Am 20. Oktober soll Pegida in Dresden ein letztes Mal stattfinden. Schon längst haben andere ihren Platz in der rechten Szene eingenommen, und der Rückzug von Pegida-Kopf Lutz Bachmann ist auch nur ein halber. Rassistische Hetze und Gewalt auf der Straße hören deswegen nicht auf. – Ein Kommentar von Matthias Goeter.
Nach genau zehn Jahren ist es soweit: mit der 250. Demonstration sollen die Demos der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes – kurz PEGIDA – am 20. Oktober ein letztes Mal in Dresden stattfinden. So kündigte es Lutz Bachmann, Gründer und Kopf der Bewegung, vergangene Woche in einem Video auf Telegram an. Gründe seien gesundheitlicher und finanzieller Art. Weitergehen soll es mit anderen Formaten wie Podcasts, Radio und Ähnlichem. Wie ist das einzuschätzen? Und wie hat sich Pegida bis zu diesem Punkt entwickelt?
Sarrazin und AfD
Mit den Kriegen in Syrien, Konflikten in Afghanistan oder den Nachwehen des sogenannten arabischen Frühlings stieg bereits 2014 die Zahl der Geflüchteten, bevor sie 2015 ein neues Hoch erreichte.
Der Terror des Islamischen Staates (IS) und dessen Ausbreitung in großen Teilen Syriens und des Irak war gesellschaftliches Thema und in den Medien und der Öffentlichkeit sehr präsent. Erste Terroranschläge des IS in Europa im Winter 2014/15 verstärkten das noch weiter.
Das bot die Grundlage, auf der die Erzählung einer vorgeblichen Gefahr des „demokratischen und freien Abendlandes“ durch Geflüchtete und den Islam als vermeintliches „Importprodukt“ gedeihen und forciert werden konnte.
Diese Agitation war über lange Zeit vorbereitet worden. Bereits 1995 hatte etwa der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Eckart Werthebach gewarnt, dass ein neuer Gegensatz zwischen dem „christlich-abendländischen Kulturkreis“ und einem „aggressiven Islamismus“ an die Stelle des Ost-West-Konflikts treten könnte. Ab Beginn der 2010er Jahre wurden diese Thesen durch rechte Stimmen wie von Akif Pirinci oder Thilo Sarrazin weiter verbreitet. Letzterer konnte seine Bücher über den Bertelsmann-Konzern vertreiben.
Im Zuge der kapitalistischen Krise 2010/2011 („Eurokrise“) gründete sich die Alternative für Deutschland (AfD) als zu Beginn anti-Euro-gerichtete und marktradikale Partei. In ihr sammelten sich schnell nach ihrer Gründung chauvinistische, rassistische und nationalistische Kräfte. Heute bekannte Gesichter wie der Faschist Björn Höcke traten 2013 in die AfD ein und sorgten dafür, dass sich immer weiter diese Kräfte in ihr durchsetzten. Schnell entwickelte sich die AfD zum Sammelbecken diverser Gesichter rechts der Unionsparteien bis hin zu offenen Nazis.
Von Dresden in die BRD
Fast zeitgleich zu Pegida gingen in Köln die Hooligans gegen Salafisten (Hogesa) auf die Straße. Während diese Mobilisierungen nur kurzlebig und aufgrund ihres zu gewalttätigen Auftretens nicht anschlussfähig waren, schafften es die Pegida-Demonstrationen schnell, breitere Teile der Gesellschaft und nicht nur offensichtliche Faschist:innen anzusprechen und zu mobilisieren. Schnell entwickelten sich die wöchentlichen Montagsdemos von Pegida in Dresden zu Demonstrationen mit weit über 10.000 Teilnehmenden.
Überall in Deutschland gründeten sich ähnliche „-gida“ Ableger, welche diese Bewegung von einem regionalen Phänomen in die gesamte Bundesrepublik trugen. Am Rande der Demonstrationen kam es dabei immer wieder zu Übergriffen – als exemplarischer Höhepunkt kann der Überfall auf Connewitz im Jahr 2016 gelten. Dabei randalierten etwa 250 schwerbewaffnete Faschist:innen parallel zur Leipziger Pegida-Ableger Legida durch das linksalternative Viertel.
Damit wurde Pegida zum Katalysator des aufkommenden Rassismus und der Islamophobie auf der Straße.
Faschistische Kräfte führend dabei
Von Anfang an waren faschistische Kräfte bei den Demonstrationen führend und konnten sie als Plattform nutzen. Diese strategische Bedeutung erkannten sie auch und beteiligten sich entsprechend an Pegida: Götz Kubitschek, Vordenker des faschistischen Instituts für Staatspolitik, sprach dort und gründete sein Projekt ein Prozent im Windschatten der Bewegung. Ebenso Jürgen Elsässer vom Compact-Magazin oder Oliver Hilburger vom Zentrum Automobil, einer faschistischen Pseudo-Gewerkschaft.
In der AfD zeigte sich im Verhältnis zu Pegida der Linienkampf zwischen den faschistischen Kräften um Alexander Gauland oder Björn Höcke einerseits und den eher marktradikalen, neoliberalen Teilen um Mitgründer Bernd Lucke andererseits. Letztere unterlagen und verließen 2015 die Partei – die weitere Entwicklung der AfD bis heute geht in die selbe Richtung.
Weitere Entwicklung und Ende der Dynamik
Nach einem anfänglichen starken Hoch nahm nach den ersten Jahren die Massendynamik von Pegida wieder ab: abgesehen von der Leipziger Legida konnte kein regionaler Ableger sich wirklich etablieren oder einen vergleichbaren Schwung entwickeln. Neben natürlichen Fliehkräften und internen Machtkämpfen waren auch immer wieder starke, antifaschistische Gegenproteste und eine bürgerliche Gegenbewegung um das Stichwort „Willkommenskultur“ Gründe hierfür. Dennoch fanden noch 2017 regelmäßige Demonstrationen mit mehr als tausend Teilnehmer:innen in Dresden statt.
Erst im Verlauf der weiteren Jahre nahm die Bedeutung von Pegida weiter ab. Andere Themen und Akteur:innen etablierten sich an ihrer Stelle. Spätestens mit der Corona-Pandemie, dem Aufkommen von Querdenken und der faschistischen Partei Freie Sachsen in regionaler Überschneidung war Pegida faktisch am Ende. In den Jahren 2021 bis 2024 zählte der sächsische Verfassungsschutz lediglich 21 Pegida-Versammlungen in Dresden.
Lutz Bachmann – Kopf von Pegida und Geschäftsmann
Der Gründer und langjährige Kopf von Pegida ist Lutz Bachmann, der selbst wegen diverser Einbrüche, Diebstähle sowie Drogenhandels im Knast saß, aber auch wegen Volksverhetzung vorbestraft ist.
Im Abschiedsvideo nennt er „gesundheitliche und finanzielle Gründe“ für das Ende, später spricht er ebenfalls von logistischen Herausforderungen. Stattdessen soll es Podcasts, Radio und weitere andere Formate geben.
Damit trägt er einerseits der schwindenden politischen Bedeutung von Pegida Rechnung. Andererseits haben die finanziellen Gründe sicherlich auch keine unbedeutende Rolle gespielt: mit Pegida gründete Lutz Bachmann parallel einen Verein zur Organisation der Demonstrationen, der sich über Spenden finanzierte, daneben gab es einen Vertrieb von Merchandise-Artikeln.
Bachmann selbst zog es jedoch vor, bald aus Dresden zu verschwinden. Es folgte im Jahr 2016 der Umzug nach Teneriffa, wo er noch heute lebt. Klar: wer auf Teneriffa lebt, aber in Dresden das Abendland verteidigen will, steht vor logistischen Herausforderungen, und von dem Rückgang bei Pegida ist auch unmittelbar die Lebensgrundlage von Lutz Bachmann betroffen. Vielleicht lassen sich die neuen digitalen Pegida-Projekte ja als Versuch verstehen, hier Abhilfe zu schaffen.
Andere haben übernommen
In einem Punkt hat Lutz Bachmann in seinem Abschiedsvideo allerdings Recht: Pegida ist vielleicht vorbei, doch hat es ein Erbe hinterlassen. Richtigerweise rühmt er sich damit, mit zu den Wahlerfolgen der AfD beigetragen zu haben.
Mit Pegida entstand 2014/15 eine Plattform, die den öffentlichen Diskurs wesentlich geprägt und den Rechtsruck in der Gesellschaft weiter vorangetrieben hat. Pegida war eine seit langen Jahren wieder erfolgreiche rechte Massenbewegung auf der Straße und hat entsprechenden Kräften Aufwind gegeben. Viele wichtige Redner:innen der ersten Demonstrationen wie Kubitschek, Elsässer oder Höcke sind mittlerweile zentrale Persönlichkeiten in der rechten und faschistischen Bewegung und treiben mit ihren Projekten einen vielseitigen und strategischen Aufbau voran.
Die Funktion der Anschlussfähigkeit an breitere Kreise der Gesellschaft nehmen mittlerweile Teile der AfD oder regional die Freien Sachsen ein. Betrachten wir aktuelle Debatten, das Vorgehen der Ampel-Regierung oder Forderungen der Unionsparteien, ist ihre Politik schon längst Teil des offiziellen Regierungsprogramms oder möglicher zukünftiger Regierungsparteien geworden. Die AfD ist bundesweit in der bürgerlichen Politik angekommen und stellt den parlamentarischen Arm der faschistischen Kräfte dar.
Auf der Straße mobilisieren die, im Zuge der Pandemie entstandenen, Freien Sachsen zumindest regelmäßig eine ähnlich große Anzahl von Menschen. Sie festigen in manchen Regionen bereits eine rechte Hegemonie, wofür Pegida eine Grundlage schuf. Mit den Naziaufmärschen gegen diverse CSD-Demonstrationen hat sich zudem eine neue, junge faschistische Dynamik auf der Straße gezeigt.
Erwartbar können faschistische Massenproteste und -dynamik mittlerweile nach zufälligen Ereignissen wie 2018 in Chemnitz geschehen, auch wenn diese nach dem Attentat in Solingen nicht von großem Erfolg gekrönt waren. Dafür hat die Ampel mit dem neuen „Sicherheitspaket“ rechte Forderungen in Gesetz gegossen.
Den Widerstand aufbauen
Die Geschichte von Pegida ist jedoch genauso eine Geschichte des Widerstands dagegen: von ausdauernden kontinuierlichen Gegenprotesten bis hin zu Blockaden und militanter Gegenwehr.
Überall, wo Faschist:innen in die Gesellschaft drängen, müssen wir uns ihnen in den Weg stellen und sie wieder zurückdrängen: in Argumentationen im Betrieb oder der Schule, bei rassistischen Kommentaren im Alltag und auch mit aller Entschlossenheit und Konsequenz, wenn sie auf die Straße drängen, um sich den öffentlichen Raum anzueignen, ihre Hetze zu verbreiten und eine Gefahr für all jene werden, die nicht in ihr Weltbild passen. Die antifaschistische Bewegung ist reich an Erfahrungen im Widerstand gegen Faschist:innen.
Lernen wir aus ihren Erfahrungen im Aufbau einer klassenkämpferischen Antifabewegung.
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