Zeitung für Solidarität und Widerstand

Nicht erst seit Solingen – Die Kontinuität der Asylrechtsverschärfungen in der BRD

Nach dem mutmaßlich islamistischen Angriff in Solingen Anfang September zieht erneut eine Welle rassistischer Hetze durch Deutschland. Forderungen nach Asylrechtsverschärfungen, der Erleichterung von Abschiebungen in Kriegsgebiete, Grenzschließungen und weiteren menschenfeindlichen Regelungen häufen sich in Politik und Medien und werden von der Ampelregierung durchgesetzt. Doch die aufhetzende Stimmung ist in der BRD längst nichts Neues mehr. – Ein Kommentar von Daniel Fröhlich.

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. So steht es in Artikel 16a des Grundgesetzes (GG). Eine kurze und klare Aussage, die liberale Werte und die in den westlichen Demokratien garantierten Freiheiten verkörpern soll. Das einzige Grundrecht, das in Deutschland nur Nicht-Staatsbürger:innen zusteht. Eine Lektion aus der deutschen Vergangenheit und ein Stück politische Poesie, wenn man so will. Doch es bleibt eben auch nur genau das: Politische Poesie.
Selbst wenn die politische Stimmung in der BRD in den letzten Monaten und Jahren einen auffälligen Rechtsruck vollzogen hat – insbesondere was die Rechte und Freiheiten von Migrant:innen und Asylbewerber:innen betrifft, ist dies keineswegs eine völlig neue Entwicklung. Seit Jahrzehnten höhlt der deutsche Staat das Grundrecht auf Asyl Schritt für Schritt aus und schließt es aus anderen Gründen als dem der politischen Verfolgung grundsätzlich aus.
Bereits in den frühen 90er Jahren, kurz nach der Annexion der ehemaligen DDR, hatte die deutsche Regierung unter Helmut Kohl (CDU) begonnen, das Asylrecht stark einzuschränken. Nach einer Welle rassistischer Pogrome erließ die Regierungskoalition aus CDU und FDP im Jahr 1993 mit voller Zustimmung der SPD den sogenannten „Asylkompromiss“, bei dem unter anderem die Prinzipien der sogenannten „sicheren Drittstaaten“ oder der „sicheren Herkunftsländer“ eingeführt wurden. Der erste Schritt, um zu entscheiden, wer kommen darf, wer bleiben darf und wer nicht, war getan.
Mit der „Migrationswelle“ ab 2015 setzte die Bundesregierung dann ihren Kurs zur Beschränkung von Migration und zur Aushöhlung des Asylrechts fort. Von den „Asylpaketen I+II“ (2015, 2016) bis zum heutigen Rückführungsverbesserungsgesetz und der GEAS-Reform auf EU-Ebene zeigt sich ein Jahrzehnt rassistischer und chauvinistischer Hetze und Verschärfung des Asylrechts. Kaum ein anderes Grundrecht ist mit so vielen Schranken behaftet wie Artikel 16a GG.

Nur Wahlkampfhetze oder imperialistische Strategie?

Sicherlich ist rassistische Hetze gutes Material für die Wahlkämpfe der bürgerlichen Parteien. Zumindest in der Frage der Geflüchteten haben sich in den letzten Jahren alle Parteien im Parlament – mit Ausnahme vielleicht der Linkspartei – an einem regelrechten Wettlauf beteiligt, deren Rechte immer weiter einzuschränken – und gleichzeitig eben nur jene Menschen ins Land zu lassen, die gut ausgebildet sind oder möglichst schnell in die am schlechtesten bezahlten und mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen einhergehenden Jobs zu drängen.
Doch opportunistische Wahlkampf-Slogans sind nicht der einzige Grund für diese repressive Asylpolitik: Der Kapitalismus steckt in der Krise. Wohin wir auch schauen, sehen wir Kriege, Wirtschaftskrisen, Klimakatastrophen, usw. Dies zwingt die Menschen, vor allem diejenigen in den am meisten ausgebeuteten und unterdrückten Ländern der Welt, sich aus diesen Situationen zu retten.
Als Folge der weltweit sich häufenden Krisen erleben wir heute die größte Fluchtbewegung in der Menschheitsgeschichte: Stand 2023 waren weltweit ca. 117 Millionen Menschen auf der Flucht. Auf der Suche nach einem besseren oder zumindest erträglichen Leben führen viele ihrer Wege nach Europa.
Zwar kann das deutsche Kapital einen Teil dieser migrierten Arbeitskräfte – vor allem die hochqualifizierten und spezialisierten Fachkräfte – gut brauchen. Rassistische Segregation ist ein profitables Modell, da sie den Kapitalist:innen einen Vorwand bietet, einige Teile der Arbeiter:innenklasse systematisch noch stärker auszubeuten als andere.Doch das Kapital muss seine Herrschaft auch weiterhin sichern. Denn die Auswirkungen der genannten Krisen treffen auch die deutsche Arbeiter:innenklasse in immer stärkerem Maße. Dies hat und wird zweifelsohne auch weiterhin zu einem Absinken des Lebensstandards der deutschen Werktätigen führen.
Doch wenn deutsche Arbeiter:innen zu sehr damit beschäftigt werden, darüber nachzudenken, dass anstelle der Kapitalist:innen die eingewanderten Arbeiter:innen aus anderen Ländern für ihre Probleme verantwortlich sind, dann werden sie nicht gemeinsam für ihre Rechte einstehen, keine Erfahrungen austauschen und dadurch keine Gefahr mehr für das Kapital darstellen. Der dadurch entfachte Kulturkampf ist für die herrschende Klasse weitaus weniger gefährlich als der Klassenkampf.
In der Tat ist er eine effiziente und effektive Waffe im Arsenal der Machteliten und ihres Staates. Daher setzen die bürgerlichen Parteien, als Interessensvertreter des deutschen Kapitals, seit Jahrzehnten vermehrt auf rassistische Hetze und Spaltung – und zwar schon lange bevor die AfD eine wirklich relevante Kraft war.

Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtende!

Die häufigsten Fluchtursachen sind Kriege, Wirtschaftskrisen und Klimakatastrophen. Alle diese Ursachen sind direkte Folgen der kapitalistischen Produktionsweise und der Politik imperialistischer Länder wie Deutschland, die USA oder Russland. Seien es das imperialistische Schachspiel zwischen den USA und Russland, der syrische Bürgerkrieg oder die sich ständig verschlimmernden Klimakatastrophen als Ergebnis jahrzehntelanger unerbittlicher industrieller Produktion auf Kosten der Umwelt: Krisen und somit auch Massenflucht sind in die DNA des Kapitalismus eingewebt und werden sich nur weiter verschlimmern.

Das bedeutet aber gleichzeitig, dass massenhafte Flucht und die rassistische Reaktion darauf nicht „natürlich“ sind oder „aus dem Nichts“ kommen. Wenn sie eine Ursache haben – den Imperialismus – dann muss es unsere Aufgabe sein, diese Ursache zu bekämpfen, nicht ihre Opfer.

Der Versuch, irgendeine Art von Kompromiss innerhalb der Politik des kapitalistischen Staats zu finden, wird scheitern. In unserer jetzigen Situation müssen wir für die Rechte und Sicherheit von Migrant:innen in Deutschland kämpfen. Aber dieser Kampf muss weiter gehen, wenn wir jemals eine wirkliche Lösung finden wollen. Er muss ein Kampf gegen das imperialistische System sein, das die Flucht überhaupt erst verursacht.

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 91 vom Oktober 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

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