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„Männer morden, und der Staat schützt sie“ – Proteste nach Femiziden in der Türkei

In Reaktion auf zwei besonders brutale Frauenmorde der vergangenen Woche in Istanbul gehen in der Türkei und in Nordkurdistan die Frauen in Massen auf die Straße. Die Protestierenden fordern ein Ende der Gewalt und beklagen besonders die Mitschuld des türkischen Staats.

Am 4. Oktober 2024 ermordete ein Mann in Istanbul seine Freundin und seine Ex-Freundin innerhalb einer Stunde in aller Öffentlichkeit. In Reaktion darauf formierten sich in den vergangenen Tagen große Proteste gegen die die steigende Gewalt an Frauen in der Türkei.

Besonders verstörend ist dabei, mit welcher Brutalität der Täter die Frauen in der Öffentlichkeit ermordete und anschließend die durchtrennten Frauenkörper an der Stadtmauer Istanbuls in aller Öffentlichkeit bloßstellte. In Reaktion auf diese besonders sadistischen Femizide gab es noch am selben Tag aufgebrachte Proteste in Istanbul, aber auch in zahlreichen anderen Städten der Türkei und auch Nordkurdistans gingen Frauen auf die Straße.

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„Mörder, Mann, Kollaborateur, AKP“

Diese Parole skandierten die Demonstrant:innen in Amed, wo vor wenigen Tagen ebenfalls eine andere Frau, Bedriye Işık, von ihrem Ehemann erschossen wurde. Dieser war als Offizier beim türkischen Staat angestellt.

In Istanbul fand der Protest an genau dem Ort statt, an dem İkbal Uzuner und Ayşenur Halil ermordet wurden. Hier kam es zur Festnahme von mindestens fünf Studentinnen der Marmara Universität in Istanbul, die sich kämpferisch an den Protesten beteiligt hatten.

Die Proteste prangerten auch die Rolle des türkischen Staats an, der nichts gegen die Gewalt an Frauen unternähme. Die Demonstrant:innen betonten immer wieder, dass die steigende Gewalt auch im Zusammenhang mit dem Austritt der Türkei aus der Istanbul Konvention im Jahr 2021 stehe, wodurch die Möglichkeit auf strafrechtliche Verfolgung bei Gewalt an Frauen deutlich eingeschränkt wurde.

Dass der türkische Staat und die faschistische AKP kein Interesse an dem Schutz von Frauen haben, zeigte sich auch in der nordkurdischen Provinz Mêrdîn, in der ebenfalls Demonstrationen anlässlich der Femizide stattfanden: Die Polizei versuchte dort in Form von Polizeiketten, den kämpferisch von Frauen angeführten Protest zu unterbinden und die Demonstrant:innen einzuschüchtern. Die Frauen ließen sich jedoch nicht davon abhalten, und es gelang ihnen, die Polizeikette zurückzudrängen und ihren berechtigten Protest unter der Parole „Jin, Jiyan, Azadî” (deutsch: „Frau, Leben, Freiheit“) fortzusetzen.

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Mehr Femizide, mehr Gewalt und wachsender Widerstand

Seit Beginn des Jahres wurden nach offiziellen Zahlen bereits 297 Frauen in der Türkei ermordet, allein seit Anfang Oktober waren es acht Frauen, die aufgrund ihres Geschlechts durch Männer getötet wurden. Zudem zeigt eine Statistik der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“, dass die Zahl an verdächtigen Todesfällen – also Fälle, in denen Frauen tot aufgefunden wurden, die jedoch nicht eindeutig als Femizid eingeordnet werden konnten – zwischen den Jahren 2017 bis 2023 um 82 Prozent gestiegen ist.

Doch nicht nur die hohe Zahl der konkret belegbaren Frauenmorde wird dabei von den Demonstrant:innen aufgegriffen. Dass die Proteste sich inzwischen derart ausgeweitet haben, liegt auch daran, dass ganz allgemein die Gewalt an Frauen in der Türkei in den vergangenen Jahren gestiegen ist.

Ihre Zunahme lässt sich durch verschiedene Faktoren erklären: Zum einen sind es die fehlenden rechtlichen Grundlagen für eine Verurteilung oder unzureichend durchgeführte Ermittlungsarbeit. Aber auch das immer offensivere Auftreten türkischer Faschist:innen, die ein rückschrittliches Frauenbild propagieren, dürfte zum Anstieg der Gewalt beigetragen haben. Doch so sehr die Gewalt auch zunimmt, so sehr formiert sich gleichzeitig der Widerstand der türkischen und kurdischen Frauen. – Für diesen Samstag sind weitere Proteste in der Region angemeldet.

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