat. Eine One-Man-Show ist das Ganze jedoch nie.
Das wird gerade jetzt deutlich, wo Biden angeblich die Geschicke des Landes leiten soll, wozu er offensichtlich gar nicht mehr in vollem Umfang imstande ist. Damit wird uns praktisch vor Augen geführt, dass Biden nur eine Marionette im Polittheater des bürgerlichen US-Staats ist. Aber weil er nun eben „kaputt” ist, muss er halt ausgetauscht werden. Die Abschiedstournee der Washingtoner Puppenkiste ist aber nur ein Zwischenspiel, bevor das alte Stück mit anderer Besetzung weiter aufgeführt wird.
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Ein Orden für die Doppelmoral
Dabei hat Biden dem US-Imperialismus die ersten drei Jahre seiner Amtszeit als Präsident gute Dienste geleistet: Er hat mit dem Inflation Reduction Act die US-Wirtschaft durch Steuergelder subventioniert und vorübergehend aus der kapitalistischen Krise geholt. Russland und Deutschland hat er im Zuge der US-amerikanischen Ukraine-Politik in die Schranken gewiesen (und dabei noch die eigene Waffenindustrie subventioniert). In Westasien hat er an Israel, trotz dessen genozidialer Kriegspolitik gegen das palästinensische Volk, festgehalten, was der Durchsetzung von US-Interessen in der Region zugute kam und kommt – und all das, trotz der schwierigen Menschenrechtslage. Und gegenüber dem größten Konkurrenten, der Volksrepublik China, hat er schon mal präventiv mit einem Krieg um Taiwan gedroht.
Für all dies und seine Verdienste um die „deutsch-amerikanische Freundschaft“ bzw. das „transatlantische Bündnis“ soll Biden nun vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) die höchste deutsche Ehrung, den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland in der Variante „Großkreuz” als Sonderstufe erhalten. Wie gut das Verhältnis tatsächlich war, wenn es innerhalb von vier Jahren zu nur einem einzigen bilateralen Besuch kurz vor Schluss kommt, wirft Fragen auf. Darüber kann auch ein Kreuz nicht hinwegtäuschen – egal wie groß.
Verkehrschaos und Protest
Viele Berliner:innen blicken dem Besuch indessen kritisch entgegen: die einen, weil die Stippvisite von Biden ein großes Verkehrschaos in der Spree-Metropole verursachen wird. Die Stadt Berlin warnt bereits vor „massiven Verkehrseinschränkungen“ von Donnerstag bis Freitag. Der gesamte ÖPNV sei betroffen.
Andere wollen ihren Protest gegen die US-amerikanische Politik, vertreten durch Joseph Biden, auf die Straße tragen. Für heute, den 17. Oktober, hat die Friedenskoordination Berlin zu einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor aufgerufen. Die Veranstalter:innen fordern unter anderem einen Stopp der Waffenlieferungen an Israel und einen Abzug der Nuklearwaffen aus der BRD.
Für den morgigen Freitag ruft ein pro-palästinisches Bündnis zu einer Demonstration unter dem Motto „Genocide Joe: Not welcome in Berlin!“ (Genozid Joe: Nicht willkommen in Berlin!) auf. Es fordert ein sofortiges Ende der Unterstützung des Völkermords in Gaza sowie ein Ende des Kriegs im Libanon.
Joe Biden hin oder her: der US-Imperialismus zeigt zurzeit wieder seine blutige Fratze – egal, ob er demnächst durch Kamala Harris oder Donald Trump vertreten wird. Die Welt stürzt in Kriege, und die USA sind immer mit dabei. Und der deutsche Staat steht dabei fleißig an seiner Seite. Für uns gilt es, diese Kriegstreiberei zu stoppen und dem ganzen Theater ein Ende zu bereiten.