Die Zahl der Frauenmorde in Brasilien war im Jahr 2023 erschreckend hoch. Ein neues Gesetz soll das nun ändern. Nur wie? – Ein Kommentar von Alexandra Magnolia.
In den letzten Jahren ist die Zahl der Femizide in Brasilien immer weiter gestiegen. Schon 2022 war die Zahl um fünf Prozent auf insgesamt 1.400 angewachsen – und das, während gleichzeitig die Gesamtzahl der Tötungsdelikte im selben Zeitraum um ein Prozent gesunken war.
Im Jahr 2023 nun lag die Zahl der Frauenmorde sogar noch höher, nämlich bei 1.467 gezielt von Männern getöteten Frauen. Im Durchschnitt wird in Brasilien also alle 6 Stunden eine Frau getötet. Damit ist Brasilien eines der Länder mit der höchsten Anzahl an Femiziden. Weltweit belegt es Platz 5.
Ein neuer Gesetzesentwurf soll das nun ändern.
Wenn Gewalt gegen Frauen zur Normalität wird
In Brasilien ist es für viele Frauen Alltag, Gewalt zu erfahren. Im Jahr 2023 gab es über 86.500 gemeldete Fälle von Gewalt gegen Frauen, die Dunkelziffer dürfte hier noch deutlich höher liegen. Hinzu kommt, dass in Brasilien jede Stunde durchschnittlich 8 Frauen vergewaltigt werden – viele von ihnen sind noch minderjährig.
Doch trotz der erschreckend hohen Zahlen war ein Großteil von Politik und Gesellschaft lange nicht schockiert. Viele geben entweder den Frauen selbst die Schuld oder schweigen über dieses Thema Tod und Mord. Auch Hilfe vom Staat können sich die betroffenen Frauen in den meisten Fällen nicht erhoffen. Viele von ihnen berichten, von der Polizei oder ihrem Umfeld nicht ernst genommen zu werden. Auch vor Gericht fühlen sie sich strukturell benachteiligt. Wenn es überhaupt zu einem Prozess kommt, werden viele der Angeklagten freigesprochen oder zu niedrigen Strafen verurteilt.
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Neue Gesetze – gleiche Situation?
Die erschreckend hohe Zahl an Femiziden der letzten Jahre hat die Regierung Brasiliens dazu veranlasst, ein neues Gesetz zu verabschieden, das im Kampf gegen die Frauenmorde ein großer Fortschritt sein soll: es besagt, dass der Femizid künftig als eigener Strafbestand eingeführt wird und die Strafe erhöht wird: So soll die Mindeststrafe bei mindestens 20 Jahren und die Höchststrafe bei bis zu 40 Jahren liegen.
Auch bei der häuslichen Gewalt sieht das Gesetz ein neues Strafmaß von zwei bis fünf Jahren Freiheitsstrafe vor. Der brasilianische Präsident Lula da Silva sieht das neue Gesetz als einen „Schritt im Kampf gegen die Femizide“ und hat es zum Ziel erklärt, Frauen und Mädchen in Brasilien so besser zu schützen. Ob diese Versprechen eingehalten werden und das neue Gesetz wirklich die erhoffte Verbesserung mit sich bringt, ist jedoch fraglich. Denn ein Gesetz allein wird die Situation der Frauen im Land nicht ändern.
Schon im Jahr 2006 war in Brasilien ein Gesetz in Kraft getreten, das Frauen vor häuslicher Gewalt schützen sollte. Es beinhaltete verschiedene Maßnahmen zur Vorbeugung von häuslicher Gewalt und zum Schutz von Frauen, sowie schon eine Regelung zur Bestrafung bei Gewalt gegen Frauen.
Zu verdanken war das Gesetz der Aktivistin Maria da Penha, welche nach einem überlebten Mordversuch für die Rechte und den Schutz von Frauen kämpfte. Zwar wurde das Gesetz von der UN als drittbestes weltweit zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt eingestuft, doch die jüngsten Zahlen zeigen, dass das nur in der Theorie stimmt: tatsächlich sind immer noch tausende Frauen und Mädchen realer Gewalt ausgesetzt.
Frauen In Brasilien erheben ihre Stimme
Wie so oft sind diejenigen, die Veränderung bewirken, die Frauen selbst. Auch in Brasilien trauen sich immer mehr Frauen, offen über ihre Gewalterfahrungen zu reden – und das, obwohl sie viel Gegenwind bekommen. Einzelne Frauen wie Maria da Penha haben mutig ihre Stimme erhoben und so für viele Frauen ein Stück Gerechtigkeit erkämpft. Frauenrechtsbewegungen wie „Ele não!“ (deutsch: „Das tut er nicht!”) veranstalten zu Tagen wie dem Weltfrauentag am 8. März große Demonstrationen. Auch wenn die Gleichberechtigung und Freiheit von Brasiliens Frauen noch einen langen Weg entfernt sind, sind solche Ereignisse für viele Frauen ein Lichtblick und Wegweiser.
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