Während Bundeskanzler Olaf Scholz die deutschen Waffenlieferungen an Israel verstärkt, gibt es neue Schätzungen, die weit über die offiziellen Zahlen der palästinensischen Behörden hinausgehen: Etwa 200.000 Menschen sollen dem Genozid in Gaza bereits zum Opfer gefallen sein.
Nach einer Recherche der Organisation Dataactivists soll sich die Zahl der Toten seit dem Beginn des Gaza-Krieges am 7. Oktober 2023 mittlerweile auf etwa 200.000 erhöht haben. Offiziell beliefen sich die Todeszahlen der palästinensischen Gesundheitsbehörde in Gaza bisher auf etwa 43.000.
Ursachen für die starke Differenz zwischen den beiden Zahlen gibt es zuhauf. Zum einen liegt es an der Methode der Gesundheitsbehörde: In ihren Statistiken tauchen nur die verifizierten Opfer direkter Aktionen des israelischen Militärs (durch Bomben, Schüsse, usw.) und in Krankenhäusern Verstorbene auf.
Nicht gezählt werden zum Beispiel diejenigen, die unter Trümmern begraben liegen oder durch Krankheit, Hunger und andere Kriegsfolgen sterben. Dazu erschwert es die massive Zerstörung von Infrastruktur im Gazastreifen den Behörden, die täglich neuen Opfer zu zählen und ihre Tode zu verifizieren.
Hohe Zahlen trotz konservativer Schätzungen
In einer Veröffentlichung vom Juni 2024 schätzen Wissenschaftler:innen die Zahlen der Toten schon auf 186.000 – Daten zu vergangenen Kriege würden nämlich ergeben, dass auf jedes direkte Opfer des Krieges etwa 3-15 indirekte Opfer kommen.
So kommt man bei diesen konservativen Schätzungen (vier indirekte Tode auf einen direkten) auf knapp 200.000 Opfer. Die Professorin Devi Sridhar schätzt die Zahl der Toten bis zum Ende des Jahres sogar auf etwa 335.000. Francesca Albanese, eine der führenden Gaza-Expertin:innen der UN, stimmt ihr zu und ergänzt, dass Sridhars Schätzungen in Übereinstimmung mit den Ergebnissen anderer Wissenschafter:innen seien.
Deren Schätzungen stützen sich unter anderem auf die anhaltende Hungersnot, das Aufkommen von Epidemien, die hohe Zahl unterernährter Kindern und die Blockade von Hilfslieferungen in den Gazastreifen.
Wie die Zahl der Opfer bewusst verschleiert wird
Aber auch das israelische Militär und westliche Akteure erschweren das genaue Erfassen der Todeszahlen. Schon seit Beginn des Krieges werden gezielt palästinensische Journalist:innen ermordet. In keinem anderen militärischen Konflikt der letzten 30 Jahre kamen so viele Berichterstatter:innen ums Leben. Auch Mitarbeitende von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, sowie medizinisches Personal und UN-Kräfte werden immer wieder Ziel der israelischen Angriffe.
Dazu kommt der ständige Druck westlicher Medien: Die Zahlen der palästinensischen Behörden seien gefälscht, viel zu hoch angesetzt oder kämen von der Hamas. Gleichzeitig wird die so bewusst niedrig gehaltene Zahl der Toten genutzt, um die eigenen Waffenlieferungen zu legitimieren und den Vorwurf des Genozids, sowie die vielen weltweiten pro-palästinensischen Proteste zu entkräften.
Mehr deutsche Waffenlieferungen als berichtet
Auch der Angriff Israels auf den Libanon hat bereits Tausende das Leben gekostet. Wie viele weitere folgen werden, wenn die israelischen Angriffspläne gegen den Iran in die Realität umgesetzt werden, lässt sich kaum vorhersagen.
Währenddessen stellt sich Deutschland weiter hinter seine Waffenlieferungen an Israel. Erst vor einigen Tagen machte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag klar, dass Deutschland auch weiterhin Waffen liefern werde: „Wir haben Waffen geliefert und werden Waffen liefern“, so Scholz. Damit hat er auch nicht Unrecht: laut einer Anfrage der BSW-Abgeordneten Sevim Dagdelen hat die Bundesregierung nämlich seit August diesen Jahres bereits den Export von Rüstungsgütern im Wert von 94,05 Millionen Euro bewilligt. Dabei hatte Robert Habecks Wirtschaftsministerium letzte Woche noch eine Zahl von 45,74 Millionen Euro für das ganze bisherige Jahr gemeldet.
Israel bereitet Angriff auf Iran vor – Deutschland bekräftigt Waffenlieferungen
Außenministerin Annalena Baerbock betonte derweil, man müsse eine differenzierte Haltung einnehmen. Das Recht auf Selbstverteidigung Israels und die Einhaltung des Völkerrechts seien „zwei Seiten der selben Medaille“.
Israelische Siedler planen Besatzung des Gazastreifens
Anfang der Woche trafen sich unterdessen rund 300 israelische Siedler:innen, um ihren Plan für die Besatzung des Gazastreifens zu besprechen. Die Organisation Nachala hatte zu der Veranstaltung unter dem Titel „Praktische Vorbereitungen für die Ansiedlung in Gaza“ eingeladen.
Neben Workshops gab es auch Auftritte israelischer Regierungsmitglieder wie des Sicherheitsministers Itamar Ben-Gvir und Finanzministers Bezalel Smotrich. Letzterer sagte dort: „Für mich ist klar, dass es irgendwann jüdische Siedlungen in Gaza geben wird.“