Zeitung für Solidarität und Widerstand

Hunderttausende kämpfen in Argentinien gegen Kürzungen an den Universitäten

Vor fast einem Jahr versprach der Rechtsaußen-Präsident Argentiniens, Javier Milei, die „Kettensäge” an allen öffentlichen Einrichtungen anzusetzen. Davon sind insbesondere auch die öffentlichen Universitäten betroffen, was im ganzen Land zu massiven Protesten und Streiks führte.

Schon vor dem Amtsantritt Mileis litt die argentinische Bevölkerung unter einer massiven Inflation und damit verbundenen Preissteigerungen. Infolge seines Versprechens, besonders im Bereich der öffentlichen Einrichtungen einzusparen, traten bereits kurz nach seiner Ernennung zum argentinischen Präsidenten große Teile des südamerikanischen Landes in den Generalstreik.

Auch die Gelder für öffentliche Universitäten wurden seitdem gekürzt, was bereits im April diesen Jahres zu massiven Protesten geführt hat. Allein in Buenos Aires sollen sich daran Anfang 2024 etwa eine halbe Million Student:innen, Mitarbeitende und Unterstützer:innen beteiligt haben.

Massive Inflation bei gleichzeitigem unsozialem Sparprogramm

Während das Budget für öffentliche Universitäten um 71 Prozent gekürzt wurde, litt Argentinien zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig unter einer Inflation von 290 Prozent. Die Streichung rechtfertigte Milei, indem er öffentliche Universitäten als sozialistische Indoktrinationsstellen diffamierte und um jeden Preis einen positiven Geldfluss in der Staatskasse sehen wolle. Die enormen Abstriche führen außerdem dazu, dass Tausende ihren Studierendenplatz oder Arbeitsplatz verlieren könnten und infolgedessen private Universitäten an Relevanz gewinnen, die sich die meisten Studierenden jedoch nicht leisten können.

100 Tage Milei: Die unsoziale Politik der argentinischen Regierung und der Widerstand dagegen

Ein neues Gesetz sollte nun das universitäre Budget wieder etwas anheben, um zumindest die hohe Inflationsrate etwas auszugleichen, da die Löhne der Arbeiter:innen an Universitäten bereits 40 Prozent ihrer Kaufkraft verloren hatten. Zu diesem Gesetz legte der Präsident am 2. Oktober jedoch sein Veto ein. Nur wenige Wochen zuvor hatte Milei ein ähnliches Machtwort zu einem Rentenausgleich gesprochen, das durch das Unterhaus des Kongresses bestätigt wurde. Das Gleiche sollte nun auch beim beabsichtigten Ausgleich für die Universitäten passieren.

Sein Veto wurde dann am 9. Oktober tatsächlich durch das gleiche Organ bestätigt, woraufhin innerhalb von nur wenigen Stunden mit der Übernahme von Universitäten, Protesten auf der Straße und Streiks von Lehrkräften im ganzen Land geantwortet wurde. Ähnlich wie bei den Demonstrationen im April gingen Hunderttausende auf die Straße. Denn gleichzeitig wurde durch den Staatsanwalt des Finanzministeriums, Rodolfo Barra, die Wiederaufnahme der Kontrolle öffentlicher Universitäten unterschrieben, was einen klaren Angriff auf die Autonomie der nationalen Universitäten darstellt.

Besetzungen, Streiks und Blockaden gegen Krisenstimmung

Insgesamt waren über 100 Universitäten im ganzen Land an den Aktionen beteiligt. Eine der größten waren die Proteste in La Plata, bei denen sich allein am 16. Oktober etwa 40.000 Studierende, Lehrkräfte und Unterstützende gegen die Regierung mobilisiert hatten. Über eine Woche lang wurde in der Hauptstadt der Provinz Buenos Aires demonstriert, öffentliche Lehrveranstaltungen wurden abgehalten, Sitzstreiks durchgeführt und Straßen blockiert. Es gab eine hohe Beteiligung mit 14 von 17 Fakultäten der Universität. Hier hatte die Nationale Universitätsgewerkschaftsfront zu einem 24-stündigen Streik aufgerufen – dabei habe es auch Versuche der Polizei gegeben, einige Veranstaltungen aufzulösen.

Auch in der Stadt Mar del Plata gab es Proteste, als am 18. Oktober Präsident Milei am IDEA Kolloquium – ein Treffen, bei dem sich Kapitalist:innen austauschen und ihren Kurs diskutieren – teilnahm. An den Demonstrationen waren große Gewerkschaften wie die CGT (Allgemeine Konföderation der Arbeit) oder die CTA (Argentinische zentrale Arbeitergewerkschaft) ebenso beteiligt wie unterschiedliche Aktivist:innengruppen. Revolutionäre Kräfte wie die PCR (Revolutionäre Kommunistische Partei) berichten von den wohl wichtigsten Protesten in der Geschichte der Stadt. „Die Stimmung ändere sich“, heißt es von der PCR.

Grundlegende Verbesserungen ohne Organisierung von unten nicht in Sicht

Bisher wurde aber zum großen Teil darauf gesetzt, mithilfe von Druck auf bestehende Institutionen wie dem Kongress zu Korrekturen zu kommen, anstelle einer eigenen Organisierung von unten. Trotz der derzeit sinkenden Inflationsrate sind wirkliche Verbesserungen für die Bevölkerung Argentiniens jedoch nicht in Sicht. Kritisiert wurde das Vorgehen des Abwartens und „Ausdehnen von Deadlines“ u.a. von der Revolutionären Marxistisch-Leninistischen Partei (PRML) Argentiniens. Das Wichtigste sei nun, „die einzelnen Bewegungen an allen Universitäten miteinander zu vereinen, um nicht in opportunistische Spaltungen zu verfallen“ – und Milei endlich austreiben zu können.

Auch in anderen Ländern wie Griechenland lassen sich vergleichbare Proteste finden, wo im Februar mit großer Beteiligung bereits gegen die Einführung von privaten Universitäten demonstriert wurde. Für Argentinien ist jedoch sicher, dass die Proteste im ganzen Land in nächster Zeit wohl nicht enden werden. Mit der Zuspitzung der sozioökonomischen Krise werden sich diese vermutlich eher noch weiter verschärfen, und erneute unsoziale Entscheidungen durch den Kongress könnten zu weiterem, militanteren Widerstand führen.

Perspektive Online
Perspektive Onlinehttp://www.perspektive-online.net
Hier berichtet die Perspektive-Redaktion aktuell und unabhängig

Mehr lesen

Perspektive Online
direkt auf dein Handy!