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Montag, November 4, 2024
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    Diffamierungskampagne vor Gedenktag an der Uni Kassel

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    Am 24. Oktober 2023 wurde der Kasseler Student Yousef Shaban durch die israelische Besatzungsmacht in Gaza getötet. Ein Jahr später ruft das „Bündnis Yousef Shaban” zur gemeinsamen Gedenkveranstaltung auf dem Campus auf. Im Vorfeld fand eine massive Diffamierungskampagne seitens bürgerlicher Medien und zionistischer Organisationen statt. – Ein Kommentar von Marius Fiori und Nick Svinets

    Anlässlich des einjährigen Gedenkens rief die palästina-solidarische Organisation Bündnis Yousef Shaban zu einer Demonstration vor der Zentralmensa der Uni Kassel auf.

    Der Vorplatz der Mensa wurde schon vor Monaten durch Kasseler Studierende in „Yousef-Shaban-Platz” umbenannt und gilt am Campus als der Ort, an dem protestiert wird.

    Politische Dimension des Todes und abgebrochene Gedenkfeier

    Der 33-jährige Yousef Shaban studierte Elektrotechnik an der Uni Kassel und war in allem, was er inner- und außerhalb des Studiums tat, sehr leidenschaftlich. Kurz vor dem 7. Oktober reiste Yousef nach Gaza, um seine Familie mit nach Deutschland zu holen. Am 24.10.2023 wurden er, seine Frau Soumayah und sein jüngster Sohn durch einen israelischen Bombenangriff getötet. Insgesamt sind 30 seiner Familienmitglieder an diesem Tag durch den Angriff der israelischen Armee gestorben.

    Kurz nach seinem Tod veranstalteten Freund:innen und Familie in Kassel eine Gedenkfeier am Campus, die kurzerhand von der Universitätspräsidentin Prof. Dr. Ute Clement abgebrochen wurde, da die Veranstaltung zu politisch gewesen sei. Die Erwiderung der Organisator:innen auf der Demonstration: „Sie tun so, als ob Yousef durch eine Naturkatastrophe ums Leben gekommen ist, doch sein Tod ist politisch”, sagten die.

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    Diffamierung und die Instrumentalisierung des Begriffs „Intifada“

    Wenige Tage vor der Demonstration am 24.10.2024 hatten Unbekannte mehrere Demoaufrufe an Tafeln in Vorlesungssäle geschrieben und dabei das Wort „Intifada” benutzt.

    Das arabische Wort, das übersetzt so viel wie „Aufstand” und „Abschütteln” bedeutet, war für die bürgerliche Presse Anlass, die Demonstration und die Veranstaltungen aufs Schärfste zu diffamieren. Nach Statements des RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) und anderer zionistischer oder rechter Organisationen wie dem Bündnis gegen Antisemitismus Kassel schalteten sich anfangs erst die Lokalpresse und später auch die Springerpresse rund um BILD und WELT ein.

    „In kürzester Zeit war keine Rede mehr von unserem Kommilitonen Yousef Shaban, und der Fokus lag erneut bei vermeintlichem Antisemitismus und Judenhass”, erzählte uns ein Teil des Orga-Teams. Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) und der Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, Timon Gremmels (SPD) äußerten sich beide sehr kritisch zu der Gedenkveranstaltung und sprachen sich im Vorfeld für ein Verbot aus. Poseck fordert im Interview mit der WELT den „strafrechtlichen Schutz des Existenzrechts Israels”. Der hessische Antisemitismus-Beauftragte Uwe Becker – der noch vor kurzem drei IDF-Soldaten einen Preis verlieh – wirft dem Bündnis Yousef Shaban „Vernichtungswerbung gegen Israel” vor.

    Von Seiten des Bündnisses wurde während der Demonstration noch einmal klargestellt: “Palästina-Solidärität ist antifaschistisch, […] antiimperialistisch, antizionisitisch und vor allem legitim und notwendig.”

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    Gedenkveranstaltung ein Jahr später

    Zur angemeldeten Gedenkveranstaltung kamen nach Schätzungen der Veranstalter:innen an die 300 Leute – wesentlich mehr also als in den Schilderungen der bürgerlichen Presse, die teilweise von lediglich 50 Teilnehmer:innen schwadronierte.

    Verschiedene Redebeiträge führten durch die kämpferische Veranstaltung, die einzelnen Beiträge waren thematisch breit gefächert. Rührende Schicksalsberichte und Briefe von Betroffenen aus Gaza und der Westbank fanden ebenso ihren Platz wie antiimperialistische und antikapitalistische Beiträge.

    Insbesondere die Zusammenarbeit der Universität Kassel mit israelischen Universitäten, die maßgeblich am Genozid beteiligt sind, wurde durchweg kritisiert. Mit der oft skandierten Parole „Ute, Ute no more lies/ cut zionist uni ties!“ forderten die Teilnehmer:innen die Präsidentin der Uni Kassel auch persönlich dazu auf, diese Zusammenarbeit zu stoppen.

    Man ließ sich auch nicht von der übermäßigen Präsenz der anwesendenn Polizeikräfte einschüchtern, die sich in großer Anzahl auf dem Campus und direkt neben der Kundgebung verteilten. Anders als im Vorfeld durch die Springer-Medien geframed, verlief die Veranstaltung gänzlich friedlich und ohne Komplikationen.

    Zur 50-Personen starken Gegendemonstration, organisiert durch den Verband Jüdischer Studierender Hessen, die mit zum Teil rassistischen Plakaten ihren antimuslimischen Hass unterstrichen, gab es keinerlei Kontakt. Dennoch wurde den politischen Forderungen einzelner Zionisten, trotz der starken Unterzahl, erheblich mehr medialer Raum gegeben.

    Nazivergleiche und Hufeisen-Theorie

    Eine Vielzahl von bürgerlichen Medienvertreter:innen, darunter RTL Hessen, WELT und der Hessische Rundfunk (HR) hatte sich bereits vor der Veranstaltung auf dem Yousef-Shaban-Platz versammelt. Mit vielerlei Kameras im Anschlag wurde wohl das zionistisch-populistische Narrativ der „gewaltvollen Intifada“ erwartet – doch die Journalist:innen wurden enttäuscht: Sie mussten sich mit einer friedlichen und solidarischen Gedenkveranstaltung abfinden.

    Auch nach der Aktion wetterte die WELT weiter gegen die Demonstration: Der selbsternannte Extremismus-Experte und WELT24-Redakteur Gerrit Seewald war sich dabei in seiner Analyse im Interview auch nicht zu schade, eine Parallele von israel-kritischen Protesten hin zum Nazi Björn Höcke zu ziehen: Denn, wer das Wort Intifada allein auf seine Übersetzung „Erhebung“ oder „Abschütteln“ reduziere, müsse auch Björn Höcke glauben, dass er nicht wisse, was mit der SA-Parole „Alles für Deutschland“ gemeint sei.

    Ein nahezu krampfhafter Versuch, Palästina-solidarischen Aktivismus zu delegitimieren. Nicht genug damit, dass ein vorgeblicher Extremismus-Experte im Jahr 2024 noch mit der „Hufeisen”-Theorie glänzen will.

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    Die Strategie des Kampfes gegen Palästina-Solidarität

    Das Ereignis um die Gedenkveranstaltung für Yousef Shaban an der Universität Kassel verdeutlicht, wie die Kriminalisierung von Palästina-Solidarität in Deutschland nahezu systematisch stattfindet. Die breite Diffamierungskampagne durch bürgerliche Medien und zionistische Organisationen zeigt die enge Verzahnung zwischen staatlichen Akteuren und den Interessen des imperialistischen Blocks. Die Fokussierung auf angeblichen Antisemitismus und die Verurteilung der Veranstaltung dient dazu, die politischen Inhalte zu entpolitisieren und jegliche Kritik am israelischen Staat zu delegitimieren.

    Die Reaktionen auf pro-palästinensischen Protest können als ein klarer Ausdruck der Klasseninteressen des deutschen Staats und seiner Medienlandschaft gewertet werden: Antiimperialistische Palästina-Solidarität scheint eine deutliche Bedrohung für die ideologische Hegemonie des Westens darzustellen, da sie die enge Verknüpfung zwischen Kapitalismus, Imperialismus und den Interessen des globalen Nordens in Frage stellt. Die Reaktion der Medien und Politik spiegelt das Bedürfnis wider, antikoloniale und antiimperialistische Bewegungen zu unterdrücken, um die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten, die von der Ausbeutung und Unterdrückung der Peripherie abhängig ist.

    • Perspektive-Autor seit 2024 und Politikwissenschaftsstudent mit Fokus auf Westasien & Sahelzone, Migration, Antirassismus, Antimilitarismus und internationale Klassenkämpfe.

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