In der Nacht haben israelische Jets militärische Ziel im Iran angegriffen. Die Reaktion auf den letzten iranischen Raketenangriff Anfang Oktober war lange erwartet worden – fiel nun jedoch begrenzt aus. Wie geht es weiter?
In der Nacht von Freitag auf Samstag hat die israelische Luftwaffe mehrere militärische Ziele im Iran angegriffen – die New York Times spricht mit Berufung auf israelische Quellen von 20 Zielen. Laut eigenen Angaben seien dabei rund 100 Jets involviert gewesen, viele davon dürften jedoch auch zum eigenen Schutz eingesetzt worden sein.
Die iranische Tasnim News Agency bezweifelt diese Angaben als zu hoch. Nach Angaben in pro-iranischen sozialen Medien sollen zudem kleine Drohnen, die in der Nähe Teherans gestartet wurden, im Einsatz gewesen sein, um die iranische Luftabwehr zu schwächen. Die Israeli Defence Forces (IDF) erklärten, dass es sich bei dem Angriff um eine Antwort auf „Monate von fortgesetzten iranischen Angriffen“ gehandelt habe.
Iranische Armee: Nur „begrenzter Schaden“.
Die iranische Luftwaffe wiederum berichtet, dass viele Angriffe abgefangen worden seien und es nur „begrenzten Schaden“ an militärischen Anlagen in den Provinzen Teheran, Khuzestan und Ilam gegeben habe. Mindestens zwei Soldaten sollen ums Leben gekommen sein.
Das iranische Staatsfernsehen sprach von einem „gewöhnlichen Tag“, viele Menschen schliefen während des Angriffs und erfuhren erst aus den Medien davon. In pro-iranischen sozialen Medien wird sich sogar über den israelischen Angriff lustig gemacht: Menschen posten Videos von sich, wie sie in die Luft schauen, um die israelischen Raketen zu „suchen“.
Die Informationen beider Seiten fallen in den Bereich der Kriegspropaganda und können nicht unabhängig bestätigt werden. Deutlich ist jedoch, dass der Angriff so konzipiert war, dass ein nur geringer Personenschaden entsteht und eine weitere Eskalation vermieden wird.
So hatte Israel über Mittelsmänner dem Iran kurz vor den Angriffen eine ungefähre Größenordnung weitergegeben und das Land zugleich aufgefordert, nicht auf den Angriff zu reagieren. Wie Sky News Arabia berichtet, soll der Iran nun bereits an Israel kommuniziert haben, nicht mit einem direkten Gegenangriff antworten zu wollen, obgleich man öffentlich von einem Recht auf Reaktion spricht.
USA setzen sich durch
Der begrenzte Schlag dürfte auf die Gesamtsituation der israelischen Armee und auf die Rolle der USA zurückzuführen zu sein.
Über Wochen hatte sich jetzt schon die Debatte um eine israelische Reaktion auf die iranischen Attacken Anfang Oktober hingezogen. Damals hatte der Iran mehrere hundert ballistische Raketen auf Israel abgefeuert – eine bisher beispiellose Erfahrung für den israelischen Staat. Als Grund nannte der Iran die israelische Invasion im Libanon sowie den Tod des Hisbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah.
Iranische Raketenangriffe über Nacht – Israel plant Vergeltungsschlag
Als Antwort wurden auf israelischer Seite auch Angriffe auf Öl-Felder und insbesondere iranische Atomanlagen erwogen. Letztere sind jedoch so tief in der Erde vergraben, dass nach bisheriger Kenntnis die IDF allein über keine ausreichenden Waffen verfügen, um diese zu zerstören. Dafür benötigte es die Zusage und direkte militärische Unterstützung der USA, die jedoch ganz offenbar zögerten, um eine noch größere Eskalation in Westasien zu vermeiden.
Hintergrund dessen ist, dass die USA einerseits versuchen, die israelischen Abschreckungsfähigkeiten wiederherzustellen und sich den israelischen Staatsapparat als Stütze der eigenen Macht in der Region zu erhalten. Andererseits versucht die imperialistische Großmacht bereits seit Jahren, sich Stück für Stück aus dem Gebiet zurückzuziehen, um sich mehr auf den strategischen Rivalen China konzentrieren zu können.
Israel unter Druck
Der israelische Staat führt derzeit also einen Mehrfrontenkrieg, um seine eigene Existenz als imperialistische Regionalmacht zu sichern und zugleich auszubauen. Zuletzt konnte er dabei öffentlichkeitswirksame Erfolge verbuchen: So gelang es den IDF, die führenden Figuren der Hamas sowie der Hisbollah zu töten.
Die israelische Armee steht jedoch zugleich an mehreren dieser Fronten unter Druck: Auch nach einem Jahr ist es ihr nicht gelungen, die Hamas und weitere militärische Widerstandsgruppen im Gazastreifen zu zerschlagen. Ebenso ist die Kontrolle in der Westbank von ständigen Auseinandersetzungen geprägt. Auch die Bodenoffensive in den Libanon scheint von so hohen Verlusten geprägt, dass – wie kürzlich bekannt wurde – die israelische Armee in den nächsten Wochen den Einsatz beenden könnte. Dabei dürfte auch hier das offiziell ausgegebene Kriegsziel – dass Israelis in den Norden des Staatsgebiets zurückkehren können und nicht mehr mit Hisbollah-Angriffen rechnen müssen – kaum erreicht worden sein.
Angesichts des nun stattgefunden Angriffs stellte sich also die Frage: „All-out war“ oder Begrenzung der Front des direkten „Tit-for-Tat“ mit dem Iran.
Eskalationsgefahr nicht gebannt
Unter den aktuellen Bedingungen scheint sich im Zusammenspiel von USA und Israel letztere Position durchgesetzt zu haben. Der aktuelle Schlag – der so schwach war, dass er keine iranische Reaktion notwendig macht – könnte eine vorläufige Pause im dauerhaften Schlagabtausch zwischen Iran und Israel einläuten.
Dennoch ist ein kommender Schlag auf die iranischen Atomanlagen noch nicht ausgeschlossen. Schließlich wäre der Besitz einer Atombombe durch den Iran tatsächlich ein regionaler „gamechanger“. In den USA gibt es zudem Befürworter einer militärischen Zerstörung des iranischen Nuklearprogramms – wie etwa den Ex-Präsidenten und erneuten Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Donald Trump. Zuletzt hatte sich außerdem die Rhetorik in den USA gegen den Iran verschärft, indem etwa die Anschlagsversuche auf Trump mit dem Iran in Verbindung gebracht wurden.
Auch wenn also kurzfristig an einer Stelle Zeit gewonnen wurde, sind die grundlegenden regionalen Widersprüche, die koloniale Unterdrückung sowie die internationale Situation unverändert, sodass die kriegerischen Auseinandersetzungen voraussichtlich weitergehen werden.